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Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Mitarb.]; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Mitarb.]
Das Kurhaustheater in Augsburg-Göggingen — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 14: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.63239#0013
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Ruth-Maria Ullrich
Das Kurhaustheater in Göggingen —
ein „pleasure garden“ des
19. Jahrhunderts.

Zur Typologie
Das Gögginger Kurhaustheater — „ganz aus Eisen und
Glas, ein sonderbares Märchen, in das sich der Sonnen-
schein durch bleiche und farbige Gläser ergießt ...“1) ist
eines der wenigen überlebenden Beispiele der im 19. Jahr-
hundert so glanzvollen und variantenreichen Bauaufgabe
„Öffentlicher Wintergarten“.
Die „Leipziger lllustrirte Zeitung“ von 1886 hat uns eine ein-
drucksvolle Innenraumperspektive überliefert (siehe Titel-
bild).
Vor den in Fenster aufgelösten Wänden steigt aus Pflan-
zenbeeten eine schlanke eiserne Säuienkonstruktion auf
und umsäumt mit ihren beiden Zuschauergalerien den
Theaterraum. Auch die dem Beschauer verborgene Bühne
bildet keinen festen Raumabschluß, denn eine farbig ver-
glaste Tür kann sich zum Garten hin öffnen. Die Festlich-
keit der Szenerie entsteht nicht nur durch die üppige Orna-
mentik der Säulen, Kapitelle, Podeste, Gesimse und Bal-
konbrüstungen. Malerisch angeordnet, vermitteln breit-
blättrige Bananenstauden und die immergrünen Wedel der
Fächer-und Fiederpalmen die Illusion eines Wintergartens.
Die um 1886 und 1888 veröffentlichten Pläne und Baube-
schreibungen2) haben die ursprüngliche Namensgebung
bewahrt: „Gesellschaftsbaus“ neben „Cur(haus)theater“
oder „Sommertheater“ und „Palmengarten“ oder „Winter-
garten“. Diese Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten in einem
einzigen Raum entsprach der immer reicher werdenden Dif-
ferenzierung der öffentlichen Bauaufgaben in der zweiten
Jahrhunderthälfte. Sie ist charakteristisch für die viel-
schichtige städtisch-industrielle Gesellschaft des 19. Jahr-
hunderts, die die ehemals der höfisch-aristokratischen Ge-
sellschaft vorbehaltenen Bildungs- und Vergnügungsein-
richtungen in öffentliche Bauaufgaben umgewandelt hatte,
Museen, Bibliotheken, Theater, botanische und zoologi-
sche Gärten, öffentliche Parks und Wintergärten, wobei die
feudalen Lebens- und Bauformen weiter Vorbild blieben.
Das in mehreren Auflagen und zahlreichen Bänden seit
1885 erschienene „Handbuch der Architektur“ erfaßt nicht
nur die repräsentativen Bauaufgaben, sondern macht auch
ihre Tendenz, sich zu differenzieren und sich untereinander
zu vermischen, deutlich. So weist der Gögginger Bau — der
wie eine villa suburbana vor den Toren der Stadt liegt — we-
niger Verwandtschaft mit den bürgerlichen Stadttheatern
auf als mit den kasinoähnlichen Bauten, wie sie in den Ka-
piteln „Cur- und Konversations-Häuser mit Theater, Spiel-
sälen etc.“ oder „Singspielhallen, Schaubühnen und ver-
wandte Anlagen“ aufgeführt sind, zu denen auch die Tages-
und Sommertheater rechnen.3)
Direkt erwähnt wird das Kurhaustheater im Kapitel „Öffent-
liche Vergnügungsstätten“4) die mit ihren „den Geist und
Körper erquickenden Naturgenüssen“ ... „parkähnlichen

Anlagen, Pflanzenhäusern, Blumenhainen und Palmengär-
ten“ zugeordnet sind. „Erst die Neuzeit“, so heißt es weiter,
„hat diese großartigen Werke zu einer gedeihlichen Ent-
wicklung gebracht, indem sie Bauten erstehen ließ, welche
der Öffentlichkeit angepaßt und nutzbar gemacht, also
wirklich volkstümlich sind. Sie beruhen aber großenteils
auf alten Überlieferungen und Gebräuchen.“
Dieses Beziehungsgeflecht aus Tradition und Fortschritt,
dem die heutige Architekturkritik einen besonderen Wert
beimißt, muß bei der Untersuchung des Kurhaustheaters
berücksichtigt werden. Während früher eher der Gegensatz
von historisierender Architektur und rationaler Ingenieurar-
chitektur gesehen wurde, schätzt man heute das damalige
Bedürfnis nach Synthese, das erst die Geschlossenheit der
Ensembles und den Reichtum der historischen Formen be-
wirkte. „Historismus und Funktionalismus“ — so Prof.
Evers, Darmstadt — „gehören zusammen“.5)
Tradition
Eine Vorstufe dieser „Erholungsstätten für große Städte“
sind die Londoner „pleasure gardens“ des 17. und 18. Jahr-
hunderts, die auch später in Paris Mode wurden. Warwick
Wroth6) hat über sechzig Unternehmen der Londoner Stadt-
bezirke zusammengetragen. Zu den bekanntesten gehörten
„Ranelagh Gardens“ (1742—1803) in Chelsea mit dem
Konzert- und Ballhaus „Rotunda“ und die an der Themse
gelegenen „Vauxhall Gardens“ (1661—1859). Ihre schatti-
gen Spazierwege, abendlichen Illuminationen, Maskeraden,
Feuerwerke, open-air Konzerte und festlichen Mahlzeiten in
den „supper-boxes“ zogen alle Volksschichten in ihren Mu-
ßestunden an. Noch um 1844 war die Beliebtheit so groß,
daß man plante, die Promenaden in Wintergärten zu ver-
wandeln.7) (Abb. 6, 7)
Wollte man den Gögginger Bau mit einem traditionellen
Theater vergleichen, so bietet sich das intime Markgräfli-
che Theater in Bayreuth an, (Abb. 9) das auch zeitweilig
Schauspieler nach Göggingen entlieh. Der Zuschauerraum,
ein berühmtes Werk von Guiseppe und Carlo Bibiena
(1745—48) gehört mit seinen drei übereinandergesetzten
Emporen zum Typ des barocken Logentheaters. Seine fest-
liche Bauornamentik: bekränzte Säulen, die Kompositord-
nung, Voluten, Konsolen, Gesimse, das Wechselspiel von
Malerei und plastischer Form, die als schmückende Bau-
glieder ausgebildeten Brüstungen und Treppen bleiben
auch für das Kurtheater bestimmend.
Dagegen ist die Abkehr von der Holzbauweise und die Er-
setzung durch eine Eisenkonstruktion ebenso folgenreich
wie-die Verglasung der Außenwände: statt enger Licht und
Luft ermangelnder Logen besitzt das Gögginger Theater

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