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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0091
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6o

18e«.

obern wagerechten Fläche man nebst der Vertiefung in der Mitte, wo der eiserne oder me-
tallene Pflock eingriff, noch eine kleine Einschnittlinie, wie ein Rinnchen, wahrnimmt.
(PL VII. k. /.) Dies Rinnchen scheint k^ine andere Bestimmung gehabt zrr haben, als um
den Säulen bey dem Aufstellen eine bestimmte Richtung zu geben.. Daher man manchmal
auch ähnliche Einschnitte an der untern Horizontfläche des Säulenschaftes beobachtet. Aller-
dings durfte es für den Architekten nicht unwichtig seyn, bey Säulen von gefleckten Mar-
morarten die schönste Seite auch in die vortheilhafteste Ansicht zu bringen; oder umgekehrt,
fehlerhafte und weniger schöne Theile des Schaftes von dem Auge abzuwenden. Der Archi-
tekt erleichterte sich also beym Aufstellen eine sojche beabsichtigte Richtung der Säule, in-
dem er die Einschnittslinien, oder die Rinnchen beider Baukörper aufeinander fallen liefs.

Neunter Abschnitt.

Von den Kapitalen.

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§. i. Das Kapital bildet einen von allen Seiten vorstehenden Uebersatz auf dem Säulen-
schafte, um den Hauptbalken desto füglicher darüber aufzulegen. Es beendigt und krönt
gleichsam die Säule.

Man nennet diesen Baukörper im Deutschen auch den Knauf oder Säulenkopf. Wir
ziehen aber das in unserer Sprache aufgenommene Wort Kapital vor, welches zunächst von
dem italienischen Worte Capitello, wie dieses von dem lateinischen Capitulum, gebildet zu
seyn scheint.

Ursprünglich mag ein solcher Baukörper im Steinbau schlechtweg in einer dicken Platte,
die man über den obern Umfang der Sauie vorragen liefs, bestanden haben. Dergleichen
rohe Versuche sehen wir wirklich noch in einigen ägyptischen Denkmälern. (Pococke PI. 66.
p. 216.) Da indessen eine solche Platte eine beträchtliche Dicke haben mufste; so mochte
man gar bald darauf fallen, diesem schwerfälligen Uebersatze eine schicklichere und gefälli-
gere Gestalt zu geben. Das erste war, dafs man ihn in zwey Haupttheile sonderte, wovon
man dem obern die viereckige Form der Platte liefs, weil diese die schicklichste, um den
Hauptbalken darüber aufzulegen, zu seyn schien; den untern aber liefs man nach einer schrä-
gen Linie (PL VIII. i5-)i oder nach dem Umrifs einer wulstigen Ausbiegung an den obern
Saum des Säulenschaftes anlaufen. Man fieng dann an, den obersten Theil des Schaftes un-
ter dein Namen des Halses als einen dritten Theil dazu zurechnen, wahrscheinlich aus dem
Grunde, den wir, §. 25. des 7ten Abschnitts angaben, dafs man den obersten Theil des Schaf-
tes mit dem Kapital aus einem und demselben Stein arbeitete, damit es durch diesen Zusatz
an Höhe weniger Gefahr liefe, unter der Last des Gebälkes zu springen.

Aus diesen drey Haupttheilen, als der Platte, dem Wulste und dem Halse, besteht das
älteste griechische Kapital, das dorische, so wie auch das toskanische. Allein man blieb
nicht bey dieser einfachen Grundform stehen. Denn da das Kapital gleichsam die Säule
krönet; so erlaubte sich die verschönernde Phantasie hiebey einen gröfsern Spielraum. Die
ägyptischen Denkmäler liefern uns bereits eine grofse Verschiedenheit von Kapitalen, wo-
von aber keines hier unsere nähere Aufmerksamkeit verdient. Die allniähligen Fortschrit-
te der Kunst bey den Griechen erzeugten auch mehrere Formen von Kapitalen, welche das
erste unterscheidende Zeichen ihrer verschiedenen Bauarten wurden. Doch blieben sie im
Wesentlichen immer nur bey drey stehen; und darin ist die Nüchternheit des griechischen
Kunstsinnes um so mehr zu bewundern, je leichter bey Gegenständen dieser Art die Phan-
tasie, durch den Reiz des Neuen, und durch die Vorliebe zum Mannigfaltigen aufgeregt,

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