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-taöt Port einem schweren Fuhrwerk über-
fahren worden, und mir fiel die Aufgabe zu,
die Angelegenheit zu untersuchen. Nach Er-
ledigung meines Auftrages befand ich mich
auf dem Heimwege — als mit unerwartet
Freund Zenkins in den weg lief. Zenkins
hat eine unüberwindliche Leidenschaft für
-traßenredner; er geht keinem Auflauf aus
detu tvege und besucht mit besonderer Dor«
liebe Schaubuden irgendwelcher Art.

„Guten Tag, alter Junge", rief er mir
über die Straße zu. „warte einen Augen-
blick I"

Ich blieb stehen und Zenkins kam zu mir

herüber.

„Denke Dir," begann er, „ich habe in
dieser Gegend einen Tausendkünstler entdeckt,
uüe ich ihn großartiger nirgends zuvor sah."
„was tut er denn?" fragte ich.

„Er ist Tierbändiger und produziert feit
sechs Wochen seine Künste vor ausverkauften
Däusern. Du mußt ihn sehen — namentlich
aber seine Nachmittagsvorstellung, bei welcher
cr ein extrafeines Stückchen vorführt."

Mein Freund führte mich sodann vor ein
Mostes Zelt, an welchem riesige, auf Bretter
geklebte Plakate angebracht waren. Auf den
letzteren waren in Wort und Bild die Wunder-
dinge verzeichnet, welche in dem Zelte vor sich
gehen sollten. Zn großen Buchstaben vermeldete
eine der Ankündigungen ein besonders grau-
siges Kunststück, das die Glanznummer der
Nachmittagsvorstellung bildete. Zenkins hatte
Gintrittskarten gekauft und führte mich
hinein.

Wir hatten uns kaum auf unsere sehr
guten Plätze gesetzt, als die Vorstellung auch
lchon begann. Der Tierbändiger erschien in
der von festeni Eisengitter umgebenen Arena,
ewiger, Leoparden und Löwen wurden vorge-
führt und zuletzt erschien „King Leo", eine
ganz gefährlich aussehende Bestie von beträcht-
llchen Dimensionen, neben seinem Meister.

„Jetzt kommt die ksauxtnummer", flüsterte
Ieukins.

Der Bändiger trat an das vordere Gitter
heran und öffnete dort ein kleines Türchen.

„Sehr verehrte Herrschaften," begann er,
„wenn mir jetzt eine im Zuschauerraum be-
findliche Mutter ihr Baby für einige Augen-
blicke überlassen möchte, so könnte ich Ihnen
.leigen, daß Leo das Kindchen in seinem großen
Nachen ebenso zärtlich und vorsichtig halten
wird wie die eigene Mutter in ihren Armen.
Möge mir irgend eine Dame aus deni Publikunt
ihr Baby anvertrauen, — es wird ihm sicher-
lich nichts passieren."

„Jetzt brauchen mir nur einen Augenblick
Zu warten", erklärt Ienkins. „Es befindet sich
nämlich im Zuschauerraum eine junge Person,

Sallys Geheimnis,
die das verlangte Baby bei jeder Nachmittagsvorstellung liefert. Torelli, der Tier-
bändiger, bezahlt ihr dafür jedesmal zehn Dollar."

„Das ist ja schrecklich!" rief ich.

In demselben Augenblick stand die junge Person tatsächlich auf und schritt, ihr
Baby auf dem Arm, dem Gitterxförtchen zu. Ich erblickte sie und war auch sofort
auf den Füßen, obwohl halb ohnmächtig vor Wut und Schreck. Denn das Frauen-
zimmer war unsere Sally, — und das Baby unser einzig geliebter Knabe.

Schnell zog ich meinen Revolver aus der Tasche, und der Mann, welcher weder
Löwen noch Tiger fürchtete, duckte sich ängstlich vor dem Schießeisen. Inzwischen
hatte ich irgendwie Sally erreicht und riß ihr das Kind aus den Armen, indem ich
ihr selbst gestattete, einen etwas plötzlichen Rückzug anzutreten.

Nach kurzer Überlegung gab ich aber den Buben meinem Freunde Ienkins und
lief der Person nach. Es gelang mir, sie auf der Straße einzuholen, und ich ließ sie
von einem Polizisten festnehmen. Später reichte ich gegen Sally eine Klage auf
verausgabe des Geldes ein, das sie mit kstlfe des Kleinen verdient hatte. Denn warum
sollte sich das Frauenzimmer auf unsere Kosten bereichert haben? !

Nachdeui der Prozeß gewonnen war, deponierte ich die ziemlich bedeutende
Summe für unseren kleinen Liebling, in dem sich das uns Amerikanern eigene Talent,
Geld zu verdienen, schon so früh gezeigt hatte. Ferner beschlossen wir, unseren Sohn
Daniel zu nennen, — da der Kleine ja aus der Löwengrube gerettet ivorden war.

Der Lebemann. /Svs^

„Wie ungerecht doch die Güter verteilt sind! Den meisten Kredit haben
gerade jene, die ihn nicht brauchen!"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Lebemann"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlittgen, Hermann
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1910
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 132.1910, Nr. 3387, S. 317

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