Die Nachtigall von Schilda.
schnatternden Gänse, und beim Festatz hatte mit lieblicher Stimme
der Stadtpoet seine neuesten Earmina zum Besten gegeben.
Da hatte der Gast sich lächelnd zu seinen Begleitern gewandt:
„Ihre Gänse sind gut, auch ihre Gänschen nicht ohne; was aber
ihre Singvögel anlangt-Nachtigallen haben sie nicht!" Und
war wieder abgefahren.
Die Schildbürger aber wurmte cs tief, daß sie keine Nachtigall
haben sollten. Denn cs mochte wohl ein gar köstlicher Vogel sein,
wenn er einem Kaiser noch über die Martinsgans ging. Und man
beschloß, Sendboten auszuschicken in alle vier Winde, solch Kleinod
zu erwerben.
Und wurde nun in Schilda Tag und Nacht von nichts anderem
gemunkelt und fabulirt als von der Nachtigall; auf allen Bier-
bänken, in allen Küchen, in Gaffen und pöfen trieb sie ihr Wesen,
in allen Betten wurde sie beschlafen.
Wunderdinge konnte man von ihr hören, daß sie Köpfe habe,
sechs an der Zahl, karminroth mit silbernen Krönchen, daß sie
goldene Häufchen unter sich mache, daß sie Nüsse knacken und zwei-
stimmig singen könne, und es war ein erhebender Augenblick, als
die Boten heimkehrten und, unter Glockengeläut und holdseligem
Gesänge der Schulkinder, der sorglich verhüllte Bauer, darinnen die
Nachtigall, auf's Rathhaus gebracht wurde.
Aber die Stadträthe erblichen und ihrem Vberhauxte schlotterten
die Kniee: Da saß ja im Käfig ein ganz gewöhnlicher Piepmatz,
dürftig und klein wie ein Spatz, und drückte sich ängstlich zusammen!
Patte auch bei Leibe keine sechs Köpfe, und war auch kein goldenes
päufchen zu erspähen.
Doch zur Ehre der Schildbürger sei es gesagt — verhältniß-
inäßig rasch reifte in ihren Schädeln die Erkenntniß, daß der Werth
des wunderlichen Vogels ein innerer sein müsse, wie ja doch auch
dem Bürgermeister Niemand von außen seine Gescheidtigkcit an-
sehen konnte.
Und so gelangte man denn nach gründlicher Ueberlegung und
unter wohlwollender Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zu
einer Beschlußfassung, die ihrem wesentlichen Inhalte nach Folgen-
des besagte: „Da mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit
der innere Werth des in Frage befangenen Gethieres darin beruhe,
daß ein Bissen, von seinem Fleische genossen, siebenmal klüger
mache als den gewecktesten Kopf in Schilda und den angrenzenden
Königreichen, so solle in Frage befangener Vogel durch den Raths-
küchenmeister vom Leben zuin Tode gebracht, gebraten und auf-
getischt werden, auf daß ihn Rath und verordnete der Stadt
geineinsam verzehren möchten, damit sie wüchsen an Einsicht und
Umsicht zur Ehre Ihrer Selbst und zum mehreren Wohle des ge-
meinen Wesens."
Und man mußte gestehen, daß dies eine wohlbedachte und
weise Beschlußfassung sei und daß Schilda ein Recht hatte, voll
Stolzes zu sein der unvergleichlichen Ein- und Umsicht einer gott-
begnadeten Dbrigkeit.
Und so stand denn der große Tag des Festschmauses vor der
Thüre. Der Prunksaal des Rathhauses war geschmückt mit pur-
purnen Teppichen und Guirlanden, und die Bürger hatten Talg-
lämpchen vor die Fenster gestellt, nur am Abende der allgemeinen
Erleuchtung symbolisch Ausdruck zu geben.
Die Nachtigall aber war den, Küchenmeister überantwortet
worden.
Es war spät am Abend, und die Schildbürger lagen schon
lange in ihren Federn; auch der Küchenmeister hatte die Nachthaube
über die Ghren gezogen.
Nur der Küchenjunge saß noch am perde, still und gedanken-
voll, und schabte Rübchen. Er hatte ein gutes, dummes Gesicht
und war verliebt in das Aufwaschmädel, und so saß er denn mit
einein glücklichen Lächeln und schabte.
Der Mond schien freundlich dnrch's Küchenfenster und draußen
im Garten dufteten die Linden.
Da — o Wunder — erklang cs mit einem Male wie ein
schmerzlichsüßer Gesang, inid der Junge merkte mit Staunen, daß
der liebliche Ton dem Schnäbelein des gefangcucn Vogels entquoll,
der inorgen sollte gerupft und gebrateil werden. Und sein perz
wurde seltsam ergriffen.
schnatternden Gänse, und beim Festatz hatte mit lieblicher Stimme
der Stadtpoet seine neuesten Earmina zum Besten gegeben.
Da hatte der Gast sich lächelnd zu seinen Begleitern gewandt:
„Ihre Gänse sind gut, auch ihre Gänschen nicht ohne; was aber
ihre Singvögel anlangt-Nachtigallen haben sie nicht!" Und
war wieder abgefahren.
Die Schildbürger aber wurmte cs tief, daß sie keine Nachtigall
haben sollten. Denn cs mochte wohl ein gar köstlicher Vogel sein,
wenn er einem Kaiser noch über die Martinsgans ging. Und man
beschloß, Sendboten auszuschicken in alle vier Winde, solch Kleinod
zu erwerben.
Und wurde nun in Schilda Tag und Nacht von nichts anderem
gemunkelt und fabulirt als von der Nachtigall; auf allen Bier-
bänken, in allen Küchen, in Gaffen und pöfen trieb sie ihr Wesen,
in allen Betten wurde sie beschlafen.
Wunderdinge konnte man von ihr hören, daß sie Köpfe habe,
sechs an der Zahl, karminroth mit silbernen Krönchen, daß sie
goldene Häufchen unter sich mache, daß sie Nüsse knacken und zwei-
stimmig singen könne, und es war ein erhebender Augenblick, als
die Boten heimkehrten und, unter Glockengeläut und holdseligem
Gesänge der Schulkinder, der sorglich verhüllte Bauer, darinnen die
Nachtigall, auf's Rathhaus gebracht wurde.
Aber die Stadträthe erblichen und ihrem Vberhauxte schlotterten
die Kniee: Da saß ja im Käfig ein ganz gewöhnlicher Piepmatz,
dürftig und klein wie ein Spatz, und drückte sich ängstlich zusammen!
Patte auch bei Leibe keine sechs Köpfe, und war auch kein goldenes
päufchen zu erspähen.
Doch zur Ehre der Schildbürger sei es gesagt — verhältniß-
inäßig rasch reifte in ihren Schädeln die Erkenntniß, daß der Werth
des wunderlichen Vogels ein innerer sein müsse, wie ja doch auch
dem Bürgermeister Niemand von außen seine Gescheidtigkcit an-
sehen konnte.
Und so gelangte man denn nach gründlicher Ueberlegung und
unter wohlwollender Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zu
einer Beschlußfassung, die ihrem wesentlichen Inhalte nach Folgen-
des besagte: „Da mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit
der innere Werth des in Frage befangenen Gethieres darin beruhe,
daß ein Bissen, von seinem Fleische genossen, siebenmal klüger
mache als den gewecktesten Kopf in Schilda und den angrenzenden
Königreichen, so solle in Frage befangener Vogel durch den Raths-
küchenmeister vom Leben zuin Tode gebracht, gebraten und auf-
getischt werden, auf daß ihn Rath und verordnete der Stadt
geineinsam verzehren möchten, damit sie wüchsen an Einsicht und
Umsicht zur Ehre Ihrer Selbst und zum mehreren Wohle des ge-
meinen Wesens."
Und man mußte gestehen, daß dies eine wohlbedachte und
weise Beschlußfassung sei und daß Schilda ein Recht hatte, voll
Stolzes zu sein der unvergleichlichen Ein- und Umsicht einer gott-
begnadeten Dbrigkeit.
Und so stand denn der große Tag des Festschmauses vor der
Thüre. Der Prunksaal des Rathhauses war geschmückt mit pur-
purnen Teppichen und Guirlanden, und die Bürger hatten Talg-
lämpchen vor die Fenster gestellt, nur am Abende der allgemeinen
Erleuchtung symbolisch Ausdruck zu geben.
Die Nachtigall aber war den, Küchenmeister überantwortet
worden.
Es war spät am Abend, und die Schildbürger lagen schon
lange in ihren Federn; auch der Küchenmeister hatte die Nachthaube
über die Ghren gezogen.
Nur der Küchenjunge saß noch am perde, still und gedanken-
voll, und schabte Rübchen. Er hatte ein gutes, dummes Gesicht
und war verliebt in das Aufwaschmädel, und so saß er denn mit
einein glücklichen Lächeln und schabte.
Der Mond schien freundlich dnrch's Küchenfenster und draußen
im Garten dufteten die Linden.
Da — o Wunder — erklang cs mit einem Male wie ein
schmerzlichsüßer Gesang, inid der Junge merkte mit Staunen, daß
der liebliche Ton dem Schnäbelein des gefangcucn Vogels entquoll,
der inorgen sollte gerupft und gebrateil werden. Und sein perz
wurde seltsam ergriffen.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Nachtigall von Schilda"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1900
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 113.1900, Nr. 2866, S. 8
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg