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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Königfeld, Peter [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das holzsichtige Kunstwerk: zur Restaurierung des Münstermann-Altarretabels in Rodenkirchen/Wesermarsch — Hameln: Niemeyer, Heft 26.2002

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Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel

seinen Jüngern und den gegenwärtigen Rodenkirchener Kom-
munikanten das Abendmahl reicht. Die originale Christusfigur ist
verloren und wurde später ungeschickt ergänzt. Münstermanns
Christus sah sicherlich so aus wie in der Abendmahlsszene in
Hohenkirchen.16 Mit der Rechten teilt Jesus das Brot aus; mit der
Linken hält er den Kelch bereit. Vor ihm unterstreicht das Oster-
lamm in der Schüssel den Bezug auf das Passalamm, die Lamm-
Metaphorik in der Weissagung Jes 53 und die Predigt Johannes
des Täufers mit dem Hinweis auf das Lamm Gottes, das der Welt
Sünde trägt. Der Lieblingsjünger „liegt" nach der wörtlich genom-
menen Stelle Joh 13,25, die nicht das Sitzen bei Tisch, sondern
das antike Zu-Tische-Liegen voraussetzt, an der Brust des Herrn.
Die andern Jünger reagieren auf Jesu Ankündigung, daß ihn einer
von ihnen verraten werde, mit den erregten Worten und Gesten:
„Herr, bin ich's?" Judas Ischariot mit dem Beutel sitzt schon halb
abgewandt im Vordergrund und schickt sich an, die Gemeinschaft
zu verlassen. - Im Hintergrund befindet sich abgetrennt durch
eine Balustrade ein von Säulen umgebener Raum, der von einer
halbkugelförmigen Kuppel überwölbt ist. In zwei Wandnischen
stehen die Standbilder der Könige David und Salomo. In der Mitte
befindet sich die Bundeslade mit den beiden aus Gold getriebenen,
einander anblickenden Cherubim (2. Mose 25, 18-20). Im Kuppel-
gewölbe kann der Betrachter - wenngleich mit Mühe - oben
in der Mitte das hebräische Tetragramm (den alttestamentlichen
Gottesnamen) sehen und darunter die Worte lesen: „Der Vater
ist Gott", „Der Sohn ist Gott" und „Der heilige Geist ist Gott".
4) Als Pendant zum Kirchenpatron St. Matthäus steht - wie-
derum zwischen zwei Säulen - eine Figur mit aufgeschlagenem
Buch und Schwert, die als Darstellung des Apostels Paulus gilt.
5) Die rechte Seitentafel (Abb. 7) enthält den zweiten Teil der
Stiftungsworte, die sich auf den Kelch beziehen und die südliche
Seite des Altars samt dem dortigen Knieschemel deshalb dem
Kelchempfang zuweisen. Unter der Tafel ist mit einem Buch der
neben Luther wichtigste Wittenberger Reformator Philipp Melanch-
thon abgebildet. Auch diese Tafel ist von Tugenden umgeben:
Prudentia (Klugheit, rechts außen), Castitas (Reinheit, daneben),
Pietas (Frömmigkeit, rechts oben), Veritas (Wahrhaftigkeit, oben
Mitte), Religio (Ehrfurcht, links darunter) und Patientia (Geduld,
links unten). Als Entsprechung zur Pax gehört zu den Tugenden
die als Putte im rechten Zwickel des großen Gewölbebogens
sitzende Concordia (Eintracht), die in der Hand zwei eng beiein-
ander sitzende Tauben hält.

B. Deutung
Zu den Schrifttafeln (1) und (5)
Die Einsetzungsworte Jesu zum Abendmahl gelten als feierliche,
göttliche Stiftung, sind deshalb Fundament für die Sakraments-
handlung und somit für den Altar und seine Benutzung über-
haupt. Die Anordnung der beiden Hälften der Einsetzungsworte
entspricht der Gestik Christi im Mittelbild, der Anordnung von
Brot und Wein auf dem Altartisch und den beiden seitlich vom
Altar stehenden Knieschemeln, an denen kommuniziert wird.
Luther und Melanchthon haben mit den Einsetzungsworten inso-
fern zu tun, als sie deren wörtliche Geltung insbesondere in den
Bekenntnisschriften (Katechismen, Augsburgische Konfession,
Apologie, Schmalkaldische Artikel) sichergestellt haben. - Weil
bei stiftungsgemäßer Verwaltung des Altarsakraments der Leib
und das Blut Christi in, mit und unter Brot und Wein dargereicht
werden, bleibt die innere Veränderung in den Kommunikanten
nicht aus. Die kathartische, reinigende Kraft der am Sonnabend
und Sonntagmorgen vollzogenen Buße mit ihrem Weg von der
Reue zum Trost, die Nähe des göttlichen Beistands und die Erfah-
rung der innigen Vereinigung mit Christus bewirken eine seelische


7 Rodenkirchen, St. Matthäus-Kirche, Altarretabel, Detail,
Stockwerk 2 und 3, Wange rechts (Aufnahme 2000).

Kräftigung, die das Selbstgefühl verändert und sich im Leben
bewährt. Aus Hoffnungslosigkeit wird Zuversicht und Vertrauen,
woraus dann wieder im zwischenmenschlichen Bereich die Kraft
zur Nächstenliebe und die Fähigkeit zu Gerechtigkeit, Maßhalten
und Geduld erwachsen. Mit den Sprachmitteln der antiken Ethik
beschrieb die ältere Theologie diese inneren Krafterfahrungen
als „Tugenden" und stellten sie - wiederum antiken Vorbildern
folgend - allegorisch als Frauengestalten dar, die durch Namens-
kartuschen und ihre traditionellen unterscheidenden Attribute
gekennzeichnet wurden. In der Abendmahlsliturgie sind die
Tugenden fest verankert, weil sie nicht nur in den gebräuchlichen
Liedern, sondern auch in dem wichtigsten, von Luther selbst
stammenden abschließenden Kollektengebet vorkommen. In
Luthers Lied „Gott sei gelobet und gebenedeiet" (EG 214), das
nach der Agende in Hamelmanns Kirchenordnung zum Abend-
mahl gehört, werden in der dritten Strophe die Tugenden Liebe,
Treue, Maß, Friede und Einigkeit ausdrücklich genannt. In der
Schlußkollekte wird darum gebetet, daß die heilsame und er-
quickende Gabe des Sakraments zu starkem Glauben an Gott
und zu brennender Liebe unter den Menschen führe. Bei der An-
ordnung der Tugenden ist es kein Zufall, daß die theologischen
dominieren: Links die traditionelle, aus dem 1. Korintherbrief des
Apostels Paulus (13,13) geschöpfte Dreiheit Glaube, Hoffnung
und Liebe, rechts die „moderne" Analogiebildung Frömmigkeit,
Wahrhaftigkeit und Ehrfurcht. Von den herkömmlichen vier Kardi-
naltugenden befinden sich drei an der linken Tafel (Gerechtigkeit,
Mäßigkeit und Tapferkeit), während die Klugheit an die rechte
Tafel gesetzt wurde.
Die Beigabe des Schwanes zum Lutherbild geht auf eine
authentische Äußerung Luthers zurück. In seiner Schrift „Glosse
auf das vermeintliche kaiserliche Edikt" (1531) schrieb er: „Sankt
Johannes Hus hat von mir geweissagt, als er aus dem Gefängnis
ins Böhmerland schrieb: »Sie werden jetzt eine Gans braten (denn

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