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Grundlagen und Knfänge

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genommenen Kneifer den Zeilen entlang sucht. Das ist ein überraschend
lebendiges Motiv, das aber eine spätere Generation als zerstrenend und seiner
Art nach als zu gewöhnlich empfunden hat. Wie sehr die Passionsspiele
mit Trivialitäten gespickt waren, ist bekannt; man muß sich fnst wundern,
daß nicht mehr davon in die bildende Kunst ubergegangen ist. Doch kann
man bei einem Nachzügler, jenem Rathgeb, der den Altar von 1517 im
Stuttgarter Altertümermuseüm gemalt hat, eine Nase voll von diesem Ge-
schmack nehmen.Z

Das Zeitalter ist stolz auf seinen Naturalismus. Der Maler sucht den
verblüffenden Charakterkopf, aber das Ilberzeugend-Wirkliche ist alles, und
wir kommen aus einer ziemlich ordinären Gesellschaft nicht heraus. Mannig-
faltigkeit, aber keine Tiefe. Der Durchschnitt der mcnschlichen Natur ist ein
niedriger. Auch da gibt es natürlich Ausnahmen. Sprlin z. B. hat im
Chorgestühl des Ulmer Münsters wirktich bedeutende Köpfe. Jm allgemeinen
aber kommt für Tppen höherer Ordnung das Beste aus der Tradition und
man wird kaum sinden, daß auch nur sür die Stimmung des Ilngewöhn-
lichen die Mittel vorhanden gewesen wären. Auch eine Darstellung wie'
Schongauers Johannes auf Patmos gibt weder im Kopf noch in der Ge-
samthaltung das Außerordentliche.

Und doch erschöpft sich diese Zeit nicht im bloßen Natürlichen. Das Wirk-
liche stößt, wie schon gesagt, zusammen mit dein Verfeinerten, Überwirklichen.
Derselbe Schongauer, der mit entschlossenem Griff eine Menge charakteristischer
Erscheinungen des Tages fassen konnte, ist der preziöseste Umbildner des
Wirklichen bei Jdealfiguren. Das Bild der Schönheit, das diese Generation
sich machte, ist überhaupt kaum mehr von irdischer Art.

Spätgotische Schönheit ist undenkbar ohne feineLffnde, ohne lange Greif-
und Tastorgane. Wie Spinnenbeine gehen die Finger auseinander. Mit
solchen Händen betet Maria ihr Kind an, die künstliche Form durch eine
künstlichere Bewegung überbietend: die Berührung der Finger darf nur eine
ganz lockere sein/Z

Lang und schmal und eigentümlich zugespiht sind die Füße und bei schönem
Schreiten muß der eine quer vor den andern zu stehen kommen. Man kann
diesen Tritt ebensogut sinden bei dem Schongauerschen Christus in der Vor-
hölle wie bei den ritterlichen Figuren eines Sprlin (Fischkasten in Ulm, 1483).

p Beim Abendmahl schneuzt sich einer von den Jüngern, mit den Fingern natür-
lich. Judas wirst die Weinkanne zu Boden, die auf Weisung eines Dritten vom Wirt
aufgehoben werden muß rc.

p Die Aufänge dieser modischen Zierlichkeit liegen osfenbar in den Niederlandein
 
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