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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0021

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ERSTES KAPITEL

KONKURRENZ ODER KONGRUENZ?

DAS BEISPIEL SANT'ANDREA DELLA VALLE

Die Bildausstattungen römischer Kirchen, die in dieser Ar-
beit untersucht werden, lassen sich in zwei Gruppen ein-
teilen: Die erste ist fester Bestandteil des Kanons, ihre Lö-
sungen gehören zum epocheprägenden Bilderschatz, ihre
Autoren zu den großen Namen frühneuzeitlicher Künst-
ler-Geschichte. Die zweite hat bis heute keine größere Be-
kanntheit erlangt und führt ein Schattendasein unter se-
kundären Rubriken wie Illusionsmalerei und Dekora-
tionskunst. Für die bildtheoretische Fragestellung, um die
es im folgenden geht, sind beide Gruppen gleichermaßen
aufschlussreich. Die Ausstattungen römischer Kirchen
werden dabei als Produkte einer gemeinsamen Bildpraxis
behandelt. Die Verankerung in einer gemeinsamen Bild-
praxis soll an der Wiederkehr narrativer Strukturprinzi-
pien nachgewiesen werden. Denn eine grundlegende Ge-
meinsamkeit der Ausstattungen besteht darin, Stoffe der
christlichen Heilsgeschichte in mehrteiligen Ensembles
zu erzählen. Die Orientierung an narrativen Strukturen
kann zur Entdeckung bisher übersehener Objekte führen.
Der veränderte Blickwinkel kann aber auch dazu beitra-
gen, prominente Werke aus den Sackgassen festgefahrener
Sichtweisen zu befreien.

Das Beispiel, das ich als Einstieg in meine Fragestellung
ausgewählt habe, gehört der Gruppe der epochalen Bild-
ausstattungen an: Keine Stilgeschichte des Barock ohne
Domenichino und Lanfranco in Sant'Andrea della Valle.
Die Bekanntheit des Objekts vereinfacht die Hinführung
auf die elementaren Strukturmerkmale. Auf der anderen

7. Sant'Andrea della Valle, Grundriss

Seite lässt sich an den Fresken in Sant'Andrea wie an
kaum einem anderen Beispiel die eben angedeutete Blo-
ckade der Forschung demonstrieren. Bis heute fehlt in der
kunsthistorischen Literatur das Bewusstsein dafür, dass
die Werke Domenichinos und Lanfrancos in Sant'Andrea
einer gemeinsamen Ausstattungskampagne angehören.
Über eine mögliche Abstimmung zwischen den Künstlern
im Rahmen dieser Ausstattungskampagne hat sich bisher
niemand Gedanken gemacht. An der Rezeptionsge-
schichte von Sant'Andrea della Valle kann aufgezeigt wer-
den, weshalb derartige Abstimmungsqualitäten auch bei
einer so vielbeachteten Kirchenausstattung bisher nicht
wahrgenommen wurden: Die kunsthistorische Forschung
ist in diesem Punkt bis heute einer Tradition verpflichtet,
die vom Paradigma des Autors und vom Paradigma des
Einzelbildes ausgeht.

1.1. Zwei Rivalen ergänzen sich.
Narrative Koordination bei Domenichino
und Lanfranco

Zu Beginn des Seicento war Sant'Andrea della Valle die
größte der neuen Ordenskirchen, die seit dem Ende des
Tridentinums überall in Rom aus dem Boden wuchsen.
Gegenüber den Kirchen der Jesuiten und der Oratorianer
hatte der Neubau der Theatiner vergleichsweise spät das
Licht der Welt erblickt, was mit lange währenden finan-
ziellen Schwierigkeiten zusammenhing, die schlussend-
lich aber eine überaus glückliche Wendung nahmen: In
Alessandro Peretti fanden die Theatiner einen potenten
Protettore, der seit seiner Zeit als Kardinalnepote Sixtus' V.
zu den reichsten Männern Roms gehörte. Peretti heuerte
für die Fertigstellung der Kirche Carlo Maderno als Bau-
leiter an. Ihm gelang es, die Vierung mit einer steil aufra-
genden Tambourkuppel zu schließen, deren Ausmaße nur
noch von der Papstkirche Sankt Peter übertroffen wurden
(Abb. 6, 9). Doch die Pläne des Kardinalprotektors und der
Ordensleitung reichten noch weiter: Ihr Ziel war es, das
Innere des Kirchenraums mit einem Bildprogramm aus-
malen zu lassen, wie es in diesem Maßstab noch keine der
„modernen" Kirchen Roms gesehen hatte. Das Chorge-

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