Q* 65.
«NS
Dienstag, den 13. August 1839.
Kunstliteratur.
De Protestantismo artibus haud infeslo
scripsit Carolus Grüneijsen. Stuttgar-
tiae et Tubingae 1839. 4.
Mit obiger Abhandlung, mit der der geehrte Herr
Verfasser an dem diesjährigen Reformationsfest in Leipzig
„in dankbarer Erinnerung an die ihm von der dortigen
theologischen Fakultät ertheilte Doktorwürde" Antheil
nimmt, wird eine Frage von großer Wichtigkeit für das
geistige Leben der Gegenwart in Anregung gebracht. Je
verbreiteter das Vorurtheil ist, der Protestantismus wi-
derstrebe der Kunst, je mehr Schein der Wahrheit es für
oberflächliche Betrachtung hat, desto verdienstlicher ist das
Unternehmen, es in seiner Grundlosigkeit hinzustelle»,
und mit wahrer herzlicher Freude machen wir unsere
Leser darauf aufmerksam, wie wir zugleich die Hoffnung
aussprechen, daß diese alle Protestanten, ja überhaupt
Alle, denen die Aufgaben ihrer Zeit am Herzen liegen,
gleichmäßig berührende Angelegenheit bald in deutscher
Sprache möge besprochen werden. *
Der Vers, hat seine Abhandlung, dem Hauptinhalt
zufolge, in 15 Abschnitte gethcilt. Zur Ucbersicht desselben
wird eü zweckdienlich scpn, den Standpunkt zu gewinnen,
von dem aus er seinen Gegenstand betrachtet, somit die
Aufgabe ihrer ganzen Bedeutung nach zu erfassen. Wir
werden dcßhalb zuerst nach den „Künsten," sodann nach
dem „Protestantismus," und endlich »ach dem „Verhält-
niß des lezlern zu jenen« zu fragen haben. — Mit Recht
nimmt der Vers, die Künste als Kunst, d. h. als Ge-
sammthcit der redenden und bildenden Künste, die, wie
die Geschichte aller Zeiten lehrt, in organischem Zusam-
* So viel um* bekannt, wird die „Deutsche Vicrtel-
jaUrschrift eine Ucbersepung inittheilen.
A. d. R.
menhang unter sich stehen, und immer an dieselbe Saite
in der menschlichen Seele schlagen; noch mehr, er nimmt
sie in historischer Bedeutung, nicht also ihrer bloßen Eri-
stenz nach, sondern in der Höhe und dem Umfang ihrer
eigenthümlichcn Entwickelung. — Ferner, wenn wir nach
dem Protestantismus fragen, so können wir darun-
ter dreierlei verstehen, nämlich t) die die Reformatoren
leitenden Ansichten; 2) die Sinnes- und Denkweise der
Protestanten überhaupt; 3) die Einrichtung der Kirche. —
Das Verhältnis des Protestantismus zu den Künsten
hat nun sowohl jenseitiges als diffeitigcs Vorurtheil so
hingestcllt, als habe crstercr in der That mit diesen nichts
mehr zu schaffen.* Man sagt, die Reformatoren haben
die Bilder aus der Kirche entfernt, ohne weiter nach der
Thatsache zu sehen, ja ohne darnach zu fragen, wie die
Reformatoren über diese Angelegenheit sich geäußert;
man sagt: das Zeitalter der Reformation bezeichnet den
Anfang des Verfalls der Künste, ohne den Zusammen-
hang beider Erscheinungen nur im Allermindesten geschicht-
lich nachzuweisen, ohne daran zu denken, was vorher und
nachher im Bereich des Katholizismus geschehen; man
sagt: der Gottesdienst der Protestanten kann vor sich
gehen, Kunst mag vorhanden seyn oder nicht, ohne nur
sich auf die Frage cinzulaffen: in wie weit katholischer
Gottesdienst nicht ohne die Kunst ausgeübt werden kann?
Der Vers, geht mit Umsicht und reich ausgcstattet
mit geschichtlichen Kenntnissen, auf die Erörterung aller
dieser Fragen ein, die wir der eben gegebenen Reihen-
folge nach betrachten wollen. - Aus dem Schoos der katho-
lischen Kirche hervorgegangen, standen die Reformatoren
durchaus anders der katholischen Kirche gegenüber, als
die später» Protestanten. Thcils mußten sie noch von
der Vergangenheit, als einer erlebten, etwas in sich haben.
* Selbst der Vers, meint, dem Katholizismus scheine die
bildende Kunst, dem Protestantismus die Mastk ange-
messen. VI. p. 9.
«NS
Dienstag, den 13. August 1839.
Kunstliteratur.
De Protestantismo artibus haud infeslo
scripsit Carolus Grüneijsen. Stuttgar-
tiae et Tubingae 1839. 4.
Mit obiger Abhandlung, mit der der geehrte Herr
Verfasser an dem diesjährigen Reformationsfest in Leipzig
„in dankbarer Erinnerung an die ihm von der dortigen
theologischen Fakultät ertheilte Doktorwürde" Antheil
nimmt, wird eine Frage von großer Wichtigkeit für das
geistige Leben der Gegenwart in Anregung gebracht. Je
verbreiteter das Vorurtheil ist, der Protestantismus wi-
derstrebe der Kunst, je mehr Schein der Wahrheit es für
oberflächliche Betrachtung hat, desto verdienstlicher ist das
Unternehmen, es in seiner Grundlosigkeit hinzustelle»,
und mit wahrer herzlicher Freude machen wir unsere
Leser darauf aufmerksam, wie wir zugleich die Hoffnung
aussprechen, daß diese alle Protestanten, ja überhaupt
Alle, denen die Aufgaben ihrer Zeit am Herzen liegen,
gleichmäßig berührende Angelegenheit bald in deutscher
Sprache möge besprochen werden. *
Der Vers, hat seine Abhandlung, dem Hauptinhalt
zufolge, in 15 Abschnitte gethcilt. Zur Ucbersicht desselben
wird eü zweckdienlich scpn, den Standpunkt zu gewinnen,
von dem aus er seinen Gegenstand betrachtet, somit die
Aufgabe ihrer ganzen Bedeutung nach zu erfassen. Wir
werden dcßhalb zuerst nach den „Künsten," sodann nach
dem „Protestantismus," und endlich »ach dem „Verhält-
niß des lezlern zu jenen« zu fragen haben. — Mit Recht
nimmt der Vers, die Künste als Kunst, d. h. als Ge-
sammthcit der redenden und bildenden Künste, die, wie
die Geschichte aller Zeiten lehrt, in organischem Zusam-
* So viel um* bekannt, wird die „Deutsche Vicrtel-
jaUrschrift eine Ucbersepung inittheilen.
A. d. R.
menhang unter sich stehen, und immer an dieselbe Saite
in der menschlichen Seele schlagen; noch mehr, er nimmt
sie in historischer Bedeutung, nicht also ihrer bloßen Eri-
stenz nach, sondern in der Höhe und dem Umfang ihrer
eigenthümlichcn Entwickelung. — Ferner, wenn wir nach
dem Protestantismus fragen, so können wir darun-
ter dreierlei verstehen, nämlich t) die die Reformatoren
leitenden Ansichten; 2) die Sinnes- und Denkweise der
Protestanten überhaupt; 3) die Einrichtung der Kirche. —
Das Verhältnis des Protestantismus zu den Künsten
hat nun sowohl jenseitiges als diffeitigcs Vorurtheil so
hingestcllt, als habe crstercr in der That mit diesen nichts
mehr zu schaffen.* Man sagt, die Reformatoren haben
die Bilder aus der Kirche entfernt, ohne weiter nach der
Thatsache zu sehen, ja ohne darnach zu fragen, wie die
Reformatoren über diese Angelegenheit sich geäußert;
man sagt: das Zeitalter der Reformation bezeichnet den
Anfang des Verfalls der Künste, ohne den Zusammen-
hang beider Erscheinungen nur im Allermindesten geschicht-
lich nachzuweisen, ohne daran zu denken, was vorher und
nachher im Bereich des Katholizismus geschehen; man
sagt: der Gottesdienst der Protestanten kann vor sich
gehen, Kunst mag vorhanden seyn oder nicht, ohne nur
sich auf die Frage cinzulaffen: in wie weit katholischer
Gottesdienst nicht ohne die Kunst ausgeübt werden kann?
Der Vers, geht mit Umsicht und reich ausgcstattet
mit geschichtlichen Kenntnissen, auf die Erörterung aller
dieser Fragen ein, die wir der eben gegebenen Reihen-
folge nach betrachten wollen. - Aus dem Schoos der katho-
lischen Kirche hervorgegangen, standen die Reformatoren
durchaus anders der katholischen Kirche gegenüber, als
die später» Protestanten. Thcils mußten sie noch von
der Vergangenheit, als einer erlebten, etwas in sich haben.
* Selbst der Vers, meint, dem Katholizismus scheine die
bildende Kunst, dem Protestantismus die Mastk ange-
messen. VI. p. 9.