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Kimpflinger, Wolfgang; Neß, Wolfgang; Zittlau, Reiner; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Fagus-Werk in Alfeld als Weltkulturerbe der UNESCO: Dokumentation des Antragsverfahrens — [Hannover]: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 39.2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.51160#0173
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Welterbeantrag Fagus-Werk

Der Fabrikbau als künstlerische Bauaufgabe der Zukunft
Ähnlich wie Carl Benscheidt bewunderte auch Walter Gropius die Fortschritte der
amerikanischen Industrie. Ihn begeisterte der konventionslose, ganz aus der
Aufgabe und der Funktion abgeleitete Umgang mit den neuen Baumaterialien Beton,
Glas und Stahl. Vor allem in den von anonymen Baumeistern - meist Ingenieuren -
errichteten Nutzbauten erblickte er die Kraft einer neuen monumentalen Baukunst,
die fern von nobilitierenden Tempelmotiven und Rückgriffen auf stilistische Elemente
vergangener Epochen zu einem neuen Aufbruch in der Architektur führen könnten.
Gleich seinem Lehrer Peter Behrens erkannte Gropius, dass nicht mehr Schlösser,
Rathäuser oder Kirchen die großen Bauaufgaben der Zukunft seien, sondern dass
die Industrie als die die Gesellschaft verändernde und zu einer neuen Massenkultur
hinführende Kraft begriffen werden müsse.
Im Gegensatz zu seinem Lehrer Behrens ging Gropius einen bedeutenden Schritt
weiter, der sich im Vergleich zwischen der Turbinenhalle der AEG in Berlin und dem
Fagus-Werk in Alfeld deutlich manifestiert. Behrens verwendet die neuen Materialien
Beton, Stahl und Glas, doch kleidet er die Turbinenhalle noch in eine an
monumentale Bauten vergangener Epochen gemahnende Formensprache: die
Stirnseite folgt, wenngleich nicht in kopierender Absicht, dem Aufbau einer
Tempelfassade mit monumentalen Pylonen aus Beton, die die weitestgehend in Glas
aufgelöste dünne Wand rahmen. Behrens folgt damit dem konventionellen
Verständnis, die Ecken eines Baus besonders stark ausbilden zu müssen, um dem
Gebäude optisch Halt zu geben. In Wirklichkeit bedarf es aber bei der Turbinenhalle
nicht dieser mächtigen Eckverstärkung aus Beton, da es sich um eine
Stahlkonstruktion handelt. Gropius und Meyer werden Behrens diese „konstruktiv
unechte“ Lösung zum Vorwurf machen, ebenso seine Haltung, den Bau durch die
Bezugnahme auf Elemente der Tempelarchitektur aufzuwerten. Wenngleich Lehrer
und Schüler die Meinung vertreten, der Arbeit seinen „Kathedralen“ zu errichten -
d.h. Industriebauten, die die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit durch eine
anspruchsvolle Architektur aufwerten - so verstehen Gropius und Meyer dies nicht im
wörtlichen, sondern im übertragenen Sinn.

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