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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0128

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2471

Eine Schwurgerichts-Sitzung in Honolulu.
Präsident (zur Belehrung der Geschworenen): Meine Herren! Ich darf
von Ihnen allen annehmen, daß Sie mit den traurigen Vorurtheilen
vergangener Zeiten vollständig gebrochen haben. Früher lebte man in
dem Wahne, der erste Zweck einer Gerichtsverhandlung sei die Feststellung
des Thatbestandes. Wir wissen jetzt, daß ivie bei jeder öffentlichen Hand-
lung, so ganz besonders beim Strafprozeß das Staatsinteresse an erster
Stelle stehen muß. Ich gebe dem Herrn Staatsanivalt das Wort.
Staatsanwalt: Der verehrte Angeklagte, Herr Schlächtermeister
Saumagen, ist perfider Weise angczeigt worden, weil er sechs Schweine
gestohlen und eine Menge Fleisch und Wurst von an Milzbrand ver-
endeten Kühen verkauft haben soll. Sehr eingehende Nachforschungen
haben nun ergeben — und das wird allein schon zu seinen Gunsten ent-
scheiden -, daß der Gendarm ihn deutlich au, Hellen Tage ohne gestohlene
Schweine und verdorbene Würste gesehen hat. Doch ich erwähne das nur
nebenbei. Hier kommt cs auf ganz etwas anderes an. Der Fall hat
in der Presse und in der Oefsentlichkeit viel Aufregung hervorgerufcn.
Die gutgesinnten Kreise und Blätter haben sich des armen Verfolgten
angenommen, und der Staatsanzeiger von Honolulu schrieb über ihn:
„Wir sind allzumal Sünder. Aber die dunkeln Existenzen, Menschen, die
Gott danken sollten, wenn sie einmal eine verdorbene Wurst bekommen,
die haben ihn angegriffen, und das Parteiblatt dieser Umstürzler, welches
überhaupt kein Eigenthum anerkennt, hat ihn geschmäht." Wollen Sie
diesen Leuten eine Freude bereiten, meine Herren Geschworenen, so
sprechen Sie ihn schuldig. Wollen Sie aber die monarchisch und kirchlich
Gesinnten stärken, zu denen er stets gehört hat, wollen Sie das Ver-
trauen in der Geschäftswelt neu beleben, die Ehre des Bürgers schützen, das
Staatsinteresse Hochhalten, dann sprechen Sie ihn von der Schuld frei!
Vertheidiger: Ich gebe zu, daß der Angeklagte.. .
Staatsanwalt (ausspringend): Wenn etwas Ungünstiges über den
Angeklagten zuzugeben wäre, so ist cs meine Sache, das zu erwähnen.
Präsident: Ich kann den Ton, in welchem der Rechtsanwalt
hier angefangen hat über den Herrn Angeklagten zu sprechen, nicht dulden
und muß ihm sein Benehmen ernstlich verweisen.
Vertheidiger: Dann lege ich hiermit die Vertheidigung nieder.
Staatsanivalt: Thut nichts, ich übernehme gern die Vertheidi-
gung. Ich fasse mich kurz: Meine Herren, denken Sie an das Staatsinteresse!

Präsident: Das möchte ich Ihnen auch ans Herz legen.
Der Angeklagte wird hierauf einstimmig freigesprochen. Die Kosten
der Vertheidigung werden auf die Staatskasse übernommen und zu gleichen
Thcilen an den Herrn Präsidenten und den Herrn Staatsanwalt ausgezahlt.

Hobelspätzne. Dvs-
Es blieb so manches dunkel
Im großen Tausch-Prozeß,
Aus all dein wirren Gemunkel
Ging eins hervor indeß:
Die Spitzel, die man gezogen.
Zum Ordnungsretter-Amt,
Sie fälschten und sie logen
Und stahlen allesammt.
Preußen scheint jetzt in das Zeichen der Wage
cingetreteu zu sein: links baumelt das preußische
Vereinsgesetz und rechts der Prozeß Tausch, beide
halten sich das Gleichgewicht. Armes Preußen!
Die Tagung des Reichstags im Sommer
Bringt Vielen recht großen Verdruß;
Doch Strafe folgt stets dein Vergehen:
Der Reichstag halt nach sitz en muß.
Ein Fischerjunge in Kiel stahl eine Bratwurst und entkam damit
ins offene Meer. Unsere Flotte war wie gewöhnlich nicht zahlreich genug,
um den Verbrecher zu verfolgen.
Der Hafen-Inspektor in Hamburg soll
Jetzt alle Angst und Noth begraben,
Denn amtlich sorgt er, daß Hamburgs Frau'n
Stets ein Stück Fleisch im Hafen haben.
Nicht die Radfahrer, sondern die Kriecher sollten besteuert werden,
denn diese kommen am schnellsten vorwärts.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.


in die Kaserne, so wird man ihn des Vorrechtes,!
die Flinte zu tragen, ans vierzehn Tage verlustig 1
erklären und ihm während dieser Zeit den Zu-
tritt zum Exerzirplatz nicht gestatten. Hat er
Schwereres verbrochen, z. B. Ungehorsam gegen
die Vorgesetzten, so wird man ihn bis zu einem
halben Jahre aus der Kaserne ausspcrren; hat
er aber gar seinen Offizier geprügelt, so wird er
sofort ohne Kündigung entlassen, er darf die Ka-
serne in seinem ganzen Leben nicht mehr betreten.
Falls es gewünscht werden sollte, sind wir
gerne bereit, unsere Vorschläge zu erweitern.
Kasperltheater des Lebens.
Kaum ging der Vorhang in die Höh',
Gleich fragt uns Schicksal Kasperle
Nach dem, was auf der lieben Welt
Nur wichtigsten: „He, habt ihr Geld?"
Stimmt's da, dann forscht der lust'ge Rath,
Ob man „Gesinnungsgüte" hat,
Ob man loyal und brav: „Wenn ja,
Schreit alle frisch, fromm, frei: Hurrah!"
.., Der mit dem Beutel, mit dem leeren,
Mag sich zum Todtengräber scheeren.
Doch den gedankenvollen Kopf,
Den nehm' der Teufel schnell beim Schopf!
Der neue Kurs nach dem Talmnd.
Auf der Strecke Wien-Lemberg saßen der
Zempelburger und der Lubliner in einem Eiscu-
bahncoupe. „Wo fahren Sie hin?" fragte der
Zempelburger den Lubliner. „Ich fahr' nach:
Lemberg", antwortete der Lubliner. „Wie haißt
nach Lemberg", schrie der Zempelburger, „der
Zug fahrt doch nach Wien!" „Chammer", er-
widerte der Lubliner, „sehen Sie denn nischt, daß
ich mich hab' gesetzt rückwärts, damit ich soll
kommen nach Lemberg."

Tsuschiana.
O tiefe Weisheit, die der brave Tausch in der
Bedrängniß ausgesprochen hat: „Gerade die guten
Agenten sind die unsaubersten." Das Wort ver-
dient mit großen goldenen Buchstaben über dein
Portal der ganzen kapitalistischen Staatsherrlich-
keit zu stehen. Es gilt von dem ganzen Hilfs-
personal unserer göttlichen Weltordnung, das
prächtige Wort: „Gerade die guten Agenten sind
die unsaubersten." ,
Als das Weinen nicht mehr helfen wollte,
versuchte Herr von Tausch es mit dem Humor,
und er leistete auch darin Vorzügliches; das Beste,
als er sagte, er habe den Reportern bei jeder
Unterredung bemerkt: „Ich theile Ihnen das mit,
aber sprechen Sie nicht darüber!"
Nothleidende.
Kaum hören sie von Ueberschüssen
Bei Post und Eisenbahn,
Da kommen schon mit flinken Füßen
Die Beutejäger heran:
Die großen Schnaps- und Kohlenbrenner
Im Frack und in Glacö,
Das sind die unerreichten Renner
Mit offnem Portemonnaie.
Schnitzel.
Odysseus stieg nach der homerischen Sage in das Reich
der Todten hinunter, um Kunde zu erhalten, wie er das Ziel
seiner Fahrt glücklich erreicht. So erkundet jede große Zeit-
bewegung im Todtenreich der Geschichte die richtigen Mittel
und Wege zu ihrem Ziele. *
Mit der Moral macht es die herrschende Klasse wie mit
den Steuern, sie wälzt sie am liebsten aus die Besitzlosen ab.
Die sozialistische Gesellschaftsform wird manches Lieb-
gewordene beseitigen. Aber wer wird im Frühlingssonnen- !
schein die behagliche Ofenwarme des Winters zurücksehnen? !

Italienische Kolonialpolitik.
Es streiten die Italiener
Im Parlament sich sehr:
„Behalten wir Eryträa,
Oder geben wir's her?"
Doch dreschen sie leeres Stroh nur,
Mit solcher Politik,
Sie sollten darüber befragen
Den König Menelik.
U in frag e.
Dem Modesport großer Zeitungen gemäß hat der „Wahre
Jacob" eine Reihe bekannter Zeitgenossen um Beantwortung
der Frage angegangen: „Warum bekämpfen Sie die
Sozialisten?" Die eingelaufenen Antworten drucken wir
nachstehend ab:
v. Plötz: Wegci'. ihrer Unzufriedenheit und Begehrlichkeit.
Stöcker: Weil sie es mit der Wahrheit sehr genau nehmen.
Bronsart v. Schell en dorf: Weil sie den Staat zu
einer großen Kaserne machen wollen.
Frhr. v. Stumm: Weil sie die Freiheit der Arbeiter
unterdrücken.
v. Hamm er stein, gew. Chefredakteur der f Zeitung:
Weil sie die Heiligkeit des Privateigentums leugnen.
v. Tausch: Weil sie kein Verständniß für das Interesse
des Staates haben.
v. Puttkamer: Weil ich durch sie um meine Stellung
gekommen bin.
v. Bismarck: Dito.
Ahlwardt: Weil sie mich uzen.
Stotz foufzer.
Ich lowe mir mei deires Sachsenland!
Da gann's weeß Knebbchen Iedsn jetzd gefallen.
Mer Hamm zwar ooch ä dessen Vierden Schdand,
Der awwer darf nich mucksen mehr noch lallen.
Rur Lens is mir in Innerschden fadal;
Ich grieche schon in voraus in de Lcke.
von Zeid zu Zetd ginnnd äne Reichsdagswahl —
Da sitzd de Karre jedesmal in Drecke.
Das nächste Mal, da griechmer unsre Rohd —
Da wählen wahrscheinlich alle Schdädte rohd!

Hierzu zwei Beilagen.

Im Erscheinen begriffen ist. GrsrHirHke der Druisrlzen Svzirrldrmvkrrakie von Franz Mehring. Erscheint in wöchentlichen Lieferungen ä, 20 Psg.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.
 
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