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BESPRECHUNGEN

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Grund dieser Voraussetzungen konnte Lill darangehen, von Entstehungsgeschichte
und Reichweite der Kunst Hans Leinbergers ein neues Bild zu entwerfen.

Die Unterlage bot eine ertragreiche, neue Überprüfung der archivalischen Quel-
len. Lill konnte auf diese Weise die Stiftung des Moosburger Marienaltars auf die
Zeit zwischen Frühjahr 1508 und Herbst 1511, den Arbeitsbeginn wahrscheinlich
auf 1511, die Aufstellung zu Ostern 1514, die Fertigstellung durch Hinzufügung der
Gemälde auf spätestens Frühjahr 1516 festlegen. Quellenmäßig konnte für die
Bronzefigur des Grafen Albrecht von Habsburg am Innsbrucker Maximiliansgrab
Leinbergers umstrittene Vaterschaft von neuem glaubhaft gemacht werden. Bange
hatte diese Zuschreibung einmal mit dem Satz abgelehnt, daß diese Frage letzten
Endes nur mit stilistischen Gründen gelöst werden könne. Nun ist, glaube ich, die
Erkenntnis des Stiles Leinbergers soweit geklärt, daß auch diejenigen zu überzeugen
sein müssen, die früher unsere Auffassung bestritten.

Bei der Einordnung der nur stilkritisch beglaubigten Werke bildete Lill Gruppen,
deren Entstehung etwa innerhalb eines Jahrfünftes auf Grund ihres gemeinsamen
Charakters anzunehmen ist. Auf diese Weise erreichte er, daß für die überaus viel-
fältigen und verschieden gearteten künstlerischen Äußerungen ein gemeinsamer
Nenner sichtbar gemacht wird und jener tiefe Atemzug der genialen Persönlichkeit
gewahrt bleibt, den allzu oft die kunsthistorischen Rekonstruktionen eines Lebens-
werkes vermissen lassen. Es ist hier nicht der Platz, die sämtlichen Leinberger zu-
zuschreibenden Bildwerke einzeln durchzusprechen und zu vermerken, wo wir viel-
leicht — wie z. B. bei der Magdalena aus Marklkofen oder bei dem Klein-Crucifixus
des Berliner Museums — eine etwas andere chronologische Einordnung vorziehen
würden oder — beispielsweise bei der Maria von Hörzhausen — mehr die Wirksam-
keit der Werkstatt zu erkennen glauben. Dieser Spielraum einer anderen Deutung
kann nie ausgeschaltet werden. Wohl aber möchte ich sehr betonen, daß ich an der
Zuschreibung des Georg der Münchener Frauenkirche an Leinberger auch auf Grund
der neuen Schau Leinbergers unbedingt festhalte. Den Beweis hoffe ich in anderem
Zusammenhang vorbringen zu können.

Grundlegend ist, daß Lill unter Benützung aller der kunsthistorischen For-
schung zur Verfügung stehenden Hilfsmittel ein Vorstellungsbild geschaffen hat, das
es erlaubt, die künstlerische Bedeutung und Auswirkung Leinbergers neu zu er-
messen. In meinem Leinbergeraufsatz 1932 betonte ich schon, daß Leinbergers Werk
nicht aus örtlichen Traditionen abgeleitet werden könne, daß sie „vielmehr in jenem
Bereich wurzelt, den man mit dem Begriff des Donaustiles zu bezeichnen pflegt".
Lill faßt diese Ableitung präziser und findet — unbeschadet des Zusammenhanges
mit dem ganzen ostmärkischen Künstlerkreis des Kaisers Maximilian — vor allem
in der Wiener Monumentalplastik der Zeit gegen 1510 ganz bestimmte formale Vor-
aussetzungen für Leinbergers Stilbildung. Wien war damals ein Vorort jener im
Südosten ebenso schnell wie in Augsburg oder Basel sich durchsetzenden Renais-
sancebewegung. Daß es falsch ist, für die deutschen Bildhauer dieser Zeit eine un-
mittelbare Auseinandersetzung mit Italien zu vermuten, glaube ich in anderem Zu-
sammenhang (Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst, N. F. XIII, S. 66) gezeigt
zu haben. Ihnen eignete noch nicht das Organ für jene Objektivierung des Plasti-
schen, die sich beispielsweise im Werk eines Donatello bereits vollzogen hatte. Auch
die Raum- und Körperplastik Leinbergers ist nur mittelbar mit Italienischem in Be-
ziehung zu setzen. Das vorauszusetzende Medium war die Malerei jener Meister,
-die, von Pacher angefangen über Reichlich zu Breu, Beck, Cranach, Altdorf er und
Huber eben damals im Bereich der ostmärkischen Donaulande wirklich neue Aus-
drucksmöglichkeiten erschlossen hatten. Es ist deshalb m. E. (ganz unabhängig von
 
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