Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0188

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2530

Die Aufgabe einer Opposition, die so ge- vereine sich nicht mit Politik zu beschäftigen

artet ist wie die unsere, besteht offenbar vor.
allem darin, die Aufmerksamkeit der Oeffent-
lichkeit auf die Fehler und Vergehen des Herr-!
schenken Systems und der gegenwärtigen Re-
gierung zu lenke»; sie wird aber auch durch
ihre Initiative zu zeigen haben, daß sie, wenn
nöthig, positive Arbeit zu verrichten vermag.
Auf kommunalem Gebiete ist unsere Partei
ebenfalls thätig gewesen. Dank dem Propor-
tional-Wahlrecht sitzen in den meisten wich-
tigeren Gemeinde - Verwaltungen Vertreter
unserer Partei. Auch hier haben wir die
gemäßigten Liberalen sich mit den Katholiken
vereinigen sehen, um uns zu bekämpfen; trotz-
dem ist es uns in zahlreichen Gemeinden ge-
lungen, Reformen einzuführen.
Um unserem Vorgehen größere Einheit zu
geben und andererseits unsere Abgeordneten
zu unterrichten, haben die Gemeinderäthe des
Landes eine Föderation gebildet mit einem
Vorstand von fünf Mitgliedern und einem be-
zahlten Sekretär an der Spitze. Damit ist
eine Behörde geschaffen, die berufen ist, der
Partei werthvolle Dienste zu leisten und sie in
weitgehendem Maße auf die Zeit vorzubereiten,
wo sie in der Regierung ein Wort mitzureden
haben wird.
2. Die öllvnomilchc Seile. Die Verufsveeeine.
Der Bericht des Generalraths an den letzten
Kongreß konstatirt, daß seit April 1896
17 neue Gewerkvereine der Arbeiterpartei bei-
getreten sind. Die bereits existirenden haben
in überraschender Weise, dank dem Kampf, den
die Arbeitgeber gegen diese Organisationen
begonnen haben, an Mitgliederzahl zugenom-
men. Das Jahr 1896 sah zwei große Streiks:
den der Metallarbeiter in Gent und den der
Tischler in Brüssel. Die ersteren waren hin-
reichend organisirt und trugen den Sieg da-
von; die letzteren waren wenig organisirt und
hatten trotz eines energischen, mehrere Monate
langen Kampfes keinen Erfolg. Beide Streiks
lenkten die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse
auf die gewerkschaftliche Organisation, deren
Bedeutung beide aufs Klarste erwiesen. So
nahmen die Gewerkvereine in Gent von
2450 Mitgliedern im Jahre 1895 auf 9500 im
Jahre 1896 zu. Der Gewerkverein der Tischler,
der zu Beginn des Streiks nur 600 Mitglieder
zählte, hat jetzt deren 1500, die, um dem Ueber-
muth der Arbeitgeber zu begegnen, eine Ge-
nossenschafts-Werkstütte gründeten.
Die gewerkschaftliche Organisation beschäf-
tigt augenblicklich mit vollstem Recht die Ar-
beiterpartei in hervorragendem Maße. Jeder er-
kennt ihre Nothwendigkeit an; der Generalrath
spornt unsere Thütigkeit in dieser Richtung an;
alle Redner beschäftigen sich damit. Je mehr
sich aber die Gewerkschaften entwickeln, desto
nothweudiger wird eine feste Organisation.
Die Beitrüge von 15 bis 20 Centimes für die
Woche genügen nicht mehr; ein jeder Gewerk-
verein braucht einen ständigen bezahlten Sekre-
tär. Die Engländer haben dies schon längst
begriffen; seit einigen Monaten handelt man
in Belgien ebenso. Die Spinner, die Leinen-
arbeiter und die Metallarbeiter in Gent haben
ebenso wie die Metallarbeiter von Brüssel und
die Tischler einen stündigen Sekretär ernannt.
In nächster Zeit wird sich die Partei mit der
Errichtung eines zentralen Sekretariats für
die belgische Gewerkvereinsbewegung zu be-
schäftigen haben.
Unsere Gegner versuchen den Fortschritt
des Sozialismus zu hemmen, indem sie die
Gewerkvereine in eine vollkommene Neutralität
hincinzutreiben suchen; sie streben dem Ge-
danken Geltung zu verschaffen, daß die Gewerk-1

haben. Wir dagegen behaupten: „mehr Politik
als je für die Gewerkschaften; die gewerk-
schaftliche Organisation ist, wenn isolirt, zu
wachsender Ohnmacht verdammt, wie dies der
englische Trave-Unionismus beweist". Jede
Organisation muß sich nicht nur mit den be-
sonderen Reformen beschäftigen, die sie direkt
angehen, sondern auch auf die gänzliche Ver-
wirklichung unseres sozialistischen Programms
hinarbeiten. Eine andere Frage steht seit
einiger Zeit im Vordergrund des Studiums;
der Kongreß von 1896 hatte sie schon auf
seine "Tagesordnung gesetzt, später aber dem
diesjährigen Kongreß zugeschoben. Dieser hat
dann auch endgiltig über „die Einrichtung
einer allgemeinen Streikkasse für alle Organi-
sationen der Partei" entschieden. Die Idee
ist auf den ersten Blick verführerisch; sie scheint
der Bewegung größere Einheit, der Partei
größeren Einfluß und eine unwiderstehliche
Kraft zu geben. Man braucht aber die Frage
nur etwas genauer in ihrer praktischen Trag-
weite zu untersuchen, um ihre Gefahren und
Unbequemlichkeiten zu sehen, die bei Weitem
ihre Vortheile überwiegen würden. Zunächst
müßte nach der Ansicht der Mehrzahl ihrer
Mitglieder eine solche Kasse ohne Zweifel für
allo Bedürfnisse genügen. Nehmen wir an,
die Kasse sei gut mit Geldmitteln versehen.
Ein Streik bricht aus, dem ein Ausschluß
seitens der Unternehmer folgt. Der Streik
dauert mehrere Monate und die Kasse ist in
dem Augenblicke leer, wo sie am meisten Geld
gebrauchen wird. Der Gensralrath verbreitet
nun Subskriptionslisten; werden aber die Ar-
beiter nicht glauben, ihrer Pflicht durch die
Zahlung ihrer Beiträge an die allgemeine
Kasse genügt zu haben? Der Generalrath wird
also ohne Mittel sein. Andererseits wird das
Vorhandensein einer allgemeinen Kasse, die
man stets für reicher halten wird, als sie wirk-
lich ist, zu unüberlegten Streiks treiben, unter
denen die ganze Partei zu leiden haben wird.
Man muß also vielmehr die nationalen Fö-
derationen der Berufsvereine so stark und wohl-
organisirt machen, wie dies z. B die der Metall-
arbeiter ist. Jede Föderation sollte ihre Streik-
kasse haben; dann wird der Erfolg ihres Vor-
gehens von ihrer eigenen Organisation abhängen.
Damit ist nicht gesagt, daß die Partei sie
ohne Unterstützung lassen wird. Im Gegen-
theil; wie schon heute wird der Generalrath
bei einem gerechten Streik an die Solidarität
aller Sozialisten appelliren; und dieser Appell
ist immer erhört worden. Später, wenn alle
Arbeiter Mitglieder ihrer Organisation sind
und bedeutende Beitrüge zahlen, dann kann
man vielleicht daran denken, eine allgemeine
Kasse zu schaffen; heute wäre sie eher von
Uebel als von Nutzen.
Wir haben oben die Streiks der Metall-
arbeiter und Tischler besprochen; sie waren
die wichtigsten, aber nicht die einzigen des
Jahres. Nach der „Revue der Arbeit", dem
offiziellen Organ des Ministeriums, gab es in
der Zeit vom 1. Januar 1896 bis zum
31. März 1897 164 neue Streiks. 109 von
ihnen endeten mit der Niederlage der Arbeiter,
in 55 Fällen errangen sie einen Erfolg. Die
größte Zahl der Arbeitseinstellungen fällt in
die Monate Mürz, April und Mai 1896,
nämlich der Reihe nach 25 mit 4650 Arbeitern,
28 mit 4800 und 18 mit 4840 Arbeitern. Im
Mai 1897 gab es 18 Streiks mit 1407 Be-
theiligten.
Um ungerechtfertigte und unglückliche Streiks
zu vermeiden, hat die Arbeiterpartei be-
schlossen, daß nur dann in den Reihen der Par-
tei Unterstützungen gesammelt werden dürfen,

wenn die Frage dem Geueralrath zur Be-
gutachtung vorgelegen Habs. Anderen Falls
würde die Verantwortlichkeit für einen Streik
auf die Partei selbst zurückfallen, ohne daß
diese befragt worden wäre und ihre Ansicht
hätte aussprechen können.
8. Die Gcnofl'cnschafien.
Nicht alle unsere ausländischen Genossen
legen der Genossenschaftsbewegung dieselbe
Bedeutung bei, wie wir; aber ich wage zu
behaupten, daß ohne die Genossenschaften der
belgische Sozialismus bei Weitem nicht seine
jetzige Kraft besitzen würde. Sind nicht unsere
Genossenschaften bereits ein Schritt auf dem
Wege zu der Produktionsweise der sozialisti-
schen Gesellschaft? Die Schmarotzerrolle des
Kapitals ist verschwunden; wenigstens da, wo
es uns gelungen ist, uns von der kapitalisti-
schen Gesellschaft frei zu machen, die uns um-
giebt. Das soziale Kapital unserer Gesell-
schaften besteht aus Antheilen, die von ihren
Mitgliedern gezeichnet sind. In Brüssel betrug
dies Kapital im Jahre 1896 100770 Frs.;
augenblicklich 137990 Frs. Dies Kapital, das
aus Antheilen von 10 Frs. besteht, trägt keine
Zinsen; der Ertrag kommt also nur dem Pro-
duzenten zu Gute. Denn der Theil des Er-
trages, den der Konsument am Ende des Halb-
jahres im Verhältnis; zu seinen Einkäufen
erhält, ist in Wirklichkeit nur eine Rückzahlung,
die man durch die niedrigere Ansetzung der
Preise vermeiden könnte. Man wird aber das
heutige System lieber beibehalten, da es, ohne
gegen die Prinzipien zu verstoßen, die Führung
des Unternehmens erleichtert, das sonst die
geringste Krise in ein Defizit stürzen müßte.
Außerdem erspart der Konsument auf diese
Weise einen kleinen Betrag und die Familien-
mütter sind glücklich, am Ende des Halbjahres
über eine kleine Summe für neue Ankäufe
verfügen zu können. Ich sage „verfügen" und
nicht „erhalten", und dieser Unterschied hat
seine Bedeutung. Thatsächlich wird die Divi-
dende in den meisten Genossenschaften nicht
in baarem Gelde, sondern in Bons ausgezahlt,
welche der Konsument beim Ankauf anderer
Maaren verwerthen kann. Wir hängen also
nur für den Einkauf der Rohstoffe, deren wir
bedürfen, und in gewissen Fällen bei der An-
leihe von Kapitalien, die wir natürlich ver-
zinsen müssen, von der heutigen Gesellschaft ab.
So tragen also unsere Genossenschaften
durchaus nicht zur Schwächung des sozialisti-
schen Geistes bei, sie sind vielmehr die Leucht-
thürme, zu denen die aufschauen, die noch
nicht zu unseren Lehren bekehrt, aber bereits
von der organischen Thütigkeit unserer Be-
wegung ergriffen sind. Die Fortschritte unserer
Genossenschaften sind daher auch gewaltige.
Das Volkshaus in Brüssel zählte 1892 8000 Mit-
glieder, heute mehr als 12000. Die Bäckerei
liefert gegen 220000 Kilo Brot in der Woche
und die Dividenden für die Zeit vom März
1896 bis 31. Dezember 1896 betrugen nach
der letzten Abrechnung 290390 Frs. In Gent,
Jolimont, Anvers u. s. w. sind die Fortschritte
dieselben. Sie erschrecken unsere Gegner so
sehr, daß sie das Gesetz über die Produktiv-
genossenschaften abändern wollen, um diese
daran zu hindern, einen Theil ihrer Gelder der
Propaganda zu überweisen. Diese Drohungen
setzen uns aber nicht in Schrecken.
Mehrere Gewerkvereine haben im Kampfs
gegen die Unternehmer Werkstätten gegründet,
die unter dem Zwange der Verhältnisse die
Form von Genossenschaften angenommen haben.
Die Zuckerbäcker, die Steinbrucharbeiter in
Sprimont, die Schuhmacher in dem Borinage,
die Metalldreher besitzen solche Werkstätten;
 
Annotationen