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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 19.1903

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1Q03

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 10



Deutsche Städteausstellung in Dresden.
Industriehalle.
den freigebliebenen Teil des Hauptsaales gelegt, die den Blick des Ein-
tretenden schon von fernher auf dessen Hauptstück, den vor eine flache
Nische der Saalrückwand gestellten Abguss des grossartigen Neptuns-
brunnens aus dem gräflich Marcolinischen Palais hinleitet, der im Auftrage
des Ministers Grafen Brühl von Mattielli 1741—1744 geschaffen wurde. Der
verbleibende Raum ist in seinen Verhältnissen den beiden dort aufgestellten
Modellen der neuen Rathäuser für Hannover und Leipzig angepasst. Die
Einbauten sind blau, der Hauptsaal grün und die Nische hinter dem gelblich-
weissen Brunnenaufbau orangefarben gehalten.
In den übrigen Räumen ist die unter Leitung von Architekt Tandler
vom bautechnischen Bureau der Ausstellung ausgeführte Dekoration meist
auf einfache aufgemalte Ornamente als zweckentsprechende Umrahmungen
der Thürausschnitte beschränkt. Recht angenehm wirkt die ruhige Farben-
stimmung der Wände und der Decken in Grau, Blau und wenig Gelb in
dem nach Angabe des Architekten Max Hans Kühne eingerichteten Lese-
zimmer. Dagegen vermag man sich mit der wiederholten Anbringung
künstlicher Pflanzenpyramiden und dergl., auch im Hauptsaale, nicht zu
befreunden, am wenigsten in einer Ausstellung, die mitten im Sommer in
unmittelbarer Nähe eines prachtvollen Parkes stattfindet.
Die neu errichteten Ausstellungsbauten sind in Holzkonstruktion, meist
mit Bretterverkleidung, hergestellt und zeigen vielfach im Aeusseren gewisse
Anklänge an ägyptische Tempelformen. Sehr wirkungsvoll ist die Bemalung
der naturfarbenen Brettverkleidung mit einzelnen guterfundenen mehr-
farbigen Ornamentstreifen, von denen Maler Wiese einen grossen Teil
ausgeführt hat, und die materialgemässe Flächengliederung durch den
ornamental wirkenden Schnitt der Brettenden an den Thür- und Fenster-
umrahmungen u. s. w. Von den kleineren Bauten sind in Bezug auf die
äussere Form der zierliche Pavillon der Gesellschaft für drahtlose
Telegraphie, der durch kräftige Form und durch die Farbengebung her-
vortretende Kiosk der Kitsonlicht-Gesellschaft und als originell der
Pavillon des Eisenwerkes Rud. Otto Meyer, G. m. b. H. in Mannheim
zu erwähnen, der die Form eines Strebelkessels für Warmwasserheizung
zeigt. Die Firma Gebr. Körting in Körtingsdorf bei Hannover hat nach
dem Entwurf der Architekten Lossow & Viehweger einen stattlichen
Bau errichten lassen, der durch den grossen Massstab, die reichen Stuck-
verzierungen und die luftigen Schmiedearbeiten als Bekrönung an die Bauten
der vorjährigen Düsseldorfer Ausstellung gemahnt und von den überein-
stimmend ziemlich schlicht gehaltenen übrigen Bauten der Städteausstellung
sich lebhaft abhebt.
In Bezug auf die vorzügliche Zimmerkonstruktion verdient die von
Architekt und Zimmermeister Ernst Noack und Architekt Richard
Schleinitz entworfene und ausgeführte Industriehalle besondere Er-
wähnung. Der Entwurf erhielt in dem vorausgegangenen Wettbewerb den
ersten Preis. Ein Raum von 75 m Länge und 35 m Breite bei 7,50 m
Höhe bis zur Dachkante ist vollständig frei von Stützen mit Howeträgern
überspannt.
Die Ausstellung selbst bietet dem Architekten ausserordentlich viel
und Mannigfaltiges, denn die Entwickelungsgeschichte der Städte in früheren
Zeiten wird ebenso wie der jetzige Stand des Städtewesens am deutlichsten
und eindringlichsten durch die Gegenüberstellung der alten Baudenkmäler
und der überaus vielseitigen städtischen Bauten der Gegenwart erläutert.
Welche Fülle von Anregungen, von historischen Entwickelungsreihen und
lehrreichen Vergleichen bieten diese zum Teil noch nie in ähnlicher Weise
nebeneinander gestellten Pläne, Modelle und Aufnahmen! Ihre eingehende
vergleichende Bearbeitung und Würdigung wird hoffentlich durch hervor-
ragende Kenner der zahlreichen Einzelgebiete erfolgen und als bleibendes,
wertvollstes Ergebnis dieser verdienstvollen Ausstellungsveranstaltung in
umfassender Weise veröffentlicht werden. (Wie verlautet, sind bereits
20000 Mk. für Bearbeitung und Herausgabe eines umfassenden Werkes
über die Ausstellung in den Etat derselben eingesetzt.)
Ein solcher Bericht wird eine hervorragende Bereicherung unserer
Fachlitteratur, eine besonders wertvolle Ergänzung zu dem in der Welt-
literatur einzig dastehenden »Handbuch der Architektur« bilden und am
besten die müssige Frage, warum und wozu denn eigentlich die Städte-
ausstellung dienen solle, beantworten, die von witzigen Zeitungsschreibern
in den Feuilletons der Tageszeitungen mit Vorliebe aufgeworfen wird.
Der Laie verstehe ja doch nichts davon, und der Fachmann könne und
werde seine Spezialstudien lieber an Ort und Stelle vornehmen. Man ver-
misse die Verarbeitung und vergleichende Zusammenstellung

des Einzelmaterials (!).« Freilich kann
auch der Laie über eine solche Urteilslosigkeit
nur lächeln, wenn er bedenkt, mit welchen
Schwierigkeiten und Zeitopfern, ganz abge-
sehen von den Kosten, eine derartige Be-
arbeitung verknüpft sein müsste, wenn nicht
eben durch die Ausstellung das Material dafür
zum ersten Male übersichtlich und an einem
Orte zusammengebracht worden wäre. Ausser-
dem wird der Fachmann die Schwierigkeiten
einzuschätzen wissen, welche eine vergleichende
kritische Würdigung der Schöpfungen deraller-
jiingsten Vergangenheit, der Gegenwart, ja
zum Teil der Zukunft bieten muss, noch dazu
auf Gebieten, die zum Teil eine ganz neue,
meist fabelhaft schnelle Entwickelung erfahren
haben und bei denen so zahlreiche, wichtige
Faktoren mitsprechen wie beim Städtebau.
Fabelhaft schnell sind die deutschen Städte
in den letzten Jahrzehnten gewachsen: aus
den grossen Städten des Mittelalters und des
19. Jahrhunderts sind Grossstädte im wahren
Sinne des Wortes geworden. Das Zusammen-
fluten der Bevölkerung in den grossen Mittel-
punkten der Industrie, die ungeahnte Steige-
rung von Handel und Verkehr haben eine
Entwickelung gebracht, der gegenüber die
einstmals bedeutendsten und mächtigsten Städte puppenhaft klein und eng
erscheinen. Neue Aufgaben von umfassendster Bedeutung, lebhaftester
Interessenwiderstreit, ungeahnte, aber nicht unüberwindliche Schwierig-
keiten, künstlerische und technische wie soziale, haben sich für den Städte-
bau und das Städtebauwesen daraus ergeben. Das zeigen uns die Dar-
bietungen auf allen hier vertretenen Gebieten des Bauwesens.
Mancherlei Irrtümer und Fehlgriffe sind bei dem sprunghaften Fort-
schreiten über alle bisher gegebenen Grenzen und Erfahrungen ganz
natürlich. Erst allmählich hat man die verschiedenartigen Anforderungen,
die an die Bebauungspläne gestellt werden müssen, gegeneinander ab-
wägen gelernt, und zuletzt ist auch dem Künstler sein so lange vorent-
haltener Anteil an der Gestaltung der neuen Stadtteile wieder zugestanden
worden. Noch ist die Aera der auf dem Reissbrett entstandenen gleich-
mässig öden, rechtwinkligen Quartiere nicht überall überwunden, noch ist
im städtischen Hochbauwesen die Schablone des Nützlichkeitsbaus und
der Kulissenarchitektur nicht überall durch wahrhaft baukünstlerisches
Schaffen abgelöst. Aber es ist schon vieles besser geworden, besseres
Verständnis für die Kunst spricht sich in zahlreichen hervorragenden
Schöpfungen aus und die Ausstellung wird ihr Teil dazu beitragen, denen,
die noch unberührt sind von dieser Erkenntnis, durch die Nebeneinander-
stellung die Augen zu öffnen.

Deutsche Städteausstellung in Dresden.
Kiosk der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie.

Architekten: E. Noack und R. Schleinitz
in Dresden.

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Architekt: Alfred Pusch
in Dresden.
 
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