Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 19.1903

DOI Heft:
1. Heft
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.43187#0013
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1903

A RCH1 TEKTONISCHE RUN DSC HA U

Heft 1

Flächenornament von Q Paul Bürck in Darmstadt.


und Kirchen er-
strebten, und bei
ihnen haben des-
halb Blumenge-
winde an Pfeilern
und Wölbungen
keinen Daseins-
grund.... Gegen-
wärtig müssen
wir alle mög-
lichen Anstren-
gungen darauf
richten, eine Or-
namentik zu
schaffen, die un-
seren Baudenk-
mälern und ihrer
neuen Aufgabe,
unseren Häusern
und ihrer wirk-
lichen und ver-
einfachten Auf-
gabe angemes-
sen ist.«
Es gab viele,
welche mein¬

ten, diese abstrakte Richtung werde eine internationale Kunst
herbeiführen, weil sie dem Empfinden der Gegenwart ent-
spreche, die das Verständnis für die Märchenpoesie der Ver-
gangenheit verloren habe.
Die zweite Gruppe von neuen Ornamentisten, welche

Wir Deut-
sche wollen
eben nicht
bloss ab-
strakte Linien-
züge geben,
sondern leben-
dig darstellen,
was uns in der
Naturentzückt
und im tief-
sten Innern
sch merzlich
und freudig-
bewegt.
Ungemein
fesselnd istdie
Betrachtung,
welch man-
nigfaltigen
Ausdruck die-

Paul Bürck in Darmstadt.

Flächenornament von



ses Streben in
den ornamentalen Schöpfungen der Gegenwart findet. Wir
haben deshalb eine Reihe verschiedenartigster Beispiele neben-
einandergestellt, die besser als Worte die Unterschiede veran-

die wesenlose Linie als das Ornament der Zukunft priesen
und durch deren Verschlingungen und Verdoppelungen Stim-
mungen allgemein verständlich ausdrücken und hervorrufen und
das den Menschen angeborene Sehnen nach schmückender

schaulichen werden.
Besonders bemerkenswert erscheinen uns die Entwürfe
von Bürck*) insofern, als sie vielfach den bewussten Ueber-
gang von der abstrakten dekorativen Linie zu einer Verbindung


Rosetten von
Paul Bürck in Darmstadt.


Verschönerung
seiner Arbeiten
befriedigen zu
können meinten,
hat in diesem
Jahre einen ihrer
bedeutendsten
Vorkämpfer ver-
loren, der durch
seine unerschöpf-
liche Schaffens-
kraft einen um-
fassenden Ein-
fluss auf die neue
Kunst ausgeübt
hat. Otto Eck-
mann ist allzu
früh dahingesun-
ken; sein Schaf-
fen erstarb, als

Flächenornament von Paul Bürck in Darmstadt.


derselben mit
naturalistischen
und figürlichen
Gebilden zeigen.
Bezeichnende
Beispiele des mo-
dernen Orna-
mentes sind sie
auch insofern, als
sie — wie es im
Begleittext des
genannten Wer-
kes ausgedrückt
wird — vielfach
die nervöse Un-
ruhe und die Em-
pfindsamkeit un-
serer Zeit atmen.
Ob diese Unruhe
wirklich wie


Rosetten von
Paul Bürck in Darmstadt.


seine Schöpfungen, reich an innerem Gehalte, immer deut-
licher die Abklärung und das Masshalten des gereiften Meisters

der Begleittext behauptet — das Merkmal der einzigen Orna-
mentik ist, welche auf uns einen tief innerlichen Eindruck zu

zeigten.

machen vermag, mag dahingestellt bleiben. Sollte nicht viel-

Die nur zu oft missverstandene Nachahmung seiner Linien
hat die Art der Linien-Ornamentierung schnell zu einer ge-
wissen Grenze der Wirksamkeit geführt. Auch in ernsten

mehr gerade die wohlthuende Ruhe und Klarheit, welche uns
z. B. an den reifen Schöpfungen des vornehmen französischen
Rokoko aus der Zeit der Regence, mit der wir unsere Zeit so

Künstlerkreisen macht sich die Ueberzeugung geltend, dass
auch sie nicht auf die Dauer befriedigen wird. Wie das
abstrakte Ornament der Konstruktionslinie kann auch das
abstrakte Ornament der dekorativen Linie unser deutsches
Empfinden nicht erschöpfen, das neben den äusserlichen Aus-
drucksmitteln gefälliger Formen einen poetischen Inhalt ver-
langt, wie das deutsche Lied neben dem Wohlklang die innere
Poesie darbietet und weit mehr durch die innere Gefühlstiefe
als durch den Wohlklang wirkt.

gern und nicht mit Unrecht vergleichen, so anmutet, ein heil-
sames Gegengewicht für das nervöse Hasten unserer Zeit
bieten und deshalb unser künstlerisches Empfinden besonders
befriedigen, sobald es sich um den Schmuck von Gegen-
ständen und Räumen handelt, in denen wir dauernd oder
häufig uns aufhalten und Ruhe und Sammlung für die Tages-
arbeit finden müssen? (Schluss folgt.)
*) Aus Ornament 1902 Paul Biirck. Hauskunst-Verlag von Otto
Schulze-Köln in Darmstadt.


3
 
Annotationen