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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 73.1923

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Heilmaier, Max: Ungünstige Veränderungen in der Holzschnitztechnik im letzten Jahrhundert: in technischer und künstlerischer Beziehung und der Wert der Werkstattradition
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Danzer, Paul: Zur Frage: "Not der Zeit und Kunstgewerbe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8624#0024
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sich hier um mönchische oder schon freie Meisterarbeiten handelt,
ist nicht wesentlich zu unterscheiden, aufgebaut haben und auch
die Dombauhütten basierten darauf. Das Bildwerk entwickelte
sich stufenweise nach der Entwickelung des Könnens. Die Hoch»
gotik konnte das Vormodell nicht mehr entbehren. In unseren
Museen sind die Zeugen der eingehendsten künstlerischen Vor»
btreitungen zu sehen,- ich verweise hier nur auf die vielen Ton»
figuren in München und Nürnberg,- gewiß waren die Arbeiten,
wie aus Bemalungen hervorgeht, oft Selbstzweck, aber ebenso-
gut wurde nach derartig hergestellten Modellen in Stein und Holz
gearbeitet. Wie sorgfältig ans Werk gegangen wurde, sehen wir
aus dem kleinen Vormodell zum Grabmal Ludwig des Gebarteten
im Nationalmuseum zu München. Ich selbst habe ein bis ins De»
tail durchgearbeitetes Altarmodell aus dem 18. Jahrhundert von
hoher künstlerischer Qualität in Händen. Daß in Zeiten hochent»
wickelter Kunstübung eine eingehende Vorbereitung vor Beginn
der Ausführung eines Werkes in einem hohen Maße geschah,
geht aus obigen Ausführungen hervor, es ließen sich unzählige
derartige Beweise anführen. In manchen Schulen wurde und wird
versucht, nach der Natur Akte in Holz oder Stein herauszuhauen,-
diesen Luxus können sich aber nur Schulen leisten, gewöhnlich
kommt gar nichts dabei heraus, oder nur Arbeiten, die keinerlei
stilistische Haltung haben, weil die Zwischenstufe fehlt, die Ver»
arbeitung der Natur durch das künstlerische Temperament.

An dieser Stelle wäre nun zu untersuchen, wie dies in den
letzten 6 — 8 Dezenien gehandhabt wurde und was sich aus der
alten Werkstattradition erhalten hat. Der neuere Künstler schuf
ein vollständig durchgearbeitetes Gipsmodell, das dann genau in
ein Material übertragen wurde. Viele Künstler, die ganz allein
in Schulen ausgebildet wurden, hatten den Zusammenhang mit
irgend einem endgültigen Materiale und mit der Werkstatt ganz
verloren, das Gipsmodell wurde die Hauptsache, die Ausführung
blieb mehr oder weniger fähigen Arbeitern überlassen. Daß hier
auch glänzende Ausnahmen nebenher liefen, Künstler, die auf
der Werkstatt aufgebaut waren, ist als ein großes Glück festzu»
stellen. Eine Steigerung der Wirkung des Modells, ein Ausreifen
im Material wie das früher stattfand, war nun nicht mehr mög»
lieh, meist war ein Rückgang zu konstatieren, denn der Künstler,
der das Endmaterial nicht beherrschte, stellte durch das Gips»
modell oft Anforderungen, die im Material ganz schlimm zur
Auswirkung kamen. Allerdings trug zu diesen ungünstigen Wand»
lungen die Förderung der Bauplastik bei, das schnelle Herstellen
von Arbeiten, die ohne gut durchgearbeitete Gipsmodelle, mit
den oft sehr verschieden gearteten Hilfskräften nicht möglich ge»
wesen wäre. Im Grunde genommen war dies eben auch wieder
ein Versagen der Werkstattradition und ein Versagen
der Schulerziehung. — In der Zeitschrift des Bayer. Kunstge»

werbevereins Jahrgang 1917 habe ich in einem längeren Aufsatze
,,Zur Ausbildung der Kunsthandwerker" diese Fragen erörtert.
Nur die Forderungen der Werkstattgruppe und des Meister»
ringes können eine Besserung bringen: „Aufbau der Werkstatt»
lehre, Abbau der Schulen". Zunächst wären zu Schulleitern, statt
der sogenannten Organisatoren, nur mehr Leute zu berufen, die
aus irgend einer handwerklichen Technik herausgewachsen sind,
denn soviel auch davon gesprochen wird, daß die Schule die Ma»
terialausführung eines Gegenstandes voranstellen soll, so zeigt
es sich in der Praxis, daß die Schulen in Wirklichkeit hauptsächlich
Entwerferanstalten sind und bleiben. Wird dann die Annäherung
an die Praxis zu sehr betont, so ergibt sich die Tatsache, daß die
Schüler, weil sie das Geldverdienen reizt, keine Studien mehr
machen wollen, und Menschen, die nichts gesammelt haben, kön»
nen auch nichts geben, und so wird das frühzeitige Ausbeuten
des unreifen Könnens nur ein Raubbau der jugendlichen Kraft.
So ist es auch erklärlich, daß sich unsere Schulen immer mehr nach
der graphischen Seite hin entwickeln, weil dort eben ohne beson»
dere Materialunkosten und Materialüberwindung eher ein Erfolg
in der Öffentlichkeit winkt. Die Schulaufgaben sind ein Surrogat
und können als solches auch die Zweckarbeit der Werkstätte nicht
ersetzen, darum ist auch die Forderung der Werkstattgruppe nach
dem Abbau der Schulen begründet. Die Schule verhindert bis zu
einem gewissen Grade das Fortleben der handwerklichen Tradi»
tion: Taucht irgendwo ein geschickter Mensch auf, so wird er für
die Schule gewonnen, nach einer im Durchschnitt verhältnismäßig
kurzen Zeit verschwindet er dort wieder, spurlos verschwindet
mit ihm sein Wirken, denn seine ganzen handwerklichen Erfah-
rungen, die nur in einer freien Werkstätte eine starke Auswir»
kung gefunden hätten, nimmt er gewöhnlich mit ins Grab. Die
Dombaumeister des Mittelalters vererbten ihre Erfahrungen wei-
ter, dies geschah auch in den vielen andern Künstlerfamilien, von
denen wir wissen, und dies geschah hauptsächlich auch in Hand»
werkerfamilien, die oft jahrhundertelang ihrem Gewerbe treu
blieben, wie dies z. B. in meiner Familie nachweisbar ist.

Aus meinem Aufsatze „Ein vergessenes Holzschnitzer- und
Malerdorf im bayerischen Allgäu" Zeitschrift des Bayerischen
Heimatschutzvereins 1919, ist zu ersehen, daß sich dort die Holz-
schnitzerei auch viele Generationen lang in manchen Familien
forterbte, wie dies auch in Groden der Fall war.

Wie nun hier auf ungünstige Veränderungen auf einem Ge»
biete hingewiesen wurde, so ließe sich dies in einer Reihe von
künstlerischen und kunsthandwerklichen Gebieten feststellen und
immer mitdem Ergebnis, daß das Zusammenbrechen
der Werkstattradition auch die künstlerische Leis»
tung beeinträchtigt hat.

ZUR FRAGE: „NOT DER ZEIT UND KUNSTGEWERBE"

Die Betrachtung dieses Problems vom wirtschaftlichen Gesichts-
punkt aus führt im großen Ganzen zu dem Ergebnis, daß einer-
seits das kaufende Publikum auf einen immer kleineren Kreis zu-
sammenschrumpft, wobei leider gerade solche Teile der bisherigen
Nachfrage ausscheiden, denen Kunstsinn und guter Geschmack
eigen ist, daß anderseits die Verdienstmöglichkeit der Kunstge-
werbetreibenden sowohl durch diese Verringerung der Käufer als
auch durch erhöhten Kapitalbedarf und die damit verbundene
Einschränkung der absoluten Produktion herabgedrückt wird.
Dem muß aber als drittes Moment noch beigefügt werden, daß

mit dieser Entwicklung auch die Verbreitung des Kunstgewerbes
überhaupt eingeengt wird. War es in der guten alten Zeit gerade
der Handwerkskunst beschieden, im täglichen Gebrauchsgegen»
stand die Freude am Schönen weitesten Kreisen zu vermitteln,
so ist es damit jetzt aus und nur wenige sehr Reiche können es
sich leisten, ihre nächste Umgebung von banalsten Fabrikerzeug»
nissen frei zu halten.

Wenn man sich nun fragt, wie wir aus diesen Mißständen
heraus kommen können, und wie der Kunstgewerbler wieder zu
besserem Verdienst gelangen kann, so gibt es nur die bedauer»

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