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Die Unzertrennlichen
^^n Bagdad lebte einst ein gütiger Kalif, den die
Untertanen als den besten und glücklichsten Herrscher
priesen. Selbst bei den Erbfeinden des Reiches er-
zwang seine Weisheit, aber nicht zuletzt sein wohl aus-
gerüstetes kfeer und seine gefüllten Schatzkammern Achtung
und bewog sie, freundschaftliche Beziehungen zu ihm zu
unterhalten.
Und doch war der Kalif nicht der glückliche Fürst, für
den ihn sein Volk hielt. Gst raubten ihm Sorgen den Schlaf
der Nächte. Denn Allah hatte ihm eines versagt, an das
seine Untertanen in ihrer gedankenlosen Zufriedenheit gar nicht
dachten: Er hatte keinen Thronerben. Wohl besaß er eine lieb-
liche Tochter, Desileh, von deren Schönheit man Wunderdinge er-
zählte. Aber Desileh hatte eine Eigenschaft, die bisher nur ihrem
Vater bekannt war —- sie sträubte sich nämlich dagegen, sich
einen Gatten bestimmen zu lassen, und wollte sich nur dem
zu eigen geben, den sie aus den ersten Blick zu lieben imstande
sein würde.
Dieser Umstand verringerte natürlich für den Kalifen die
Hoffnung, in seinem Schwiegersohn einen geeigneten Nachfolger
für den Thron zu finden, und Desileh war überdies sehr ver-
wöhnt. wenn sie aus ihrem kleinen vergitterten Fenster an
den Festtagen dem Aufzuge der Fürsten zusah, hatte sie für
jeden eine spöttische Bemerkung. Bei dem einen mißfiel ihr
der starke Knebelbart, bei dem ander'n die Haltung; ein dritter
fand Ungnade, weil ihrer Ansicht nach seine Arme zu lang
geraten waren.
Endlich vertraute sich der Kalis seinem ergebenen Vezier an,
teilte ihm seine Sorgen und Befürchtungen init und beauftragte
ihn, Mittel und Wege zu suchen, um für Desileh einen Gatten
und für das Reich einen Thronfolger ausfindig zu machen. Der
Vezier aber sprach: „kserr, Du bist unter den Herrschern der
weiseste — wie sollte ich, Dein Diener, einen Rat wissen, wenn
Dir Deine Weisheit keinen zu geben vermag! Doch ich kenne
einen klugen Derwisch, der vor Jahresfrist von Mekka nach
Bagdad kam und einen großen Zulauf von Leuten hat, die
eines guten Rates bedürftig sind." — „Geh' und hole ihn!"
rief der Fürst erfreut. Der Vezier verneigte sich und ging, den
'Mi- ;
.
Die Unzertrennlichen
^^n Bagdad lebte einst ein gütiger Kalif, den die
Untertanen als den besten und glücklichsten Herrscher
priesen. Selbst bei den Erbfeinden des Reiches er-
zwang seine Weisheit, aber nicht zuletzt sein wohl aus-
gerüstetes kfeer und seine gefüllten Schatzkammern Achtung
und bewog sie, freundschaftliche Beziehungen zu ihm zu
unterhalten.
Und doch war der Kalif nicht der glückliche Fürst, für
den ihn sein Volk hielt. Gst raubten ihm Sorgen den Schlaf
der Nächte. Denn Allah hatte ihm eines versagt, an das
seine Untertanen in ihrer gedankenlosen Zufriedenheit gar nicht
dachten: Er hatte keinen Thronerben. Wohl besaß er eine lieb-
liche Tochter, Desileh, von deren Schönheit man Wunderdinge er-
zählte. Aber Desileh hatte eine Eigenschaft, die bisher nur ihrem
Vater bekannt war —- sie sträubte sich nämlich dagegen, sich
einen Gatten bestimmen zu lassen, und wollte sich nur dem
zu eigen geben, den sie aus den ersten Blick zu lieben imstande
sein würde.
Dieser Umstand verringerte natürlich für den Kalifen die
Hoffnung, in seinem Schwiegersohn einen geeigneten Nachfolger
für den Thron zu finden, und Desileh war überdies sehr ver-
wöhnt. wenn sie aus ihrem kleinen vergitterten Fenster an
den Festtagen dem Aufzuge der Fürsten zusah, hatte sie für
jeden eine spöttische Bemerkung. Bei dem einen mißfiel ihr
der starke Knebelbart, bei dem ander'n die Haltung; ein dritter
fand Ungnade, weil ihrer Ansicht nach seine Arme zu lang
geraten waren.
Endlich vertraute sich der Kalis seinem ergebenen Vezier an,
teilte ihm seine Sorgen und Befürchtungen init und beauftragte
ihn, Mittel und Wege zu suchen, um für Desileh einen Gatten
und für das Reich einen Thronfolger ausfindig zu machen. Der
Vezier aber sprach: „kserr, Du bist unter den Herrschern der
weiseste — wie sollte ich, Dein Diener, einen Rat wissen, wenn
Dir Deine Weisheit keinen zu geben vermag! Doch ich kenne
einen klugen Derwisch, der vor Jahresfrist von Mekka nach
Bagdad kam und einen großen Zulauf von Leuten hat, die
eines guten Rates bedürftig sind." — „Geh' und hole ihn!"
rief der Fürst erfreut. Der Vezier verneigte sich und ging, den
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Unzertrennlichen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1904 - 1904
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 121.1904, Nr. 3086, S. 141
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg