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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 73.1923

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Heilmaier, Max: Ungünstige Veränderungen in der Holzschnitztechnik im letzten Jahrhundert: in technischer und künstlerischer Beziehung und der Wert der Werkstattradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.8624#0022
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UNGUNSTIGE VERÄNDERUNGEN IN DER
HOLZSCHNITZTECHNIK IM LETZTEN JAHRHUNDERT

IN TECHNISCHER UND KÜNSTLERISCHER BEZIEHUNG
UND DER WERT DER WERKSTATTRADITION

von MAX HEILMAIER, Professor und Bildhauer, Nürnberg

Die unendlich mannigfache Verwendung des Holzes im Dienste
des Menschen bedingt den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend
fortwährende Veränderungen in der Behandlung dieses Materiales
in künstlerischer und technischer Hinsicht. Diesem Auf» und
Niedersteigen im allgemeinen zu folgen ist unmöglich, es kann
nur immer ein kleiner Zweig der Holzverwertung untersucht
werden, ob ungünstige Veränderungen in irgendeiner Weise fest«
zustellen sind. Ich greife aus diesen großem Gebiete die Holz-
schnitzerei heraus, die mit dem Niedergange der Kunst des
18. Jahrhunderts, die ja das Holz in wunderbarer Geschicklichkeit
verwertete, zurückging, weil ihr in der Folgezeit die großen Auf»
gaben in der kirchlichen und profanen Kunst fehlten.

In neuerer Zeit wird dieser Technik wieder mehr Beachtung
geschenkt, auch in Fachschriften durch Erörterungen, aber das
Wesentliche dieser Kunst ist vielen Laien und Vielen, die etwas
davon wissen sollten fremd. Sie stellen sich die Herstellung
einer Holzfigur etwa so vor: „Man geht in den Wald, fällt einen
Baum und macht eine wunderschöne Figur daraus." Der weite
Weg vom Waldbaum bis zur fertigen Figur ist ihnen nicht be»
kannt. Das einfache Schnitzmesser spielt eine Rolle, man liest
wie ein Veit Stoß seine durchgebildeten Meisterwerke damit schuf,
und auch die Sage, daß die alten Meister ihre Werke geradezu,
ohne weitere Vorbereitungen geschaffen haben, ist schon manchem
talentierten Menschen zum Schaden geworden, er brachte nur
deshalb nichts zu wege, weil ihm das Handwerkliche verborgen
blieb, das ausgesucht Erprobte, denn zu einer künstlerischen und
kunstgewerblichen Höchstleistung gehört neben einem hochent»
wickelten Werkzeug, das man handhaben lernen muß auch eine
ernste Vorbereitung bevor an das Material gegangen wird. Wie
wichtig die Werkzeugfrage ist erhellt aus dem Umstände, daß
mit dem Sinken der Anforderungen an die Holzschnitzer auch
Werkzeug litt, denn nach den napoleonischen Kriegen starben
die guten Werkzeugmacher aus und unsere Schnitzer wurden auf
englische Eisen und auf die französischen Stiche angewiesen, die
aber bei weitem nicht den praktischen Werkzeug der Zopfzeit
ersetzen konnten. Von den englischen Eisen kommen als gute
Werkzeuge noch am ersten die nach dem Hefte zu seitlich weich
geschwungen sog. Kanoneneisen (Marke Kanone) in Betracht,
die auch gegen die Schneide zu wieder dünn verlaufen,- durch
ihre weiche seitlich abgerundete Form liegen sie gut in der Hand,
verdrücken am Holze nichts und dadurch, daß sie dem Hefe zu
stärker gehalten sind sprengen sie nicht leicht ab und das schwächer
werdende Verlaufen der Schneide zu erleichtert das Schleifen.
Im großen ganzen ist bei dem heutigen Werkzeuge um höheren
künstlerischen Anforderungen, die auch technisch sind, zu genügen,
eine größere Holztechnik notwendig, als dies erforderlich wäre
wenn ein entsprechender Werkzeug mithelfen würde. Infolge»
dessen bemühen sich auch manche Holzbildhauer selbst Werk»
zeuge zu schaffen, um Zeit und Mühe zu sparen. Diese Mängel
machen sich bald fühlbar, wenn man ein durchgebildetes Werk
der späteren Gotik etwa eine Kleinplastik oder eine Arbeit des
18. Jahrhunderts z. B. eine sehr luftige Birnbaumholzschnitzerei
zu kopieren versucht,- hier wird man bald mit unserem Werkzeug
auf einem toten Punkt sein, der nur durch Schaffung geeigneter

Eisen überwunden wird. In jungen Jahren arbeitete ich zeitweise
mit einem noch in vielen Stichen erhaltenen geschmeidigen feinem
Werkzeuge aus dieser Zeit. Diese Ei.en werden natürlich im
Laufe der Zeit aufgebraucht und heute ist auch der Rest zerstreut.
In Museen fand sich bis jetzt wenig Werkzeug, aber doch hin und
wieder ein gutes Stück, die schönen gotischen Zirkel z. B. werden
schon jedem aufgefallen sein. Sicher ist, daß bereits die Meister
des fünfzehnten Jahrhunderts einen durchgebildeten Werkzeug
zur Hand hatten, der in seinen guten Formen den heutigen eckigen
Eis;n überlegen war, und daß diese gute Werkzeugtradition jähr»
hundertelang fortlebte und im achtzehnten Jahrhundert, um den
virtuosen Anforderungen in der Holzschnitzerei zu genügen, ge»
steigert wurde, sodaß man sagen kann : Im Holzbildhauerwerk»
zeug ist eine entschiedene ungünstige Veränderung festzustellen.
Das Sprichwort: „Ein guter Werkzeug ist halbe Arbeit!", sollte
wieder zu Ehren kommen,-deutscheWerkzeugfabrikanten könnten
im Einvernehmen mit Holzbildhauern auf eine Besserung hin»
wirken und zugleich auch das fremde Produkt ausschalten.

Die Vorbereitungen, die getroffen werden müssen um Werke
der Kunst oder des Kunsthandwerkes zu schaffen, sind technischer
und künstlerischer Art, sie sind bei allen Kunstarten in einem
gewissen Sinne gleich, denn auch ein Werk der Malerei verun-
glückt bei einem Künstler, bei dem das im Laufe der Zeit auf
diesem Gebiete erprobte, durch handwerkliche Schulung erzielte
Können und Wissen nicht vorhanden ist. Nichts ist gefährlicher
als das jetzt oft gebrauchte Wort: „Der Dilletantismus hat heute
das Recht", geringschätzig werden gute Werkstattraditionen, die
an sich einfach erscheinen als etwas Überlebtes betrachtet,- die
aber doch die festeste Stütze des ausübenden Künstlers sind,-
wohl dem der von früher Jugend an etwas davon hörte, denn
derjenige, der alles selbst ausprobieren muß, verliert dabei Jahre
seiner besten Schaffenszeit.

Die Erlahmung des Schwunges, der in der Holzschnitzkunst
des achtzehnten Jahrhunderts lag, trat immer mehr auch in der
technischen Vorbereitung zur Herstellung einer Holzfigur, um
bei einem besonderen Falle zu bleiben, in die Erscheinung. In
dem gespaltenen Halbstamm zwängt der Künstler im Mittelalter
seine Figur und auch bei den Arbeiten der Folgezeit bis zum
letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts bildete der Halb-
stamm den Kern, an dem die Ausladungen angesetzt wurden.
In Groden <SüdtiroI> nehmen die Schnitzer heute noch Halb-
stämme, hauen die Figur im Groben an, höhlen den Klotz hinten
zur Beseitigung des Kernes aus und leimen dann Ausladungen
an in alter Art. Nur litt hier die künstlerische Tradition, denn
als bemerkenswert möchte ich hier einschieben und auch als zur
Sache gehörig, daß von den siebziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts an, eine Neubelebung durch eine akademische Schulung
versucht wurde mit dem Erfolg der Aufgabe des althergebrachten
Guten. In einer sehr lesenswerten Studie mit Illustrationen „Die
Holzschnitzerei im Grödener Tale" von Dr. A. Haberland, Wien
1914, wird unter anderem erwähnt: „Es beginnt mit einem Wort
hier wie überall jene gänzliche Verflachung des eingewurzelten
Geschmackes, den man noch am besten durch Errichtung von
Fachschulen steuern zu können glaubte". — Das flotte Heraus»

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