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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Königfeld, Peter [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das holzsichtige Kunstwerk: zur Restaurierung des Münstermann-Altarretabels in Rodenkirchen/Wesermarsch — Hameln: Niemeyer, Heft 26.2002

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Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel

zentrale Position seitlich der zentralen christologischen Szenen
einnehmen. In Rodenkirchen standen die Statuen Moses und des
Täufers seitlich der Kreuzigung, wie die Schriftkartuschen in den
Postamenten überliefern (vgl. Abb. 6). Selbst wenn Adam an die-
sen Altären nicht dargestellt ist, ist die Thematik vollkommen ins-
zeniert, weil nämlich der Betrachter in das Bildprogramm einbe-
zogen wird, der sich nun an Stelle von Adam zwischen Mose und
Johannes dem Täufer gesetzt fühlt.
Als weiteres Beispiel seien die Darstellungen der fünf Sinne
an der Kanzeltreppe in Rodenkirchen aufgeführt, die sich auf
Vorlagen von Hendrik Goltzius beziehen. Münstermann hat den
Vorlagen die Oberkörper der weiblichen Figuren mit den kenn-
zeichnenden Attributen entnommen und sie mit ornamental
überzogenen Hermen kombiniert, die die Treppenbaluster bilden.56
Die Rolle der Auftraggeber
Die Gestaltung der Werke lag nicht allein in der Verantwortung
des Künstlers, sondern war wesentlich geprägt von den Wünschen
der Auftraggeber,57 in diesem Fall den in der lutherischen Landes-
kirche Oldenburgs Verantwortlichen: dem - auch kirchlichen -
Landesherrn, dem Superintendenten und den Pastoren der jewei-
ligen Gemeinden. Daß auch damals den Kirchgeschworenen eine
nicht unwichtige Rolle zukam, ist durch die Reisen des Berner
Magisters Albrecht Wulf und einiger seiner Kirchgeschworenen
überliefert, die zur Vorbereitung der Errichtung ihres neuen Altares
sich andere Altäre anschauten. Zunächst fuhren sie nach Roden-
kirchen, um sich den Altar anzuschauen. Dieser wurde zum Vor-
bild genommen und von dem Bildhauer M. Christian Bronnen
in vereinfachten Formen nachgebildet. Die zweite Reise führte
Magister Wulf und seine Kirchgeschworenen nach Hohenkirchen,
dessen Münstermann-Altar eine Fassung aufwies, die als Vorbild
für die Berner Fassung dienen sollte.58
Die theologischen Programme Münstermanns entsprechen
weitgehend dem Üblichen in der lutherischen Orthodoxie.59 Der
zweite Artikel des Credo kann dabei ebenso als Mittelpunkt der
Altarprogramme angesehen werden wie das Altarsakrament.60 Es
gibt jedoch Einzelheiten, die den Werken zusätzliche Sinnebenen
zuordnen und die nur bei Münstermann in die Programme auf-
genommen und nur bei ihm gestalterisch umgesetzt wurden.
Die äußerst seltene Verarbeitung des Cranachthemas am
Kanzelfuß in Rodenkirchen und die Kirchenväter am Schalldeckel
der selben Kanzel sind schon als Hinweis darauf gedeutet worden,
daß ein Theologe an den Programmen maßgeblich beteiligt ge-
wesen sein muß.61 Gleichermaßen scheint die Anregung für die
bühnenartig illusionistische Gestaltung der Abendmahlsszenen
auch auf den theologisch begründeten Wunsch der Auftraggeber
zurückzuführen zu sein, Licht als Gottesmetapher gestalterisch zu
visualisieren. Die künstlerische Umsetzung durch Ludwig Münster-
mann kann ebenso als besondere Leistung des Hamburger Bild-
hauers angesehen werden wie die zahlreichen Gestaltungsmerk-
male, die im architektonisch-ornamentalen Aufbau das göttliche
Wirken verdeutlichen.62
Wenngleich es denkbar ist, die „Versammlung der griechischen
und lateinischen Kirchenväter" in den Aufsätzen der Schalldeckel
in Rodenkirchen, Hohenkirchen und Tossens sowie an der Kanzel-
treppe in Varel so zu werten, daß sich die Prediger in die Kontinu-
ität der ungespaltenen Ursprungskirche stellen, ist allein die Tat-
sache, daß sie an einer lutherischen Kanzel abgebildet werden,
so außergewöhnlich, daß auch weitere Sinnebenen denkbar sind.
Diese Abweichungen vom lutherischen Normalprogramm, die
in den östlichen Kirchenvätern, den Katholiken Bernhard von
Clairvaux und Cyrillus sowie in dem Calvinisten Georg von Anhalt
ihren Ausdruck finden, fanden eine glaubwürdige Erklärung da-
rin, daß nahezu alle Pastoren an der Universität Helmstedt aus-


5 Vorblatt einer 1614 in Goslar gedruckten Bibel, die sich in der Gemeinde
Stollhamm befindet.

gebildet wurden, an der es Bestrebungen zur Überwindung der
Glaubensspaltung gab.63 Die Helmstedter Professoren Caselius
und Martini pflegten freundschaftliche Kontakte zu Reformierten
und Katholiken.64 Auch die Superintendenten der Oldenburger
Landeskirche, Daniel Stangen (Amtszeit 1599-1603) und Gott-
fried Schlüter (Amtzeit 1603-1637), die maßgeblichen Einfluß auf
das kirchliche Geschehen in den Grafschaften hatten, waren in
Helmstedt ausgebildet worden.65
Einen nicht unerheblichen Einfluß hat auch der oberste Kirchen-
herr Oldenburgs, Graf Anton Günther, gehabt, von dessen um-
fassender auch theologischer Bildung sein Bibliotheksverzeichnis
von 1637 berichtet.66 Von Anton Günther können auch weitere
Einflüsse auf das Werk Münstermann ausgegangen sein. Als erste
Arbeiten Münstermanns für Oldenburg sind die figürlichen Partien
der Schloßfassade anzusehen, die während der Umgestaltung der
weitgehend mittelalterlichen Burg zu einer zeitgemäßen Residenz
in den Jahren 1603 bis 1612 entstanden. Münstermanns Mitarbeit
ist über eine Unterschrift einer Rechnung nachgewiesen.67 Über
die Mitarbeit am Schloß mag die Aufmerksamkeit auf den Ham-
burger Bildhauer gefallen sein.
Graf Anton Günther von Oldenburg war über die dynastischen
und lehnsrechtlichen Verbindungen in das Netz der europäischen
Herrscherhäuser eingebunden und so beispielsweise mit den
künstlerischen und wissenschaftlichen Entwicklungen am Prager
Hof Rudolphs II. vertraut.68 Lichtmetaphorik und Hinweise auf ein
magisches Weltverständnis lassen sich mit Helmstedter Gedanken-
gut in Verbindung bringen. Zeitweise lehrte neben einigen Orien-
talisten auch Giordano Bruno im Kreis des Helmstedter Lehrkörpers.69
Die Vermittlung dieses speziellen Gedankengutes an den Künstler
kann über die Grafen geschehen sein, die Münstermanns erste
Auftraggeber in den Grafschaften waren. Die dynastischen Ver-
flechtungen des Oldenburger und Delmenhorster Grafenhauses
-vor allem die Beziehungen zu den Herzögen von Braunschweig-
Wolfenbüttel - sowie die auf Reisen geknüpften Verbindungen

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