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Verein zur Erforschung der Rheinischen Geschichte und Altertümer <Mainz> [Hrsg.]
Zeitschrift des Vereins zur Erforschung der Rheinischen Geschichte und Altertümer — 3.1868-87

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Heft 2 und 3
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Wernher, Adolf: Der Typhus in Mainz (und Torgau) in den Jahren 1813 und 1814
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https://doi.org/10.11588/diglit.27370#0367

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351

einem Todesurtheile gleich. Im Monate November allein starben 8000
Unglückliche. — Auf allen Strassen lagen Leichen von Soldaten, welche aus
den Häusern geworfen worden waren, halbverweste Cadaver von Pferden.
Viele Soldaten verliessen im Delirium die Lazarethe, irrten auf den Strassen
umher, starben auf ihnen oder verkrochen sich in Ställen und Scheunen
und verschmachteten hülfios aus Mangel an Nahrung und Wasser. Die
ganze Garnison war krank, so dass die Wachen kaum besetzt werden
konnten. Viele Soldaten erfroren und starben auf ihrem Posten.
Unter der Civil-Bevölkerung wüthete die Seuche bald fast eben so
stark als unter der Garnison. Es starb etwa ein Fünftel der noch an-
wesenden Civil-Bevölkerung. Keine Familie war ohne Verlust, und manche
starben ganz aus. Im Dezember stand die Seuche auf ihrer Höhe, es starben
täglich gegen 600 Personen; von da an nahm sie ab.
Eine Erleichterung gab das Bombardement, indem fast alle Fenster
sprangen, ohne ersetzt werden zu können, das schaffte reinere Luft — die
Ueberfüllung wurde gelichtet durch den Tod und nachdem alle deutschen
Staaten angehörige Truppen entlassen waren. Erst im Anfänge 1814 verlor
die Seuche ihre Bösartigkeit, es kamen wieder einzelne Fälle von Heilung
vor. Am 10. Januar 1814 wurde die Stadt übergeben. Stabsarzt Richter,
später Generalarzt, suchte die Stadt zu reinigen, die Epidemie liess nun
auch allmählich bei den Bürgern nach. Vom September bis 1. Januar
waren in denKirchenbüohern und den Listen derTodtengräber eingetragen:
20,437 Beerdigte, darunter 19,757 Militär; die Zahl der sämmtlichen Ver-
storbenen war jedoch viel grösser. Alle Todtengräber waren gestorben, und
ihre Listen wurden nicht weiter fortgeführt. Auf den Vorwerken und auf
dem Brückenköpfe verscharrte man die Leichen „sans ceremonie" oder warf
sie in die Elbe. Die Elbmühlen unterhalb der Stadt standen still wegen
der Menge der Leichen, welche sich an den Rädern verhangen hatten. Im
Ganzen schätzte man den Verlust in Torgau in 4 Monaten auf 29,000—30,000
Personen, bei einer Civil-Bevölkerung von 4—5000.
Ein schwaches Corps preussischer Truppen kam nicht in die Stadt,
sondern bezog ausserhalb derselben ein Lager. Richter sah die Epidemie
zu Ende gehen, denn, so sagt er sehr bezeichnend: Wer hätte denn noch
sterben sollen? Graefe fand, als er nach derUebergabe die Lazarethe unter-
suchte, auf den Höhen derselben mit Leichen gefüllte Wagen, um deren
Fortschaffung sich Niemand bekümmerte. Am Eingänge der Lazarethe lagen
Leichen halb mit Schnee bedeckt. Alle Krankenstellen waren mit Koth be-
sudelt, die Luft war hierdurch und durch das faule Lagerstroh so verpestet,
dass das Athmen mühsam und ekelhaft wurde. Von dem Bataillon, welches,
nachdem die Stadt gereinigt war, nach einem Monate als Garnison eingelegt
wurde, starben in 3 Monaten noch 300 Mann. Am Tage der Uebergabe
war der Krankenbestand noch 55 Offiziere und 3983 Mann Soldaten.
 
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