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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 26.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.27775#0031
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1910

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

Alte Stadttore.

Wer auf fröhlicher Wanderfahrt die Lande durchstrei-
fend dem Zauber der alten Städte sich hingibt und
erfrischende Anregung zu neuem Schaffen sucht aus
der Kunst der Vergangenheit, den fesseln vor allem die Tore.
Weithin schon grüßen ihre hochragenden Türme, den Eingang
weisend in die von der alten Mauer noch festumschlossene Stadt.
Von weit-
ausschauen-
der Macht
und trotziger
Abwehr, von
mutigem
Selbstver-
trauen und
fröhlichem
Heimatstolz
der Bürger
erzählen sie
dem Nahen-
den, und wie
mit tausend
Zauberfäden
umspinnt ihn
die Erinne-
rung. Be-
vor er ein-
tritt, steigtdie
Vergangen-
heit lebendig
vor ihm auf
mit Sturm
und Not, mit
Kriegsgefahr
und zähem, ungebeugtem Schaffen, daraus der Wohlstand
blühte und frohe Pflege aller schönen Kunst. Und wie im
Traume wandelt er hindurch; wie alte, traute Freunde grüßen
ihn die niegeschauten engen Gassen, die stolzen Giebel-
häuser um den stillen Markt. In trautem Erker bei dem
schönen Brunnen hält er Rast und schaut zurück zum Tore,
dessen wuchtiger Bau den Blick begrenzt. Und wenn er
scheidet, wendet oft und dankbar sich der Blick zurück zum
Tore, das allen Zauber alter Schönheit wieder treu verschließt.
Da schnaubt’s und faucht’s und rast vorüber und in weitem
Bogen um die Stadt, und drinnen, im alten Rathaussaale, wo
dereinst die Väter die Festigung der alten Stadt beschlossen,
klagt mit bewegten Worten der Gastwirt, ein moderner Mann:
»Das finstre Tor muß weg, durch dessen Enge nur der Ver-
kehr versperrt wird. Wie kann die Stadt gedeihen und der
Bürger, wenn all die feinen, reichen Fremden, die im Auto-
mobil auf breiter Straße reisen, die enge Durchfahrt meiden!
Was soll das alte Tor? hinweg damit! und mit den Steinen
füllen wir den Graben!«
Der Kampf entbrennt, ungleich sind die Parteien und un-
gleich sind die Waffen — Übertreibung, Eigennutz und Unver-
stand, moderne Zukunftsträume, die sich nie erfüllen! Und
wieder fällt ein Zeuge stolzer, alter Zeit.
So geht’s allüberall. Von allen Sorgen der Denkmalpflege
ist der Schutz der alten Tore gegen den moderneren Größen-
wahn vielleicht die schwerste. Und doch sind gerade die Tore
mit ihren vielgestaltigen Türmen nicht nur Zeugen der Ver-
gangenheit, Wahrzeichen ihrer kleinen Stadt — ein unermeß-
lich reicher Schatz an alter Kunst ist’s, der in ihnen uns über-
liefert ist und für dessen Erhaltung alle eintreten sollten, vor
allem aber jeder Künstler, auch der modernste, dem ein neues


Blühen und Gedeihen unsres Schaffens am Herzen liegt. —
Wohl ist es oft recht schwer, dem unaufhaltsamen Wachs-
tum der Städte und wirklich berechtigten Anforderungen des
Verkehrs dabei Rechnung zu tragen und nicht überall gelingt
es in so glücklicher Weise, wie bei dem Umbau des Weißen
Tores in Nürnberg, den alten Gesamteindruck zu erhalten.
Aber die bisher nur seltenen Beispiele glücklichen Gelingens
sollten nur um so mehr dazu anspornen, alle Kräfte für die
Erhaltung der alten Tore, nicht nur als Bauten an sich, son-
dern möglichst in dem Zusammenwirken mit der Umgebung
einzusetzen. Denn im Gesamtbilde liegt — mag auch der
künstlerische und kunstgeschichtliche Wert einzelner Torbauten
an sich noch so hoch sein — der Hauptwert aller, auch der
einfachsten, für die Gegenwart und für die Zukunft, das An-
regende, Vorbildliche in der Gruppenbildung und Umrißwir-
kung, das immer von neuem dazu antreibt, sie zu zeichnen.
Wie wundervoll vermitteln diese alten Anlagen mit dem
unerschöpflichen Wechsel der Formen durch die Gruppierung
der Vorbauten den Übergang von der engen geschlossenen
Stadt zur freien Umgebung, zur offenen Landstraße und den
vor der Mauer sich hinziehenden Gärten mit den kleinen ver-
streuten Häuschen!
Zerstört man den Zusammenhang, legt man den Torbau
frei, indem man die anstoßende Mauer niederreißt, den Graben
füllt und die mit Mauer und Tor innig verwachsenen alten
Häuser und Häuschen durch stattliche Neubauten ersetzt, dann
kann meist auch das alte Tor selbst fallen. Die künstlerische
Wirkung, die bezaubernde Stimmung ist unwiederbringlich dahin!

Einersheimer Tor in Iphofen Aufnahme von C. Bräutigam
in Mittelfranken. in Nürnberg.


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