Der Dank des Arztes und des Advokaten.
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rannte mit gesenktem Kopfe und glühenden Augen auf sie ;u. Sie
hatten keine Zeit mehr zu entfliehen; indem sie aber entsetzt nach
ihren Waffen griffen, um sich zur Wehr zu setzen, verwickelten sich
Beide in ihre langen Gewänder und fielen zu Boden. -Der wuth-
schnaubende Stier war nur noch einige Schritte von ihnen entfernt;
sie schienen verloren.
Da schwirrte Plötzlich ein Pfeil durch die Luft und fuhr dem
Stier in die Seite. Das Thier stützte einen Augenblick und blieb
stehen. Ein zweiter Pfeil traf es in's Auge. Der Stier that einen
Sprung und stürzte dann leblos nieder. Die Wanderer waren gerettet.
Sie erhoben sich und dankten Allah laut für seine Hülfe, indem
sie ihre Blicke umhcrschweifen ließen, um sich nach ihrem Retter
umzuschauen. Da trat aus einem Dickicht ein Mann in Jäger-
kleidung hervor, in der Linken seinen Bogen haltend; ein Köcher
hing an seiner Schulter.
„Gepriesen sei Allah", sagte er freudig zu ihnen, „daß ich zu
rechter Zeit die Gefahr und Eure Lage entdeckte. Ihr wäret nicht
die ersten Opfer des wilden Stieres gewesen. Denn es war ein
böses Thier, das ich tödten zu lassen schon beschlossen hatte."
Die beiden Wanderer, noch zitternd vor Schrecken und Auf-
regung, erschöpften sich in Danksagungen gegen ihren Lebensretter.
„Wie sollen wir Dir danken?!" rief Omar aus. „Sag' uns,
womit wir uns Dir nur einigermaßen erkenntlich erweisen können!
Wir sind reich; womit können wir Dein Herz ergötzen? Hast Du
Freude au schönen Rossen, suche Dir mein schönstes aus!"
„Ich Hab' eine Sammlung herrlicher Edelsteine", fügte Abdallah
hinzu; „komm und nimm von ihnen, was Dir gefällt!"
„Nein", erwiderte Mukir, ihr Retter, lächelnd; „ich danke Euch.
Ich strebe nicht nach Geld und Gut; denn ich habe mein genügendes
Auskommen. Ich suche meine Freude mehr in dem, was das Ge-
müth veredelt und den Geist bereichert, als in den Schätzen der
Erde. Aber", fuhr er nach einigem Nachsinnen fort, „einen Dank,
einen großen Dank könnt Ihr mir erweisen, und ich bitte Euch darum.
Sagt mir, welches ist Euer Beruf?"
„Ich bin Arzt", antwortete Omar, „und mein Freund ist Rechts-
gelehrtcr." — „Dann habt Ihr gewiß viel gesehen und erlebt", ver-
setzte Mukir „und Ihr scheint mir weise Männer zu sein. Seht,
mir wurde kürzlich ein Sohn geboren, mein theurer Almansor; er
ist mein einziges Kind. Gebt, Jeder, meinem Sohne einen guten
Rath für sein späteres Leben mit aus dem reichen Schatz Eurer
Erfahrung! Das soll Euer Dank sein."
Omar und Abdallah erklärten sich mit Freuden bereit dazu.
„So ist aber mein Wunsch", fuhr Mukir fort, „heute Nacht
sollt Ihr in meinem Hause ruhen. Bis Ihr weiter zieht, über-
legt, Jeder für sich, was er aus seiner eigenen Erfahrung als
nützlichsten Rath geben könne. Den theilt Ihr mir beim Abschied
mit. Schwört mir bei Allah, daß Ihr gewissenhaft meinen Wunsch
erfüllen wollt!"
„Wir schwören cs beim Barte des Propheten", sagten die
Andern feierlich, und ein Jeder legte die Hand auf sein Herz.
Hierauf schritten die drei Männer der Wohnung Mnkirs zu,
wurden gut bewirthet, schliefen vortrefflich und setzten am andern
Morgen ihre Reise fort. Als sie aufbrachen, zog Jeder eine ver-
schlossene Kapsel hervor und übergab sie dem Wirth. Dann nahmen
sie herzlichen Abschied von ihm und wanderten weiter.
Nachdem sie sich entfernt hatten, öffnete Mukir die beiden
Kapseln. Inder, die ihm Omar überreicht hatte, stand: Gebrauche
nie einen Arzt! In der andern: Gebrauche nie einen Advokaten!
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rannte mit gesenktem Kopfe und glühenden Augen auf sie ;u. Sie
hatten keine Zeit mehr zu entfliehen; indem sie aber entsetzt nach
ihren Waffen griffen, um sich zur Wehr zu setzen, verwickelten sich
Beide in ihre langen Gewänder und fielen zu Boden. -Der wuth-
schnaubende Stier war nur noch einige Schritte von ihnen entfernt;
sie schienen verloren.
Da schwirrte Plötzlich ein Pfeil durch die Luft und fuhr dem
Stier in die Seite. Das Thier stützte einen Augenblick und blieb
stehen. Ein zweiter Pfeil traf es in's Auge. Der Stier that einen
Sprung und stürzte dann leblos nieder. Die Wanderer waren gerettet.
Sie erhoben sich und dankten Allah laut für seine Hülfe, indem
sie ihre Blicke umhcrschweifen ließen, um sich nach ihrem Retter
umzuschauen. Da trat aus einem Dickicht ein Mann in Jäger-
kleidung hervor, in der Linken seinen Bogen haltend; ein Köcher
hing an seiner Schulter.
„Gepriesen sei Allah", sagte er freudig zu ihnen, „daß ich zu
rechter Zeit die Gefahr und Eure Lage entdeckte. Ihr wäret nicht
die ersten Opfer des wilden Stieres gewesen. Denn es war ein
böses Thier, das ich tödten zu lassen schon beschlossen hatte."
Die beiden Wanderer, noch zitternd vor Schrecken und Auf-
regung, erschöpften sich in Danksagungen gegen ihren Lebensretter.
„Wie sollen wir Dir danken?!" rief Omar aus. „Sag' uns,
womit wir uns Dir nur einigermaßen erkenntlich erweisen können!
Wir sind reich; womit können wir Dein Herz ergötzen? Hast Du
Freude au schönen Rossen, suche Dir mein schönstes aus!"
„Ich Hab' eine Sammlung herrlicher Edelsteine", fügte Abdallah
hinzu; „komm und nimm von ihnen, was Dir gefällt!"
„Nein", erwiderte Mukir, ihr Retter, lächelnd; „ich danke Euch.
Ich strebe nicht nach Geld und Gut; denn ich habe mein genügendes
Auskommen. Ich suche meine Freude mehr in dem, was das Ge-
müth veredelt und den Geist bereichert, als in den Schätzen der
Erde. Aber", fuhr er nach einigem Nachsinnen fort, „einen Dank,
einen großen Dank könnt Ihr mir erweisen, und ich bitte Euch darum.
Sagt mir, welches ist Euer Beruf?"
„Ich bin Arzt", antwortete Omar, „und mein Freund ist Rechts-
gelehrtcr." — „Dann habt Ihr gewiß viel gesehen und erlebt", ver-
setzte Mukir „und Ihr scheint mir weise Männer zu sein. Seht,
mir wurde kürzlich ein Sohn geboren, mein theurer Almansor; er
ist mein einziges Kind. Gebt, Jeder, meinem Sohne einen guten
Rath für sein späteres Leben mit aus dem reichen Schatz Eurer
Erfahrung! Das soll Euer Dank sein."
Omar und Abdallah erklärten sich mit Freuden bereit dazu.
„So ist aber mein Wunsch", fuhr Mukir fort, „heute Nacht
sollt Ihr in meinem Hause ruhen. Bis Ihr weiter zieht, über-
legt, Jeder für sich, was er aus seiner eigenen Erfahrung als
nützlichsten Rath geben könne. Den theilt Ihr mir beim Abschied
mit. Schwört mir bei Allah, daß Ihr gewissenhaft meinen Wunsch
erfüllen wollt!"
„Wir schwören cs beim Barte des Propheten", sagten die
Andern feierlich, und ein Jeder legte die Hand auf sein Herz.
Hierauf schritten die drei Männer der Wohnung Mnkirs zu,
wurden gut bewirthet, schliefen vortrefflich und setzten am andern
Morgen ihre Reise fort. Als sie aufbrachen, zog Jeder eine ver-
schlossene Kapsel hervor und übergab sie dem Wirth. Dann nahmen
sie herzlichen Abschied von ihm und wanderten weiter.
Nachdem sie sich entfernt hatten, öffnete Mukir die beiden
Kapseln. Inder, die ihm Omar überreicht hatte, stand: Gebrauche
nie einen Arzt! In der andern: Gebrauche nie einen Advokaten!
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Dank des Arztes und des Advokaten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1892 - 1892
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 97.1892, Nr. 2461, S. 111
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg