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KUNSTGESCHICHTLICHE GRUNDBEGRIFFE

mehr zu spüren ist, so spricht der Formenrhythmus des Ganzen doch noch
eine vernehmliche Sprache und es wird keiner besonderen Überredung be-
dürfen, um in der Art, wie die Teile sich gegenseitig in Spannung halten, eine
Kunst anzuerkennen, die der der Faltenzeichnung innerlich verwandt ist.

Das Problem bleibt identisch bei den Bäumen der Landschafter: ein Ast,
das Fragment eines Astes — und man kann sagen, ob Hobbema oder Ruys-
dael der Autor ist, nicht nach einzelnen äußerlichen Merkmalen der „Manier“,
sondern weil alles Wesentliche der Formempfindung schon im kleinsten
Bruchteil vorhanden ist. Die Bäume Hobbemas, auch wo er dieselbe Spezies
malt wie Ruysdael, werden immer leichter erscheinen, sie sind gelockerter im
Umriß und stehen lichter im Raum. Ruysdaels ernstere Art belastet den Gang
der Linie mit einer eigentümlich wuchtigen Schwere, er liebt das langsame
Steigen und Fallen der Silhouette, er hält die Laubmassen kompakter zu-
sammen und es ist überaus charakteristisch, wie er die einzelnen Formen
nicht voneinander loskommen läßt in seinen Bildern, sondern ein zähes In-
einander gibt. Ein Stamm silhouettiert sich selten frei gegen den Himmel.
Viel schwer wirkende Horizonthinterschneidung und dumpfe Berührung von
Baum und Bergumriß. Wo Hobbema umgekehrt die anmutig springende
Linie liebt, die aufgelichtete Masse, das geteilte Terrain, die lieblichen Aus-
schnitte und Durchblicke: jeder Teil wieder ein Bildchen im Bild.

Feiner und feiner werdend muß man in dieser Art den Zusammenhang des
Einzelnen und des Ganzen bloßzulegen versuchen, um zur Bestimmung indi-
vidueller Stiltypen zu gelangen, nicht nur in der zeichnerischen Form, auch
in der Lichtführung und Farbe. Man wird begreifen, wie eine bestimmte
Formauffassung sich notwendig mit einer bestimmten Farbigkeit verbindet
und wird allmählich den ganzen Komplex persönlicher Stilmerkmale als Aus-
druck eines bestimmten Temperamentes verstehen lernen. Für die beschrei-
bende Kunstgeschichte ist hier noch sehr viel zu tun.

Nun zerfällt aber der Verlauf der Kunstentwicklung nicht in lauter ein-
zelne Punkte: die Individuen ordnen sich zu großem Gruppen. Botticelli
und Lorenzo di Credi, verschieden unter sich, sind sich doch ähnlich als
Florentiner gegenüber jedem Venezianer, und Hobbema und Ruysdael, so
sehr sie auseinandergehen, werden sofort gleichartig, sobald man ihnen, den
Holländern, einen Flamen wie Rubens gegenüberstellt. Das heißt: neben
den persönlichen Stil tritt der Stil der Schule, des Landes,
der Rasse. ^

Lassen wir holländische Art durch den Kontrast flämischer Kunst deutlich

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