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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0118

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VIERTES KAPITEL

GELTUNGSANSPRUCHE IM VERGLEICH. INSTITUTIONELLE
VS. PRIVATE BILDERRÄUME IN KIRCHEN UND PALÄSTEN

Im letzten Kapitel haben wir gesehen, wie sich ab 1580/90
die Distribution der Bilder in den römischen Kirchen
grundsätzlich zu wandeln begann: Vor 1580 waren die
kirchlichen Institutionen bestrebt gewesen, die zentralen
Abschnitte des Innenraumes ausschließlich mit Mitteln
der Architektur zu gliedern und zu ordnen. Die Anbrin-
gung von Bildern blieb der Initiative privater Stifter über-
lassen, die zu diesem Zweck einzelne Seitenkapellen er-
warben. Nach 1580 öffnete sich die institutionell kontrol-
lierte Zone des Hauptraumes für umfangreiche Bild-
erzählungen. Als Leitmodell dieser Entwicklung kristalli-
sierte sich im Seicento der „Bilderbau" heraus, eine relativ
komplexe Organisationsform der Bilderzählung.

Der um 1580 zu beobachtende Umbruch der Bilddistri-
bution ist ein erstes wichtiges Indiz für die Annahme, die
Bilderbauten seien auf einen spezifisch institutionellen
Mitteilungsrahmen fokussiert. Was in unserer Argumen-
tation jetzt noch fehlt, ist der Nachweis, dass der Haupt-
raum auch nach 1580/90 seine Qualität als institutionelle
Zone beibehielt. Ein solcher Nachweis lässt sich nicht
mehr über das Gefälle zwischen Bild und Nicht-Bild, son-
dern allein über die Differenz zwischen verschiedenarti-
gen Bildern führen. In diesem Kapitel möchte ich solche
Differenzen über eine umfassende Gegenprobe herausar-
beiten. Ich werfe dazu einen Blick auf ähnliche komplex
strukturierte Bilderräume aus der Zeit vor und nach 1580,
welche sich dem Bereich „privater" Bildpraxen, und da-
mit dem Gegenüber des „Institutionellen" zuordnen las-
sen.281 Ziel wäre es, an solchen Bilderräumen die Rah-
menkriterien einer Ausstattungskunst aufzuzeigen, die
sich in signifikanten Punkten von den Bilderbauten unter-
scheidet.282 Einer doppelten Schwierigkeit ist dabei Rech-
nung zu tragen:

• Die privaten Bilderräume haben ihren Sitz an ganz
unterschiedlichen Orten der sozialen Sphäre (Kapelle,
Palast, Villa etc.). Im Gegensatz zu den Kapellenräu-
men, die nur gegen bestimmte institutionelle Auflagen
veräußert wurden, befanden sich die Repräsentations-
räume der Palazzi und Villen in einer Zone, die der
Kontrolle durch kirchliche Instanzen weitgehend ent-
zogen war. Nur wenn man solche „Gegenorte" in die

Analyse einbezieht, gewinnt man eine Vorstellung von
der Bildermacht der privaten Sphäre.
• Die analytische Differenzierung zwischen „institutio-
nellen" und „privaten" Geltungsansprüchen der Bilder
wird dadurch erschwert, dass wir es auf Auftraggeber-
seite nicht mit distinkten Personenkreisen zu tun ha-
ben. Eigenart des Kirchenstaates war ja, dass der ge-
samte Apparat von Regierung und Verwaltung aus
Geistlichen bestand. Ein Großteil der privaten Palast-
und Kapellendekorationen verdankte sich den Aufträ-
gen der gleichen Personen, die zentrale Positionen
innerhalb der kirchlichen Organisationen bekleideten.
Als zentrale Triebkraft privater Bildpraxen der frühen
Neuzeit kann die soziale Dynamik innerhalb eines „re-
präsentativen" Gesellschaftssystems angesehen werden.283
In Rom war es die besondere Motorik des Kirchenstaates,
die für eine ausgeprägte „Erhitzung" (Levi-Strauss) der
Gesellschaft sorgte: Die kirchliche Ämterhierarchie bot
die Möglichkeit zu einem steilen sozialen Aufstieg, der
über das Niveau der eigenen Herkunft weit hinausreichen
konnte. Zu den höchsten kirchlichen Ämtern wurden
auch diejenigen berufen, um deren Nobilität es eher
durchschnittlich oder mangelhaft bestellt war. Jedes Mal
aber, wenn der amtierende Papst starb, wurden die Karten
umgemischt: Im Normalfall war es gerade kein Schützling
des Vorgängers, der auf den Schild gehoben wurde. Die-
se Rahmenbedingungen funktionierten wie ein Perpetuum
mobile, das über die Keilriemen klientelärer Verhältnisse
die gesamte kirchliche Ämterhierarchie in ständiger Be-
wegung hielt. Die Chancen eines kurzfristigen Aufstiegs
waren ebenso hoch wie die eines noch plötzlicheren Ab-
stiegs.284

Die Bildkunst erfüllte unter diesen Bedingungen die
Aufgabe, Ansprüche auf gesellschaftliche Positionen unter
Beweis zu stellen - sowohl für die Aufsteiger wie für die
Alteingesessenen. Volker Reinhardt, der maßgeblich zur
Erhellung der hier skizzierten Zusammenhänge beigetra-
gen hat, erkennt den Bilddekorationen eine spezifische
Leistung zu, Spannungen zwischen Wirklichkeit und ge-
sellschaftlichem Anspruch, wie er sich ausdrückt zu
„übermalen".285 Der Schwerpunkt liegt dabei auf den pro-

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