Paul Petau Digital: Sammlung und Katalog, Antiquitäten und Manuskripte


Warum sammelte Paul Petau nicht nur Relikte der Vergangenheit, sondern bemühte sich erstmals auch um einen gedruckten illustrierten Katalog seiner Sammlung? Wie ist dieser Katalog angelegt, wie entsteht er? An welches Publikum richtet er sich? Und woher rührt Petaus Interesse nicht nur für die römische und ägyptische Antike, sondern auch für mittelalterliche Münzen - ein Interesse, das zu seiner Zeit fast beispiellos dasteht? Die hier verfolgte Hypothese lautet, dass es bei aller antiquarischen Gelehrsamkeit, Neugierde und Sammelleidenschaft für Petau auch darum geht, dass die Erforschung der Vergangenheit zugleich bedeutete, eine ehemaligen idealen politischen und religiösen Zustand, die Einheit von politischer und religiöser Macht, heraufzubeschwören. Das Jahr 1610 (als Erscheinungsjahr auf dem Titelblatt des Katalogs angegeben) ist nicht zufällig. Und auch die mehrfach wiederkehrende Phrase: „Non nisi prisca peto“ will nicht nur als gelehrtes Motto, sondern als programmatische politische Aussage gelesen werden.
Das Projekt erarbeitet eine kommentierte Edition des illustrierten, zweiteiligen Sammlungskatalogs von Paul Petau (Portiuncula und Gnōrisma) in seinen verschiedenen Zuständen und Erscheinungsformen von ca. 1610 - 1757. Die Edition liefert eine entscheidende Grundlage für eine kritische Neubewertung der Rolle Paul Petaus in der europäischen Kultur und antiquarischen Forschung des frühen 17. Jahrhunderts.
Im Einzelnen umfasst das Projekt: digitale Faksimiles der verschiedenen Zustände und Ausgaben des zweiteiligen Sammlungskatalogs; eine datenbankgestützte Identifizierung und vertiefte Erschließung der publizierten Objekte (Antiquitäten und Münzen); einen interaktiven und dynamisch erweiterbaren Kommentarapparat. Dazu kommen eine Open-Access-Publikation zu Leben, Werk und Wirkung von Petau in der europäischen Kultur; die virtuelle Rekonstruktion seiner Handschriften- und Büchersammlung, wie sie sich durch die Transkription der Inventare erschließt (die einzelnen Einträge werden später mit den Katalogeinträgen der Bibliotheken, in denen sich die Bände befinden, verknüpfbar sein); und eine Untersuchung von Petaus Rolle innerhalb der Geschichte des Sammelns und der Tradition der Antiquariatswissenschaft durch die Analyse der Daten, die sich aus der kommentierten Online-Edition ergeben.
Realisiert werden kann das Projekt dank der großzügigen Finanzierung durch die Thyssen Stiftung und der technischen Expertise und Infrastruktur der Universitätsbibliothek Heidelberg.
Die Untersuchung dieser eng miteinander verknüpften Aspekte hat zum Ziel, Paul Petau als einer Schlüsselfigur für das Verständnis antiquarischer Interessen des frühen 17. Jahrhunderts in Frankreich und Europa gerecht zu werden. Das Projekt soll Petau erstmals umfassend kontextualisieren: als Sammler, Gelehrten, Herausgeber und Staatsmann in einer Zeit tiefgreifender kultureller Veränderungen und religiöser Konflikte. Indem Petau in den Kontext der antiquarischen Welt an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert gestellt wird und unter Berücksichtigung zweier weiterer Publikationen von ihm: De Epocha annorum incarnationis Christi (1604) und De Nithardo, Caroli Magni nepote (1613), wird es zudem möglich, die Verbindung zwischen antiquarischer Forschung, ‚nationaler Geschichte‘ und religiösem Selbstverständis zu ergründen. Petau sieht die Vergangenheit als ein Kontinuum, das, ausgehend von den antiken Kaisern, zu den frühen Königen Frankreichs führt.
Petaus Sammlung ist zwar von überschaubarem Umfang, stellt aber eine Reihe von Herausforderungen hinsichtlich der verschiedenen Objektkategorien, der Auswahlkriterien, ihrer Authentizität, der taxonomischen Ordnung sowohl bei der Präsentation innerhalb der Sammlung als auch in der gedruckten Publikation und nicht zuletzt der Wahl der Darstellungs- und Dokumentationsform. Um all diese Aspekte kohärent für die Forschungsperspektive zu berücksichtigen, ist ein vielseitiges Vorgehen erforderlich, das von einer grundlegenden Quellenerschließung über eine Analyse der Sammlungsstruktur und Wissensordnung zu einer bildwissenschaftlichen Untersuchung der Illustrationen reicht.