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Buchner, Ernst [Hrsg.]
Oberdeutsche Kunst der Spaetgotik und Reformationszeit — Augsburg, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.29752#0192

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ENGELBERT BAUMEISTER / ÜBER EINIGE ALTDEUTSCHE

ZEICHNUNGEN

Zu den Zeichnungen deutscher Meister, die
auf der Yersteigerung der Sammlung Ro-
driguez bei Muller in Amsterdam 1921 für
Deutschland gewonnen werden konnten, gehört
eine Geißelung Christi.1 (Abb. 1 02.) Sie gelangte
in den Besitz der Graphischen Sammlung zu Mün-
chen. ImVersteigerungs-Katalog ist das Blatt als
Art des H. S. Beham aufgeführt, doch ergibt eine
nähere Prüfung, daß eine Arbeit von Schäufelein
vorliegt.

Bei Schäufelein fällt die dekorative Auswertung
der Binnenzeichnung auf. Belebung mit schwin-
genclen und sic.h windenden Linien erscheint ihm
reizvoller als sachliche Durchmodellierung. Ahn-
lich wie der Leib des vom Teufel geplagten Hiob
auf der Zeichnung in Berlin,” nur reicher noch,
ist der Christuskörper des Münchner Blattes be-
handelt. Die Linien sind in schmückendem Sinne
so angeordnet, daß fast der Eindruck von Täto-
wierung erweckt wird. Im übrigen sind die kräf-
tigen gedrungenen Gestalten und die an Dürer
sich anlehnenden Gesichtstypen mit langen ge-
buckelten und gesattelten Nasen bekannte Er-
scheinungen in Schäufeleins Stil. Auch die halb-
hohe aus flachen Steinen errichtete Mauer ist eine
Hintergrundskulisse, clie von ihm ungezählteMale
verwandt wurde.

Die Zeichnung, deren kreisrunde Fassung auf
den Entwurf für ein Glasgemälde schließen läßt,
kann in die mittlere Schaffensperiode Schäufeleins
gesetzt werden. Das durch zierliche Häkchen ge-
bildete knittrige Gefältel und im Gegensatz hier-
zu die straff gereckten Gewandteile des linken

1) Federzeichnung in braun, 210 : 206.

2) Nr. 8.

5) Friedländer-Bock, Handzeiclinungen deutscher Meister des
XV. und XVI. Jahrhunderts, Tfl. 44.

Schergen sind ebenso wie die gedrehten Locken
des Schergen rechts Eigentümlichkeiten, die sich
auch bei den Holzschnitten des zum größtenTeil
von Schäufelein illustrierten „Neuen Testamen-
tes“ beobachten lassen, das 1523 im Verlag von
Schoensperger d. J. in Augsburg erschien.4 Da
die Trachten zeitgemäß sind, liegt kein Grund
vor, anzunehmen, daß die Holzschnitte schon
längere Zeit vor der Ausgabe des Werkes von
Schäufelein gezeichnet wurden.5 In den Dar-
stellungen der Apokalypse lehnt sich Schäufelein
inhaltlich an Dürer an. Diese gegenständliche
Anleihe hat auch auf seinen Stil abgefärbt. Die
Einwirkungvon Dürers Kunst, die während seines
Augsburger Aufenthaltes zurückgetreten war,
kommt nun wieder stärker zu Worte. Auch bei
unserer Zeichnung wird Dürers Einfluß wieder
deutlich spürbar. Der Ausdruck der Köpfe ruft
sogar die Erinnerung an Schäufeleins Frühwerke
wach, die er noch ganz im Banne seines großen
Zeitgenossen schuf: ich meine Schäufeleins Holz-
schnitte im Speculum passionis, das 15 o 7 in Nürn-
berg erschien. Da bekannt ist, daß Schäufelein
auch nach seiner Übersiedlung nach Nördlingen
im Jahre 1515 noch im Verkehr mit Dürer ge-
blieben ist, kann in unserem Falle engere per-
sönliche Fühlung auf den leicht empfänglichen
Schäufelein vorübergehend gewirkt haben wie
ein Trunk aus einer belebenden Kraftquelle.

Bei dieser Gelegenheit sei darauf aufmerksam
gemacht, daß der Hans Weiditz zugeschriebene

4) Man vergleiche z. B. das Blatt mit den apokalyptischen
Reitern. Mnther, Die deutsche Buchillustration der Gotik
usw., Tfl. 196.

5) Abgesehen von dem Pfingstfest, das bereits 1512 in einem
Evangelienbuch erschien und stilistisch sich wesentlich von
übrigen Holzschnitten unterscheidet.
 
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