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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0264

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SIEBTES KAPITEL

GRENZGANGER ZWISCHEN DEN WELTEN.

HEILIGE ALS VERKÖRPERUNG KIRCHLICHER DOPPELNATUR

Im bisherigen Verlauf dieser Untersuchung wurde von
verschiedenen Seiten her der kommunikative Rahmen
der römischen Bilderbauten unter die Lupe genommen.
Hinter dieser Vorgehensweise stand die Überzeugung,
dass es primär die rezeptionsästhetische Modellierung
der Erzählungen ist, welche die Bilderbauten als historisch
eingrenzbare Bildpraxis konturiert. Auf der anderen Seite
habe ich von Beginn an die grundlegende stoffliche Ver-
ankerung der Ensembles herausgestellt: Die christliche
Heilsgeschichte wird von den Bilderbauten als narratives
Strukturmodell verstanden, das durch die zentralen Dif-
ferenzen von Verheißung und Erfüllung, von Ereignis-
und Ergebnismomenten geprägt ist. Die Konstruktion ei-
ner Rahmenhandlung mit menschlichen und göttlichen
Anteilen zielte darauf ab, die Lektüre der Ensembles im-
mer wieder auf die erzählten Stoffe selbst zurückzulen-
ken, in denen Gott nach katholischem Glauben ja tatsäch-
lich seine Hand im Spiel hatte. Die bildrhetorische Argu-
mentation war unauflösbar an eine thematische Diskurs-
ebene gekoppelt, welche von den Wirkungszusammen-
hängen der Heilsgeschichte handelte. Dieser auf ein Au-
ßen der Bilder bezogene Diskurs, der bisher als Folie der
Analyse diente, soll abschließend in den Vordergrund tre-
ten. Die Einführung in die thematische Vielfalt der Bil-
derbauten wird das Profil historischer Sprechabsichten
um wichtige Aspekte ergänzen. Aussagekräftig sind in
dieser Hinsicht bereits die Auswahlkriterien der einzelnen
Erzählstoffe: Welche thematischen Präferenzen gab es,
welche Gegenstände der Heilsgeschichte wurden bevor-
zugt behandelt, und welche zurückgestellt oder ausge-
klammert?

Im Blick auf das gesamte Korpus der Hauptraumaus-
stattungen erscheinen mir drei Kernthemen besonders
signifikant: die Heiligen, die großen Symbole und die
verehrten Kultbilder. Die institutionentheoretische These
der letzten Kapitel kann über die detaillierte Analyse die-
ser Diskursfelder noch einmal ausgebaut und differenziert
werden: Zu zeigen wäre, dass auch die thematische Ar-
gumentation der Bilderbauten an der Ausgestaltung und
Begründung institutioneller Handlungsmodelle beteiligt
war. In einem zweiten Schritt führen meine Überlegungen

zur Kehrseite dieser Fragestellung: Das Bild der Institu-
tion, welches der kommunikative Rahmen entwarf, muss-
te am Ende auf die thematische Diskursebene zurückwir-
ken und dort ein neues Bild der Heilsgeschichte erzeugen.
Das institutionelle Repräsentationsmodell der Bilderbau-
ten strebte eine ästhetische Evidenzerfahrung an. Gerade
dieser Anspruch konnte leicht in Konflikt geraten mit den
Kriterien der Wahrheit und Richtigkeit, an denen sich die
thematische Diskursebene zu bemessen hatte. Das Kon-
zept einer ästhetischen Evidenz heilsgeschichtlicher Wir-
kungszusammenhänge legte unter diesen Bedingungen
zunehmend auch Verwerfungen und Brüche an den Tag.
Die Auswahl der Beispiele zielt auf Fälle, an denen dieses
Konfliktpotential sichtbar wird.

Heilige Titulare und die Raumbindung der
Erzählstoffe

Die Geschichten der Heiligen, die den letzten Abschnitt
der Untersuchung eröffnen sollen, sind ohne Zweifel das
große Thema der römischen Bilderbauten. Insgesamt be-
ziehen rund drei Viertel der zwischen 1580 und 1700 rea-
lisierten Hauptraumausstattungen ihre Geschichten aus
dem Fundus der Hagiographie."22 Die Dominanz der Hei-
ligen findet zunächst einmal eine ganz pragmatische Er-
klärung in dem Umstand, dass die Bildprogramme streng
an den titulus der Gotteshäuser geknüpft wurden, der
meistens auf einen Heiligen lautete.623 Die Bindung an den
titulus war jedoch alles andere als ein Zwang oder Auto-
matismus. Vor 1580 war es keine Seltenheit gewesen, dass
Bilder im Hauptraum sich von den Vorgaben des Patrozi-
niums lösten - ich erinnere an die Apsis von Sant'Onofrio,
deren Ausmalung ganz auf Maria zugeschnitten ist und
für Onophrius nur eine kleine Nebenrolle übrig lässt. Den
krassesten Fall einer solchen thematischen Entfremdung
bot seit 1541 die päpstliche Cappella Sistina - Decke und
Wände mit monumentalen Genesis-, Moses- und Chris-
tus-Zyklen ausfreskiert, das Altarblatt, das zunächst noch
an den Marientitulus der Kapelle erinnerte, einem riesigen
Weltgericht geopfert. Diese leicht zu vermehrenden Bei-
spiele zeigen, dass der titulus keine verbindliche The-

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