Ein archaischer Torso in Athen
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stimmten Werken unterbringen könnten. Beide Bestimmungen sind von-
einander abhängig. Der allgemeine Eindruck fiihrt etwa in das letzte
Viertel des sechsten oder an die Wende des sechsten und fünften Jahr-
hunderts. Es scheinen nicht alle Stilelemente in sich einheitlich zu sein.
Die Bildung der Brust und die Art, wie die Falten sich auf der Schulter
ungezwungen zusammenschieben und dann weich nach unten ausbreiten,
machen einen recht fortgeschrittenen Eindruck; dagegen wirken das
Eiaar, die Ungeschicklichkeit in der Angabe des Brustkorbrandes und
die strenge Regelmäßigkeit der Zickzackfalten wesentlich altertümlicher.
Bei dieser Konservierung älterer Formen kann aber auch die archaisierende
Tendenz der Kultstatue initgesprochen haben.
Was uns von archaischer ionischer Plastik aus Ephesos, Milet,
Samos und Delphi, um nur die größeren Gruppen zu nennen, erhalten
ist, gehört zutneist in die erste Hälfte und in das dritte Viertel des sechsten
Jahrhunderts. Nachher führen uns die thasischen Monumente in das
erste, andere Stelen von den Inseln in das zweite Viertel des fünften Jahr-
hunderts. Aber gerade über den reifen Archaisnrus sind wir besonders
schlecht unterrichtet; mit diesem Mangel an Vergleichsmaterial hat ja
auch die Einordnung der archaischen thronenden Göttin in Berlin zu
kämpfen (Ant. Denkm. III 49ff.). Wenn Wiegands Ausführungen, nach
denen sie als ein 'Nachkömmling der kleinasiatisch-ionischen Plastik an-
zusetzen wäre, richtig sind, so würde auch dieser Kunstkreis für unseren
Torso ausscheiden, da die Gewandbehandlung der Göttin in ihrer Flächig-
keit eine völlig andere ist.
So wüßte ich eigentlich nur zwei Werke, in denen wir eine ähnliche
Schwerflüssigkeit des Gewandes wiederfinden, die Fragmente eines sicher
älteren archaischen Sitzbildes aus Paros, die Roesch (a. a. 0. Taf. 1, 2.)
neuerdings veröffentlicht hat, und das wohl jüngere Relief aus Pharsalos
im Louvre (Brunn-Bruckm. 58)1). Wetm die Falten dort auch im ein-
zelnen anders konstruiert sind, so haben sie doch dieselbe schwellende
Weichheit. Manches Wesentliche, was Brunn an seiner nordgriechischen
Kunst empfand, erscheint bei unserer Figur auf einer etwas älteren Stil-
stufe. Vor allenr aber scheint mir ein innerlich verwandtes Empfinden vor-
x) Amelung erinnert mich ferner an einen ebenfalls etwas jiingeren Torso
im Louvre, B. C. H. XXIV 1900, pl. XII, der von Collignon a. a. O. 541 dem
gleichen Kunstkreise zugewiesen wurde.
Atlien. Mitteilnngen XXXXVI 1921
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stimmten Werken unterbringen könnten. Beide Bestimmungen sind von-
einander abhängig. Der allgemeine Eindruck fiihrt etwa in das letzte
Viertel des sechsten oder an die Wende des sechsten und fünften Jahr-
hunderts. Es scheinen nicht alle Stilelemente in sich einheitlich zu sein.
Die Bildung der Brust und die Art, wie die Falten sich auf der Schulter
ungezwungen zusammenschieben und dann weich nach unten ausbreiten,
machen einen recht fortgeschrittenen Eindruck; dagegen wirken das
Eiaar, die Ungeschicklichkeit in der Angabe des Brustkorbrandes und
die strenge Regelmäßigkeit der Zickzackfalten wesentlich altertümlicher.
Bei dieser Konservierung älterer Formen kann aber auch die archaisierende
Tendenz der Kultstatue initgesprochen haben.
Was uns von archaischer ionischer Plastik aus Ephesos, Milet,
Samos und Delphi, um nur die größeren Gruppen zu nennen, erhalten
ist, gehört zutneist in die erste Hälfte und in das dritte Viertel des sechsten
Jahrhunderts. Nachher führen uns die thasischen Monumente in das
erste, andere Stelen von den Inseln in das zweite Viertel des fünften Jahr-
hunderts. Aber gerade über den reifen Archaisnrus sind wir besonders
schlecht unterrichtet; mit diesem Mangel an Vergleichsmaterial hat ja
auch die Einordnung der archaischen thronenden Göttin in Berlin zu
kämpfen (Ant. Denkm. III 49ff.). Wenn Wiegands Ausführungen, nach
denen sie als ein 'Nachkömmling der kleinasiatisch-ionischen Plastik an-
zusetzen wäre, richtig sind, so würde auch dieser Kunstkreis für unseren
Torso ausscheiden, da die Gewandbehandlung der Göttin in ihrer Flächig-
keit eine völlig andere ist.
So wüßte ich eigentlich nur zwei Werke, in denen wir eine ähnliche
Schwerflüssigkeit des Gewandes wiederfinden, die Fragmente eines sicher
älteren archaischen Sitzbildes aus Paros, die Roesch (a. a. 0. Taf. 1, 2.)
neuerdings veröffentlicht hat, und das wohl jüngere Relief aus Pharsalos
im Louvre (Brunn-Bruckm. 58)1). Wetm die Falten dort auch im ein-
zelnen anders konstruiert sind, so haben sie doch dieselbe schwellende
Weichheit. Manches Wesentliche, was Brunn an seiner nordgriechischen
Kunst empfand, erscheint bei unserer Figur auf einer etwas älteren Stil-
stufe. Vor allenr aber scheint mir ein innerlich verwandtes Empfinden vor-
x) Amelung erinnert mich ferner an einen ebenfalls etwas jiingeren Torso
im Louvre, B. C. H. XXIV 1900, pl. XII, der von Collignon a. a. O. 541 dem
gleichen Kunstkreise zugewiesen wurde.
Atlien. Mitteilnngen XXXXVI 1921
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