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Die Xunst Mbrecht Dürers

sich in der durchsichtigen Mache, dem großen Strich, dem eigentümlichen Rhyth-
mus der Linien und Linienintervalle ganz gut mit Federzeichnungen Raffaels
vergleichen lasfen. Beide sind sie eben Cinquecentisten.

Die offenkundigste Wirkung hat die neue Zeichnung auf Holzschnitt und
Knpferftich gehabt. Der Stich entsagt der subtilen Behandlung der Platte aus
der Zeit des „großen Glücks" oder des „ersten Menschenpaars". Was nicht
beim Anblick des Ganzen als Linie wirkt, wird ausgeschieden. Jn festen klaren
Ringen umschließt die Zeichnung die Form. Und der Holzschnitt geht noch
meiter. Aus der kleinmelligen und stellenmeis punktierenden Technik des Marien-
lebens mird eine großzügige Manier, die in ihrer Tendenz aus das Einfache
nicht nur alle komplizierten Linien und Kreuzungen tunlichst vermeidet, sondern
sogar ihren Ehrgeiz darin sucht, so lange mie möglich mit der geraden Linie aus-
zukommen.

Das ist jetzt in höherem Grade möglich als früher, meil das Bild nach sortge-
schrittenem malerischen Geschmack in breiten Tonschichten sich ausbaut. Eine
gerade Schrassur kann unbedenklich über eine runde Form hingeführt merden,
sobald sienichtnn hohen Lichtsteht. Ganze Komplexeverschiedenartiger Forinen
merden einheitlich zusammengestrichen, anderseits aber neue Quellen maleri-
scher Reichtümer in den Richtungsgegensätzen der Strichlagen erschlossen. Enge
und Weite der Jntervalle spielt eine geringere Rolle gegenüber der Wirkung
dieser Richtungsdivergenzen. Man entdeckt, daß je nach der Orientierung des
Striches die gleiche Linienlage heller oder dunkler erscheint.

Das Auge ist aus Tonmerte eingestellt, aber gleichzeitig handelt es sich auch
um ein Sehen in großen Massen, um ein einheitlich zusammenfassendes Kom-
ponieren, das das geschlossenste Blatt der früheren Zeit zerbröckelt mirken läßt.
Zu der malerischen Einheit kann noch eine tektonische Einheit treten, sobald diese
graphischen Blätter nach Art der Gemälde behandelt merden mit genauer Ent-
sprechung der Seiten, durchgesührten Kontrasten u. s. m. Jedenfalls nehmen sie
teil an der allgemeinen Klärung des Bildstils, in dem Sinne, daß das Haupt-
motiv auch optisch gteich als das bedeutsamste sich geltend macht und zmischen
Thema und Begleitung das Verhältnis der ilber- und Ilnterordnung bestimmt
herausgebildet ist.

So sind um 1510 die Ergänzungsblätter zu den alten Folgen der großen
Passion und des Marienlebens entmorsen morden. Der Abstand mar empfind-
lich und es kam zu klnssenden Gegensätzen. Wenn man die Passion aufschlägt,
so steht an erster Stelle das modern gezeichnete Abendmahl und dann folgt in
der Darstellung des Ölbergs gleich eines der allerunbeholsensten alten Blätter.
Heutzutage mürde man stilistisch zu vermitteln suchen, Dürer gibt immer das,
mas er zuletzt schön gefunden hat, mit derselben Naivität, mit der die alten Bau-
 
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