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ELFENBEIN.

Immer lauter ertönt der Ruf nach „Wiederbelebung
alter Tediniken". Es ist wie der Unterstand bei einer
Generaloffensive der Maschine oder gar des Massen«
artikels, der jede Beziehung zum Künstlerischen, zum
Gesdimack gelöst hat. Man rettet das Erbe der Väter,
die große Vergangenheit in das Kunsthandwerk, man
flieht in die „alte Technik", wie einst Joseph nach Ägyp«
ten, und wartet in deren sicherem Refugium ab, bis
die grausame Gegenwart ein ehrliches kunstgewerb«
liches Schaffen und Messen der Kräfte wieder erlaubt.
Alle Kunst kommt von Können, und diejenigen werden
stets recht behalten, die den meisterhaften Besitz einer
überlegenen Technik, die Herrschaft über Material und
Werkzeug dem Ikarusflug kühner Formlinge und ,,ge«
nialistischer" Stilreformer vorziehen. Ein Kunstgewer*
beverein daher, der es mit seinen Aufgaben ernst nimmt,
eine Zeitschrift für kunsthandwerkliches Schaffen, die
unbeirrt um Strömungen und Gegenspiel von Kräften
auf die Erhaltung des Wesentlichen zielt, werden
daher stets ein genaues Augenmerk auf die Erhaltung
und wenn es nottut, auf Wiederbelebung alter Tech«
niken richten müssen. Was in dieser Beziehung bisher
mehr durch die Gelegenheit hervorgerufen, durch den
Augenblick veranlaßt war, soll nun zusammengefaßt
und mit System gepflegt werden: Wir beginnen mit
dem Elfenbein.

Elfenbein — der kostbare Juwel des Morgenlandes,
gefeiert von der orientalischen Poesie wegen seines blen«
denden Glanzes, seines samtenen Weißes, als Wert«
messer benutzt von den Handelsleuten der Wüste, viel«
leicht das älteste Material für künstlerische Formen! In
den Frühzeiten der abendländischen Kultur und Kunst
tritt dieser wertvollste Stoff, den die Tierwelt über«
haupt bieten kann, bereits in den Dienst klösterlicher
Kunst. Höher geschätzt als Gold und Edelstein war
das Elfenbein fast ausschließlich dem Gottesdienst, den
heiligen Gefäßen vorbehalten, ausersehen, die sieht«
barsten Zeidien der christlichen Religion zu verkörpern.
Wohl finden sich in verschiedenen kunstgewerblichen
SammlungenHörner aus Elfenbein, die mit dem Zere«
moniell der Kirche nichts zu tun haben, vielmehr rein
profanen Aufgaben dienstbar sind. Berühmt in dieser
Beziehung ist das Jagdhorn Karls des Gr. im Münster«
schätz zu Aachen oder das Weifenhorn Heinrich des
Löwen im Braunschweiger Dom. Allein es handelt sich
in allen Fällen um reinen Import aus dem Morgen»
land ,■ es mögen Geschenke aus dem Orient an die Herr«
scher des Abendlandes gewesen sein,- denn der Orien-
tale, hatte wie oben bemerkt, kaum etwas Wertvolle«
res und Schöneres zu schenken, als Gegenstände aus

Kunst und Handwert. Jahrg. 1923 . 3. Vierteljahrsheft

Elfenbein. Soweit wir diese Hörner betrachten, sind
sie durchweg mit arabischen Ornamenten, ja zum Teil
mit afrikanischen Negerverzierungen bearbeitet. Das
eine oder andere Horn mag auch als Beutestück aus
den Zügen nach dem Osten in die europäischen Schatz«
kammern und spätere Sammlungen gelangt sein. Im
übrigen begegnen wir in Europa selbst zunächst fast
nur religiösen Elfenbein werken, Kästchen für Reliquien,
Gefäßen fürTauföl und, eine besondere Merkwürdig«
keit, bischöfliche Konsekrationskämmen, die wieMitra
und Stab ihren einstigen Besitzern ins Grab gefolgt
sind. So fand sich ein solcher Kamm im Grabe des Erz«
bischofs Anno <gest. 1075). Im dritten Heft des vorigen
Jahrgangs haben wir einen derartigen Kamm zur Ab«
bildung gebracht. Es ist ein Prachtstüd< des vierzehnten
Jahrhunderts und zwar italienische Arbeit. Solche Käm«
me sind in verhältnismäßig großer Anzahl erhalten und
nach großen Personen genannt, zu denen sie einst in
Beziehungen gestanden sein mochten. Besonders be«
kannt sind die Kämme Karls des Gr. im Dome zu Os«
nabrüdc, des hl. Ulrich in Augsburg und der hl. Kuni«
gunde in Bamberg. Es ist die Form des doppelreihigen
Strahls mit der weiteren und der engeren Reihe. Der
Mittelstreifen enthält prächtige Schnitzereien mit Szenen
aus dem täglichen Leben, aus Reiterkämpfen, mit tier«
symbolischen Darstellungen und teilweise auch eroti«
sdien Motiven. Es sind Flachreliefs, meistens in der
Flucht der Kammdidce. In der nämlichen Nummer ist
auch ein romanisches Taufgefäß aus dem Bayerischen
Nationalmuseum abgebildet. Kämpfe und Tierszenen
bilden die Umrandung, gefaßt von einem prächtigen
Ornament. Eine Reihe von frühen Elfenbeinkästchen,
die im kirchlichen Besitz waren, scheinen nicht in Europa
gefertigt worden zu sein. Sie sind vielmehr arabischer
oder byzantinischer Herkunft und hatten ursprünglidi
profane Absichten und darum auch profane Motive/
möglich, daß sie als Geschenke an deutsche Fürsten
gekommen, von dem einen oder anderen auch als
Schmuckkästchen usw. benützt worden, in der Mehr«
zahl jedoch kirchlichen Bestimmungen zugeführt worden
sind. Jedenfalls finden sich nur sehr wenige auf deut«
schem Boden entstandene Frühwerke des Elfenbeins,
die gleich von Anfang als weltliche Gefäße beabsichtigt
waren. So das Kunigundenkästchen im Bayerischen
Nationalmuseum.

Unter dem Eindrudc der Emailarbeiten trat das El«
fenbein im 12. und 13. Jahrhundert etwas in den Hin«
tergrund. Die prächtigen Schmelzarbeiten mit ihrem
berauschenden Farbenspiel, ihren herrlidien strengen
Zeichnungen durch die Stege und das Netz drängten

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