Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTGESCHICHTLICHE GRUNDBEGRIFFE

Form der Decke; die barocke Gewölbemalerei charakterisiert sich als barock
dadurch, daß sie den Reiz des Hintereinander in den der Illusion erschlos-
senen Tiefenräumen ausbeutet. Correggio hat diese Schönheit zuerst ge-
ahnt — mitten in der Hochrenaissance —, immerhin sind erst im Barock
die eigentlichen Konsequenzen der neuen Anschauung gezogen worden.

Eine Wand gliedert sich für das klassische Gefühl in Felder, die, ver-
schieden nach Höhe und Breite, eine Harmonie darstellen, auf der Basis
eines reinflächigen Nebeneinanders. Kommt eine räumliche Differenz hin-
ein, so verschiebt sich das Interesse sofort, dieselben Felder würden dann
nicht mehr dasselbe bedeuten. Die Flächenproportionen werden nicht gleich-
gültig, aber neben der Bewegung der Vor- und Rücksprünge können sie
sich nicht mehr als das Primäre in der Wirkung behaupten.

Für den Barock gibt es keinen Reiz der Wanddekoration ohne Tiefe. Was
früher im Kapitel der malerischen Bewegung erörtert wurde, läßt sich auch
unter diesen Gesichtspunkt bringen. Keine malerische Fleckenwirkung kann
das Element der Tiefe ganz entbehren. Wer immer es gewesen ist, der im
18. Jahrhundert den alten Grottenhof in München umzubauen hatte, ob
Cuvillies oder ein anderer: es schien dem Architekten unumgänglich, ein
mittleres Risalit vorzuziehen, um der Fläche das Tote zu nehmen.

Die klassische Architektur hat die Risalite auch gekannt und gelegent-
lich verwertet, aber in ganz anderm Sinne und mit ganz anderer Wirkung.
Die Eckrisalite der Cancelleria sind Vorlagen, die man sich auch losgelöst von
der Hauptfläche denken könnte, bei der Fassade des Münchner Hofes wüßte
man nicht, wie man den Schnitt machen sollte. Das Risalit wurzelt in der
Fläche, von der es nicht getrennt werden kann, ohne mit tötlicher Ver-
letzung in den Körper einzugreifen. So ist das vorspringende Mittelstück
am Palazzo Barberini zu verstehen und noch typischer, weil unauffälliger,
die berühmte Pilasterfront des Palazzo Odescalchi in,Rom, die um ein
weniges vor den ungegliederten Flügeln vortritt. Das faktische Tiefenmaß
kommt hier gar nicht in Betracht. Die Behandlung von Mittelstück und
Flügeln ist der Art, daß der Eindruck der durchgehenden Fläche ganz unter-
geordnet bleibt dem dominierenden Tiefenmotiv. So hat auch der beschei-
dene Privatbau jederzeit mit minimalen Vorsprüngen das Bloß-Flächige der
Wand zu nehmen gewußt, bis dann um 1800 eine neue Generation kommt,
die sich wieder rückhaltlos zur Fläche bekennt und alle Reize, die die ein-
fachen tektonischen Verhältnisse mit einem Schein von Bewegung umspielen,
ablehnt, wie das schon im Kapitel des Malerischen dargetan werden mußte.
128
 
Annotationen