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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0124

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2467

d'Jstria, zum Präsidenten des neuen Staats-
wesens zu wählen. Aber Kapo d'Jstria, der
sich erst in Petersburg bei Nikolaus vorgestellt
hatte, wollte nach russischem System regieren,
sozusagen als aufgeklärter Despot, und dazu
fehlten ihm die Machtmittel und das unter-
würfige Volk. Am 9. Oktober 1831 wurde er
von den Söhnen eines Mainotenhäuptlings,
den er wegen Unbotmäßigkeit hatte interniren
lassen, erschossen. Endlich fanden die Mächte
in dem Prinzen Otto von Bayern einen An-
gehörigen eines europäischen Fürstenhauses, der
bereit war, die griechische Kroue zu übernehmen.
Er hat sie dreißig Jahre getragen. Aber sehr
wohl ist ihm nie darunter geworden. Die
Mächte wollten, daß er ihr gehorsamer Ord-
nungshüter, die Griechen, daß er ihr Führer
im Kampf um Erwerbung der vorenthaltenen
Landestheile sei. Waren seine Minister liberal,
so wurden sie von den Mächten abberufen,
waren sie absolutistisch, so regten sie das Volk
gegen den König auf, der sie ins Land gebracht.
1843 ward der König, der bis dahin quasi ab-
solutistisch regiert hatte, durch einen Aufstand
genöthigt, eine Repräsentativ-Verfassung einzu-
führen, und 1862 endlich brach eine Revolution
aus, die ihn zur Niederlegung der Krone zwang.
Er fiel, weil er in den dreißig Jahren seiner
Negierung keiner der nationalen Aspirationen
der Griechen hatte Genugthuung verschaffen
können, ein Opfer der Jntriguen der Mächte,
vor Allem Rußlands, dessen Agenten nicht auf-
gehört hatten, in Griechenland gegen ihn zu
wühlen. Daß man ihnen die Errichtung einer
Republik nicht gestatten würde, wußten die
Griechen. Sie nahmen denn auch gern den
Prinzen Wilhelm von Dänemark (als griechischen
König Georg I.) als Nachfolger Ottos an, nach-
dem ihnen eröffnet worden war, daß England
ihnen die jonischen Inseln (Korfu, Zante,
Kephalonia) mit in den Kauf geben würde.
Als 1866 die Kreter sich erhoben und ihre
Führer Georg 1. zu ihrem König ausriefen,
wurde ihnen vom griechischen Festland aus in
jeder Weise Vorschub geleistet, so daß es dar-
über beinahe zu einem Krieg zwischen Griechen-
land und der Türkei gekommen wäre. Aber
die Mächte legten sich ins Zeug und zwangen
Griechenland, der Türkei Genugthuung zu geben.
Während des russisch-türkischen Krieges von
1877—78 machten die Griechen Anstalten, gegen
die Türkei zu marschiren, wurden aber von
England davon abgebracht. Dafür sollten sie
gemäß dem Berliner Vertrag Thessalien und
Epirus erhalten; bei der Grenzregulirung je-
doch ist nur ein kleiner Theil der letzteren

Provinz an Griechenland gekommen und die
Grenze so gezogen worden, daß die Türkei die
besseren strategischen Positionen behielt. Noch
sind viele griechische Ortschaften und Distrikte
unter türkischer Herrschaft. Die Kreter haben
sich seit 1867 noch wiederholt behufs Anschluß
an Griechenland erhoben, die bedürfnißlosen
Bergbewohner lassen sich durch keine Rück-
schläge entmuthigen; um ihren Widerstand zu
' brechen, müßte man sie ausrotten.
Die Geschichte der Freiheitskümpfe der
Griechen ist dramatischer als die der anderen
Balkanvölker, aber in ihren Grundzügen auch
für diese typisch. Es ist immer dieselbe Ge-
schichte von heimlicher Ermuthigung durch Agen-
ten der einen oder anderen Macht, von heim-
tückischer Preisgabe im Moment des Kampfes,
bis es endlich der betreffenden Macht geruht,
nach vielem Blutvergießen für ihre Schutzbefoh-
lenen eine halbe oder Viertelslösung der auf-
geworfenen Frage zu erwirken.
In Serbien, das nach kurzer Beherrschung
durch Oesterreich 1739 wieder unter türkisches
Joch gerathen war, erhob sich 1804 das Volk
unter dem tapferen Bauernsohn Cz ernyGeorg
(Kara Georg) gegen die Türkenherrschaft, jagte
die Janitscharen aus dem Lande und erstürmte
1807 Belgrad. Weil sie es aber ablshnen, sich
unter die Schutzherrschaft Rußlands zu stellen
und die Kühnheit haben, auch ohne russische
Hilfe die Türken in zwei Feldzügen (1809 und
1812) zurückzuschlagen, liefert Rußland im Frie-
densvertrag von 1812 die Serben durch zwei-
deutige Bestimmungen heimtückisch von Neuem
den Türken aus. Kaum haben die Letzteren
sich von den erlittenen Schlägen etwas erholt,
so legen sie denn auch die Friedensbedingungen
in ihrem Sinne aus, fallen 1813 mit drei Heeren
in Serbien ein und vernichten eines der serbi-
schen Freikorps nach dem anderen, so daß Kara
Georg über die Grenze flüchten muß. Dafür
nimmt jetzt ein anderer Bauer, der „Schweine-
hirt" Milosch Obrenowitsch 1815 mit einer
kleinen Schaar den Kampf auf, besiegt die
Türken an der Matschwa und läßt sich 1817
zum Fürsten von Serbien ausrufen. Im
Frieden von Akjerman (1826) sichert Rußland,
das den Obrenowitsch protegirt, Serbien Frei-
heit der inneren Verwaltung, wogegen dessen
Tributpflicht an die Türkei festgestellt wird.
Aber im Frieden von Adrianopel (1829), wo
die Türken alles bewilligten, was Rußland nur
verlangte, blieben die Wünsche der Serben auf
Erwerb von Bosnien und der Herzegowina
unberücksichtigt. Nun folgt für das Land eine
Periode innerer Wirren, in deren Verlauf 1842

Czerno Georgs Sohn, Alexander Karageorge-
witsch, auf den serbischen Thron kommt. Jn-
triguen Rußlands, das durch panslavistische
Agitatoren in den Serben den Plan aus die
Wiederherstellung des alten Großserbien nährt,
bewirken, daß Karageorgewitsch 1859 zur Ab-
dankung gezwungen wird und der serbische
Thron wieder an das Haus Obrenowitsch fällt.
1867 setzt Milosch Obrenowitsch nach längerer
Agitation den Abzug der letzten türkischen Be-
satzung aus serbischen Festungen durch, und
1876 beginnt Serbien in russischem Auftrage
und mit russischem Gelde Krieg mit der Türkei,
der aber unter der Führung des russischen
Agitations-Generals Tschernajew, der sich die
Führung angemaßt hatte, unglücklich ausging.
Aber Serbien hatte Schakaldienste für Rußland
geleistet, das nun den Kamps selbst aufnimmt,
ihn aber auch erst nach allerhand Rückschlägen
mit Hilfe der Rumänen siegreich durchführt.
Im Berliner Vertrag von 1878 erhält Serbien
die volle Unabhängigkeit, sowie eine kleine Ge-
bietserweiterung, das ihm von Rußland in
Aussicht gestellte Bosnien dagegen wird mit
der Herzegowina Oesterreich überwiesen, das
diese serbischen Provinzen von da ab „für die
Türkei" verwaltet.
Die walachischcn Provinzen (Moldau und
Walachei) waren in früheren Jahrhunderten
wiederholt der Türkei tributpflichtig, kamen aber
erst 1716 direkt unter türkische Herrschaft. Die
Türkei ließ sie durch vornehme Fanarioten ver-
walten, die das Land gründlich auspreßten und
herunterbrachten. In Rußland dagegen, das
im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts immer
weiter nach Süden vorrückt, gewinnen die Wa-
lachen nun für eine ganze Zeit einen Helfer
gegen die Türken. Die erste Bezahlung dafür
leistete sich Rußland 1812, wo es sich im Frieden
von Bukarest die den Walachen gebührende
Provinz Bessarabien mit den Donaumündungen
auswirkt. Der Aufstand der Griechen veran-
laßte die Pforte, den Walachen wieder ein-
heimische Regenten zu bewilligen, was aber
Rußland nicht hinderte, auch weiterhin sich den
Walachen als Schutzherr aufzudrängen. Es
beweist seine Liebe für dieselben dadurch, daß
es alle Reformbestrebungen seiner Regenten
hintertreibt. So wird der sehr aufgeklärte
Alexander Ghika 1842 auf Betreiben Rußlands
von seinem Posten als Hospodar der Walachei
abgesetzt und durch den völlig russischen Georg
Bibesco ersetzt. Als 1848 in der Moldau wie
in der Walachei die Patrioten sich erheben,
um eine rumänische Nationalregierung einzu-
setzen, rücken „Beschützer" Rußland von der
 
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