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EINLEITUNG

werden! Die flache Wiesenlandschaft bei Antwerpen bietet an sich kein
anderes Bild als die holländischen Weidegründe, denen die heimischen Maler
den Ausdruck des ruhigsten Ausgebreitetseins gegeben haben. Wenn aber
Rubens diese Motive behandelt, so scheint der Gegenstand ein ganz anderer
zu sein: das Erdreich wirft sich in schwungvollen Wellen, Baumstämme
winden sich leidenschaftlich empor und ihre Laubkronen sind so sehr als ge-
schlossene Massen behandelt, daß Ruysdael und Hobbema jetzt gleichmäßig
als äußerst feine Silhouettierer daneben erscheinen. Holländische Subtilität
neben flämischer Massigkeit. Verglichen mit der Bewegungsenergie der
Rubensschen Zeichnung wirkt alle holländische Form still, gleichgültig ob es
sich um den Anstieg eines Hügels handelt oder um die Art, wie ein Blumen-
blatt sich wölbt. Kein holländischer Baumstamm hat das Pathos der flämi-
schen Bewegung und selbst die mächtigen Eichen Ruysdaels erscheinen
noch feingliedrig neben den Bäumen des Rubens. Rubens geht mit dem
Horizont hoch hinauf und macht das Bild schwer, indem er es mit viel Ma-
terie belastet, bei den Holländern ist das Verhältnis von Himmel und Erde
grundsätzlich anders: der Horizont liegt tief und es kann Vorkommen, daß
vier Fünftel des Bildes der Luft überlassen sind.

Das sind Beobachtungen, die natürlich erst Wert gewinnen,, wenn sie sich
verallgemeinern lassen. Man muß die Feinheit holländischer Landschaften
Zusammenhalten mit verwandten Phänomenen und bis in das Gebiet der
Tektonik hinein verfolgen. Die Schichtung einer Backsteinmauer oder das
Flechtwerk eines Korbes ist in Holland ebenso eigentümlich empfunden wor-
den wie das Laubwerk der Bäume. Es ist charakteristisch, daß nicht nur ein
Feinmaler wie Dov, sondern auch ein Erzähler wie Jan Steen mitten in der
ausgelassensten Szene für die reinliche Zeichnung eines Korbgeflechtes Zeit
hat. Und das Liniennetz der weiß verstrichenen Fugen eines Backstein-
baues, die Konfiguration sauber gesetzter Pflastersteine, alle diese kleintei-
ligen Muster sind von den Architekturmalern recht eigentlich genossen wor-
den. Von der wirklichen Architektur Hollands aber wird man sagen können,
daß der Stein eine besondere spezifische Leichtigkeit gewonnen zu haben
scheine. Ein typischer Bau wie das Amsterdamer Rathaus vermeidet alles,
was im Sinne flämischer Phantasie die Erscheinung der großen Steinmasse
ins Gewichtige drängen könnte.

Man stößt hier überall auf Grundlagen nationalen Empfindens, wo der
Formgeschmack sich unmittelbar berührt mit geistig-sittlichen Momenten,
und die Kunstgeschichte hat noch dankbare Aufgaben vor sich, sobald sie

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