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122

Die Commune

den seltsamsten Vor- und Rathschlügen. Maure verlangte, daß
man sämmtliches Petroleum in Dingsda in Beschlag nehmen
sollte, während Kusch für ein Aufgebot der Bürgerwehr stimmte.
Der Rektor wagte sich mit der Idee einer friedlichen Prokla-
mation heraus. Er wurde aber von Unverzagt hart ange-
fahren, welcher erklärte:

„Alle diese Maßregeln würden fruchtlos sein. Es gibt
nur ein Mittel, und das ist — die Verhaftung der Rädels-
führer !"

Roßbirn sprang auf.

„Also ein Staatsstreich!" rief er.

„Nennen Sie es immerhin so, es ist unsere einzige Rettung."

„Aber das wäre ja eine offenbare Ungesetzlichkeit!"

„Die Gesetze sind für friedliche Zustände gemacht, in
| Zeiten der Noth gibt es keine Gesetze."

Roßbirn fuhr förmlich zurück.

„Dictator!" stieß er hervor.

„Napoleon!" ergänzte der Rektor. —

In diesem Augenblick des höchsten Conflikts ließ sich unten
auf dem Platze ein dumpfes Geschwirrs und Getöse, wie von
unzähligen Stimmen, vernehmen. Die Streitenden horchten
auf. Dem Bürgermeister blieb die boshafte Antwort auf der
Zunge liegen; er fragte ein wenig kleinlaut:

„Was bedeutet das?"

Der Lärm kam inzwischen immer näher, immer lauter
wurde das Schreien, und endlich hörte man ganz deutlich dicht
unter dem Fenster den Ruf:

„Der Bürgermeister 'raus! Der Bürgermeister 'raus!"

Es war, als wäre bei diesen Worten ein Blitz durch das
Zimmer gefahren. Die Rathsherren standen wie die Bildsäulen
da und starrten sich entsetzt an. Dem Bürgermeister wankten
die Kniee, er mußte sich an dem Tisch halten und konnte nur
mühsam hcrvorstammeln:

„Um Gotteswillen, was ist das?"

Da wurde die Thür aufgerissen, und Wutki, alle Sub-
ordination vergessend, stürzte athemlos herein. Das Zinnober-
roth seines Gesichtes war um eine Nuance blässer.

„Sie sind da", schrie er, „sie sind da!"

„Wer denn? Reden Sie!" tönte es durcheinander.

„Von der Bahn, Alle zusammen, über 300 Mann, mit
Spaten und Hacken!"

„Wir sind verloren!" jammerten die Herren vom Rath.
Unverzagt zitterte wie Espenlaub — jeder Zoll ein Hasenfuß!

„Um des Himmelswillen", rief er, vor Schrecken bleich.
„Wutki, Herr Doktor, helfen Sie, retten Sie uns — o meine
Ahnung!"

Es war eine Scene der schrecklichsten Verwirrung. Maure
und Kusch hatten ihr bischen Verstand verloren; sie liefen wie
toll im Zimmer umher und suchten vergebens nach einem
Versteck. Dabei jammerte der Bäcker:

„Mein schönes Geld! Mein schönes Geld!"

Der Apotheker aber suchte ihn am Rockzipfel sestzuhalten,
indem er unaufhörlich stehte:

„Retiriren wir hinten 'raus!"

von Dingsda.

Dies hätte der Bäcker nun wohl gethan, aber das Zimmer
hatte nur einen Ausgang, und zwar nach vorn heraus.

Roßbirn stand schweigend da; er sann offenbar auf einen
Entschluß. Hungert hatte sich neben ihn gestellt und murmelte:
„Dulce et decorum est, pro patria mori!“

Ueber Wutki aber war die Erinnerung an seinen Kriegs-
ruhm gekommen; er zerrte heftig an seinem Säbel, um ihn
aus der Scheide zu reißen. Der Bürgermeister sah es und
stürzte auf ihn zu.

„Um der Barmherzigkeit willen, lassen Sie den Säbel
stecken, Wutki; das reizt sie noch mehr!"

Währenddcß brüllte die Menge draußen unaufhörlich nach
dem Bürgermeister. Da trat Roßbirn auf diesen zu.

„Sie müssen an's Fenster treten und die Leute zu be-
ruhigen suchen", sagte er fest.

Die Uebrigen stimmten sofort bei.

„Sie müssen reden, Sie müssen reden!"

Unverzagt sank kraftlos in einen Stuhl.

„Ich kann nicht", wimmerte er.

„Gut, dann werde ich reden!"

Wutli sprach's, trat entschlossen an's Fenster und öffnete
es. Er wollte reden; aber man ließ ihn nicht zu Wort
kommen.

„Der Bürgermeister 'raus! Der Bürgermeister soll kom-
men!" — schrie die Menge.

„Mein Gott", stöhnte Unverzagt und verhüllte in Ver-
zweiflung sein Antlitz, „Sie haben es auf mich abgesehen."

Roßbirn legte die Hand auf seine Schulter.

„Da hören Sie's. Man ruft nach Ihnen, Bürgermeister
Unverzagt; es ist Ihre Pflicht, hinauszutreten. Im Namen der
Stadt fordere ich es von Ihnen!"

„Ja, im Namen der Stadt!" echo'ten die Uebrigen.

„Ich kann nicht", klang es ächzend aus dem Stuhle des
Bürgermeisters. „Ich kann nicht, laßt mich sterben!"

„Sie müssen!" rief Roßbirn und ergriff seinen rechten
Arm. Schnell packte Wutki den linken, und beide versuchten
den unglücklichen Vater der Stadt, der sich wie ein Rasender
wehrte, emporzuziehen.

Da — horch! — ein starkes Klopfen an der Thür.

„Herr des Himmels!" schrie Unverzagt auf. Kusch und
Maure krochen wie auf Kommando unter den Tisch.

Die Thür öffnete sich und herein traten, die Mütze in
der Hand, fünf Arbeiter, riesige Gestalten, mit Spaten und
Hacken bewaffnet.

„Guten Morgen, meine Herren!" sagten sie ruhig.

Der Bürgermeister glaubte sein letztes Stündchen gekommen-

Roßbirn flüsterte ihm zu: „Fassen Sie Muth, sprechen
Sie zu den Leuten, ich schütze Sie!"

Das wirkte. Mit einer letzten Kraftanstreugung erhob er
sich vom Stuhl. Seine Hand faßte krampfhaft die Lehne, und
mit zitternder Stimme redete er die Arbeiter an:

„Meine Herren — —! Ich erkenne Ihre Forderungen
an — wir erkennen Ihre Forderungen an — —. Wir ehren
Sie — — wir lieben Sie — ich liebe die Arbeiter. Aber
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