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Spätgotit und Renaissance - Die Arbeiten für Kaiser Mar

i.

(^^ürer ist ein Kind der Spätgotik. Die spätgotischen Formsympathien dauern
bei ihm, solange er lebt; er hat die welschen Formen bewundert und sich
bemüht, sie nachzuahmen, allein dabei ist so viel Unempsundenes und bloß auf
Hörensagen Übernommenes mitgelaufen, daß man sich fragt, wo denn die Not-
wendigkeit lag, mit italienischer Renaissance sich einzulassen. Die Antwort liegt
in der parallelen Geschichte der Figurenzeichnung. Und wie hier die natürliche
Empsindung im Banne des sremden Vorbildes sich Zunächst trübt, aber in jener
Schule der Klarheit, Gesetzlichkeit und Größe doch eine bleibend wertvolle Er-
ziehung durchmacht, so ist es aus dem Felde der dekorativen Formen gegangen.
An eine Ersetzung der heimischen Überlieferung durch das Fremde hat Dürer
noch nicht gedacht. Beides geht bis zuletzt nebeneinander her. Zu der Konstruktion
römischer Buchstaben in der Meßkunst (1525) gibt er auch die Konstruktionen
gotischer Buchstaben, er sügt nur eine moderne, „freiere" Variante bei. Man
könne es so halten oder anders, beides sei schön. Er spricht von antiken Säulen,
aber auch von gotischen Pfeilern, und durchaus nicht im Sinn einer überwun-
denen Sache. Trotzdem aber hat in den Grundlagen der Formanschauung eine
Veränderung stattgefunden, die mit der Zeit einen vollständigen Stilwandel
bringen mußte, und selbst Dinge wie die Randzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser
Maximilians, die scheinbar ganz frei gewachsen sind, blieben unerklärlich ohne
die italienische Vorbildung.

Dekorative Aufgaben sind in allen Perioden von Dürer behandelt worden,
und in den Formen von Bechern, Rahmungen, architektonischen Gründen hat
man Gelegenheit genug, die Pspchologie seiner Tektonik kennen zu lernen und
zu sehen, wie sein Formgefühl auf die ausländischen Anregungen reagiert hat.
Das Schauspiel seiner allgemeinen stilistischen Entwicklung wiederholt sich hier
im einzelnen. Jetzt, wo die großen dekorativen Austräge des Kaisers zu be-
trachten sind, möchte zunächst etwas Zusammenfassendes über Dürers Ge-
schmack am Platze sein.

Was ihm in der Natur gefällt, ist im wesentlichen das, was die Grundlage
der gesamten zeitgenössischen Spätgotik ausmacht. Er liebt knorpeliges Geäste,
 
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