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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0182

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FÜNFTES KAPITEL

DIE PROVOKATION DER TABLEAUKUNST

In Teil II meiner Arbeit habe ich dafür plädiert, Bildaus-
stattungen nach dem Modell des Bilderbaus als Erzäh-
lungen mit institutioneller Verankerung zu lesen. Über die
Rahmenhandlung der Erzählung wurde Kirchenbesu-
chern ein institutioneller Verständnishorizont nahegelegt
der auf komplexe Weise an Geltungsansprüche der Wahr-
heit und Richtigkeit der erzählten Geschichte rückgekop-
pelt war. Die fiktiven Auftraggeber* gliederten sich so in
die institutionelle Gemeinschaft der Kirche ein, die bean-
spruchte, aus den dargestellten heilsgeschichtlichen Vor-
gängen selbst hervorgegangen zu sein. Damit sollten sich
die Bildausstattungen des Hauptraumes unterscheiden
von Bildprogrammen mit privater Auftraggeberposition,
welche eher auf den Geltungsanspruch künstlerischer
Wahrhaftigkeit und damit auf ein eher gleichnishaftes
Verständnis der erzählten Geschichte abgestellt waren.

In Teil III möchte ich die These von der institutionellen
Sprechabsicht der Bilderbauten in einem weiteren Hori-
zont verfolgen. Ich setze dazu bei den beiden Positionen
fiktiver Bildschöpfer* an, welche in der Rahmenhandlung
der Bilderbauten zusammenspielen: der menschliche Bild-
künstler* und der göttliche Bildner*. Beide Instanzen kön-
nen als Teile eines wechselseitig aufeinander bezogenen
Gleichnisses verstanden werden, das sich in der christ-
lichen Bildtheologie und in der neuzeitlichen Kunsttheo-
rie in zwei entgegengesetzten Lesarten etabliert hatte:
Dem deus artifex der Theologen stand der divino artista der
Kunsttheoretiker gegenüber. In den Bilderbauten funktio-
nierte die „paragonale" Relation der beiden Instanzen
idealerweise im Sinne einer komplementären Ergänzung,
doch bot sie zugleich auch den Nährboden für einen kon-
fliktuellen Widerstreit. An beidem hatte sich jede einzelne
Ausstattung immer wieder neu abzuarbeiten. Im folgen-
den geht es mir um die Frage, inwiefern das Spannungs-
verhältnis zwischen den beiden „Bildschöpfern" auf die
institutionelle Doppelnatur der Kirche rückbezogen wur-
de, die ja Erdenwelt und Überwelt gleichermaßen als ihr
Zuhause auffassen musste. Lassen sich die strukturellen
Gemeinsamkeiten der Hauptraumausstattungen in dieser
Perspektive als Manifestation einer reflektierten „Bild-
rhetorik" deuten?

Anhaltspunkte dafür, dass dies zumindest punktuell
möglich ist, möchte ich im folgenden auf dem Weg einer
experimentellen Spurensicherung sammeln. Nachgewie-
sen werden soll dabei eine gezielte Auseinandersetzung
einzelner Ausstattungen mit zwei anderen Bildtypen, die je-
weils ganz auf einen der beiden „Bildschöpfer" zuge-
schnitten waren: auf der einen Seite das neuzeitliche Ta-
bleau als idealerweise von autonomen Künstlern geschaf-
fenes Einzelbild, auf der anderen Seite das mittelalterliche
Bildsystem als fiktiv von einem allmächtigen deus artifex
selbst disponierte Bilderkomposition. Beide Bildgattungen
waren im Rom der frühen Neuzeit, in einer Stadt, die
überquoll von modernen Bildersammlungen und früh-
christlich-mittelalterlichen Kirchen, wie nirgendwo sonst
nebeneinander vertreten. Gezeigt werden soll, dass sich
die Bilderbauten über eine aktive Auseinandersetzung
mit diesen anders gearteten Bildgattungen zu so etwas
wie einer „gemalten Bilderlehre" der römischen Kirche
entwickeln konnten.

Die Begriffsprägung „gemalte Bilderlehre" zielt auf ei-
ne kritische Revision der gängigen Auffassung, die ka-
tholische Bildkunst sei nach dem Tridentinum in beson-
derem Maße von den normierenden Vorgaben schriftlich
verfasster Diskurse gesteuert worden.418 Die Tatsache, dass
das Tridentinum einen Produktionsschub von Bildtrakta-
ten kirchlicher und kirchennaher Autoren auslöste, ist
durchaus als Beleg für die Reflektiertheit des kirchlichen
Umgangs mit Bildern zu werten. Doch wie jüngst von ver-
schiedener Seite gezeigt wurde, gaben die Traktate auf die
neuzeitlichen Herausforderungen an eine kirchliche Bild-
kunst nur eine defizitäre Antwort.419

Das Konfliktpotential:

Die Tableau-Qualitäten von Altarbildern

Nach diesen Vorbemerkungen nun zur speziellen Frage-
stellung dieses Kapitels, das Belege für eine Ausein-
andersetzung der Bilderbauten mit der neuzeitlichen Ta-
bleaukunst sammeln soll. Erst in den letzten Jahren sind
kunsthistorische Forschungen verstärkt auf die „koperni-
kanische Wende" in der Bildkunst aufmerksam geworden,

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