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208

G. KARO

bewusstes Umstilisieren (unten S. 218). Für die sechseckige
Form der Büchse wüsste ich im kretisch-mykenischen Kreise
kein Gegenstück.
XX. TAFELGESCHIRR UND ANDERE VASEN AUS EDELMETALL.
Einen ganz erstaunlichen Reichtum an Gefässen aus
Edelmetall haben unsere Gräber bewahrt. Selbst in den ärm-
sten (I, II, VI) fehlen goldene und silberne Becher oder Tassen
nicht ganz, die reichen Herren der Grüfte IV und V aber
waren mit einem Tafelgeschirr versehen, dessen sich kein
moderner Fürst zu schämen brauchte. Bei der Betrachtung
dieser Schätze empfiehlt es sich, mit den geringsten Stücken
zu beginnen.
Da sind zunächst zwei fast völlig gleiche, kleine einhen-
kelige Becher (II 220, Schliemann 335,. Abb. 453; VI 912), aus
dünnem Goldblech recht nachlässig getrieben. Indessen darf
man auch diese bescheidensten Gefässe ihrer Art nicht als
blosses Grabzeug ansehen: das beweist schon der Henkel,
dessen Ränder mit Bronzedraht verstärkt sind, um ihn halt-
barer zu machen. Die Form mit dem charakteristischen wag-
rechten Wnlst schliesst sich an feine mittelminoische Thon-
gefässe an, obwohl bei diesen der plastische Wulst fast stets
durch einen gemalten Streifen ersetzt ist,1 während er bei
festländisch frühmykenischen Thongefässen derselben Form
die Regel bildet: ein Anzeichen für die einheimische Herkunft
auch der goldenen Becher. Auch der Spitzbogenfries, der den
oberen Teil der Wandung ziert, mag letzten Endes aus den
Blättern minoischer Sternblumen abgeleitet sein, ist aber kein
normales kretisches Ornament. Zudem ist die Herstellung der
Gefässe so unbeholfen, dass wir unbedenklich die Hand eines
einheimischen Goldschmiedes erkennen dürfen, der aus Kreta
importierte Vorbilder nachahmt. Dazu stimmt ja sehr gut das
verhältnismässig höhere Alter, das wir aus anderen Gründen
schon oben (S. 152 ff.) dem II. und VI. Grabe zugewiesen haben.

1 Ausnahmen: Ein MM. II Becher, feinste Eierschalenware, Stabwerk
über und unter dem Wulst; ein SM. I Becher mit Spiralen und einer mit
Spiralen und runden Scheiben, alle drei aus Knossos (Candia, Museum).
 
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