Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
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Die Kontinuität herkömmlicher Arbeitsweisen wird, auch bei den auf diesem
Gebiet fortschrittlich eingestellten Künstlern, viel stärker gewesen sein als man
auf den ersten Blick annehmen möchte. 250 Als Liebermann 1894 erstmals ein
großformatiges Ausstellungsbild ganz im Freien erarbeitet und vollendet, näm-
lich sein zwei Meter hohes Gemälde Schreitender Bauer; malt er das Bild nicht
etwa ad hoc vor dem Modell, sondern fertigt zunächst einige Ölskizzen an, die
der Suche nach der besten Stellung des Bauern in der Landschaft dienen, und
studiert Haltung und Gesichtsausdruck seines Modells in zahlreichen Detailstu-
dien. 251 Noch 1908 wird in Lovis Corinths Handbuch Das Erlemen der Malerei
die Funktion der Skizze im Werkprozeß fest umrissen: Sie diene der Suche nach
der passenden Anordnung der Bildgegenstände und deren adäquater künstle-
rischer Umsetzung. 252
Die Vorstellung von dem, was als vollendet und was als unvollendet anzuse-
hen sei, war bei impressionistisch orientierten Künstlern durchaus ausgeprägt.
Ludwig Dettmann, der 1889 auf einer kurzen Studienreisen nach Paris, Holland
und London mit dem französischen Impressionismus in Berühmng gekommen
war und im Verlauf der 1890er Jahre eine religiöse und soziale Genremalerei im
Stil Fritz von Uhdes pflegte, beschriftete sein 1895 entstandenes mittelgroßes
Gemälde Kinderreigen mit »absichtlich Unvollendet [sic] gelassen«, um zu be-
kunden, daß dieses Werk von ihm nicht als vollendet angesehen wurde. 253
249 Zum Problem der Verbindung von Nah- und Fernsicht bei der Umformung einer Skizze zu ei-
nem abgeschlossenen Bild: Werner Busch, Die autonome Olskizze in derLandschaftsmalerei. Der
wahr- undfiir wahrgenommene Ausschnitt aus Zeit und Raum, in: Pantheon 41, 1983, S. 126-133,
S. 126
250 Das gilt auch fiir die französischen Impressionisten. Siehe: Kat. zur Ausst.: Art in the Making.
Impressionism, hg. v. David Bomford, Jo Kriby, John Leighton u. Ashok Roy, National Gallery,
London, 28.11.1990 - 21.4.1991, New Haven u. London 1990, S. 26f.
251 Eberle 1995, Nr. 1894/10; die vorbereitenden Studien und Skizzen: Nr. 1894/7-9. Um seine Ar-
beit im Freien zu dokumentieren, ließ sich Liebermann mit Leinwand und Modell in den Dü-
nen photographieren (Eberle 1979, Abb. S. 39).
252 Lovis Corinth, Das Erlemen derMalerei. Ein Handbuch, Berlin 1908, 3. Aufl. Berlin 1920, S. 88:
»Wenn der Maler ein Bild plant, so pflegt er vorher eine Kompositionsskizze davon zu ent-
werfen mit Stift oder mit Farbe. Hierdurch verschaffi er sich Klarheit über die Gruppierung der
Figuren, über die Fleckenwirkung der Farben und über das Format.«
253 Kinderreigen, 1895, Öl/Lwd./Pappe, 54,6 x 57,8 cm, bez. u. r.: Ludg Dettmann 1895/absicht-
lich Unvollendet gelassen, Kunstmuseum Düsseldorf; Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. MitAus-
nahme derDüsseldorferSchule, bearb. v. Rolf Andree, (=Kataloge des Kunstmuseums Düsseldorf,
Malerei, Bd. I), Mainz 1981, Nr. 29
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Die Kontinuität herkömmlicher Arbeitsweisen wird, auch bei den auf diesem
Gebiet fortschrittlich eingestellten Künstlern, viel stärker gewesen sein als man
auf den ersten Blick annehmen möchte. 250 Als Liebermann 1894 erstmals ein
großformatiges Ausstellungsbild ganz im Freien erarbeitet und vollendet, näm-
lich sein zwei Meter hohes Gemälde Schreitender Bauer; malt er das Bild nicht
etwa ad hoc vor dem Modell, sondern fertigt zunächst einige Ölskizzen an, die
der Suche nach der besten Stellung des Bauern in der Landschaft dienen, und
studiert Haltung und Gesichtsausdruck seines Modells in zahlreichen Detailstu-
dien. 251 Noch 1908 wird in Lovis Corinths Handbuch Das Erlemen der Malerei
die Funktion der Skizze im Werkprozeß fest umrissen: Sie diene der Suche nach
der passenden Anordnung der Bildgegenstände und deren adäquater künstle-
rischer Umsetzung. 252
Die Vorstellung von dem, was als vollendet und was als unvollendet anzuse-
hen sei, war bei impressionistisch orientierten Künstlern durchaus ausgeprägt.
Ludwig Dettmann, der 1889 auf einer kurzen Studienreisen nach Paris, Holland
und London mit dem französischen Impressionismus in Berühmng gekommen
war und im Verlauf der 1890er Jahre eine religiöse und soziale Genremalerei im
Stil Fritz von Uhdes pflegte, beschriftete sein 1895 entstandenes mittelgroßes
Gemälde Kinderreigen mit »absichtlich Unvollendet [sic] gelassen«, um zu be-
kunden, daß dieses Werk von ihm nicht als vollendet angesehen wurde. 253
249 Zum Problem der Verbindung von Nah- und Fernsicht bei der Umformung einer Skizze zu ei-
nem abgeschlossenen Bild: Werner Busch, Die autonome Olskizze in derLandschaftsmalerei. Der
wahr- undfiir wahrgenommene Ausschnitt aus Zeit und Raum, in: Pantheon 41, 1983, S. 126-133,
S. 126
250 Das gilt auch fiir die französischen Impressionisten. Siehe: Kat. zur Ausst.: Art in the Making.
Impressionism, hg. v. David Bomford, Jo Kriby, John Leighton u. Ashok Roy, National Gallery,
London, 28.11.1990 - 21.4.1991, New Haven u. London 1990, S. 26f.
251 Eberle 1995, Nr. 1894/10; die vorbereitenden Studien und Skizzen: Nr. 1894/7-9. Um seine Ar-
beit im Freien zu dokumentieren, ließ sich Liebermann mit Leinwand und Modell in den Dü-
nen photographieren (Eberle 1979, Abb. S. 39).
252 Lovis Corinth, Das Erlemen derMalerei. Ein Handbuch, Berlin 1908, 3. Aufl. Berlin 1920, S. 88:
»Wenn der Maler ein Bild plant, so pflegt er vorher eine Kompositionsskizze davon zu ent-
werfen mit Stift oder mit Farbe. Hierdurch verschaffi er sich Klarheit über die Gruppierung der
Figuren, über die Fleckenwirkung der Farben und über das Format.«
253 Kinderreigen, 1895, Öl/Lwd./Pappe, 54,6 x 57,8 cm, bez. u. r.: Ludg Dettmann 1895/absicht-
lich Unvollendet gelassen, Kunstmuseum Düsseldorf; Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. MitAus-
nahme derDüsseldorferSchule, bearb. v. Rolf Andree, (=Kataloge des Kunstmuseums Düsseldorf,
Malerei, Bd. I), Mainz 1981, Nr. 29