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300 Die Xunst Klbrecht Dürers

Sehpyramide rückte das Zeichnen plötzlich in einen anderen Rang: es wurde
Mnthematik. Dürer ist für die perspektivische Wissenschaft mit Begeisterung
erfüllt. Man spürt in seinen Worten noch den ganzen Entdeckerjubel einer
Generation, die die Malerei als eine exakt zu lösende Aufgabe der darstel-
lenden Geometrie zu begreifen lernt.

Man sprach auch bereits oon den gesetzlichen Verhältnissen zwischen Licht
und Schatten, ja die Möglichkeit einer Farbentheorie dämmerite auf.

Jm Vordergrund steht indessen, was sich mit Messung sassen läßt. Die
Geometrie beherrscht den Geist der Zeit. Die Dinge messen können, heißt die
Dinge begreisen. Die Malerei bedarf der Messung nicht nur der Perspektive
wegen, um das Gesetz des „Augenbetrugs" zu verstehen, sie muß auch die
Maaße der dargestellten Dinge kennen. „Alles Geschassene ist bestimmt nach
Zahl, Gewicht und Maß."ch Dürer ist ein geometrischer Kops von Hause
aus gewesen. Jn keiner Geschichte der Mathematik wird er übergangen werden
können.H Auch dem komplizierten Gewächs des menschtichen Körpers nähert
er sich als Geometer. Es wird ihm erst wohl, wenn er die Form zwischen
die Linien eingespannt hat, die eine mathematisch präzise Bestimmung er-
lanben. Man wundert sich nicht, daß er schließlich wie ein Architekt ver-
sährt, und z.B. nach italienischem Muster alle Querschnitte eines Körpers über-
einander zeichnet, wie man einen Turm architektonisch ansnimmt. Dieses Messen,
meinte er, behalte seinen hohen pädagogischen Wert, auch wenn man in der
malerischen Praxis keine Anwendung davon mache. Das Wichtige war ihm
ossenbar, im Dorstellen des Körpers zu vollständig klarer Rechenschaft ge-
zwungen zu sein. Er würde sich aber kaum so angelegentlich damit besaßt haben,
hätte er nicht noch ein zweites Ziel im Auge gehabt: die Proportionen des
schönen Menschen zu sinden. Das ist die andere Seite der theoretischen
Forschungen, die wichtigere für Dürer. Jhr war das literarische Hauptwerk
gewidmet.

Daß die Malerei eine Wissenschaft sei, sagte zuerst Lionardo, und er besaß
allerdings eine Kennntnis des Wesens der Form und ihrer Erscheinung, wie
kein zweiter zu seiner Zeit, nicht einmal unter den Gelehrten. Allein es isr
für die ganze italienische Renaissance bezeichnend, daß die Kunst vom Anfang
an von einer Theorie begleitet wurde, die, mit der Lehre von den geometri-
schen Körpern und der Perspektive beginnend, vor allem die optischen Grund-
sätze theoretisch festlegen wollte, dnnn zu einer tabellarisch-erschöpsenden

0 nrn S. 285. Ein Aristoteleszitat des Pacioli, äivina. proportionk, e. II.

-) Eine auch Laien zugängliche Darstellung seiner mathematischen Verdienste gibt
Staigmüller, Dürer als Mathematiker, 1891.
 
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