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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 26.1910

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3. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27775#0036
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1910

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

Die Michaeliskirche in Hamburg. Neues Hauptgesims.

ich mich gegen den hier

Aber ob sie wohl bessere Raumkünstler sind, als diese??
stilecht den Möllerschen Raum wieder heraufzaubern werden??

»Die Kommission glaubt mit Rücksicht darauf, daß

Die Michaeliskirche in Hamburg. Neues Gurtgesims am Turm.

nach Änderung. Er wird
eine Neuschöpfung
werden,eine vollstän-
dige Neuschöp-
fung! ganz einerlei ob
man ihn in der For-
mensprache des 18.Jahr-
hunderts oder in der
unsrigen löse.
Also Aufgaben in
Hülle und Fülle, die
nicht mehr den Tech-
niker, und nicht mehr
den Konservator, son-
dern den schaffenden
Künstler angehen.
Wie wir gehört
haben, hat man sechs
Bildhauer zu einem
Wettbewerbe eingela-
den und ihnen ein Mo-
dell des Kirchenraumes
in 1 :20 zugesandt, mit
dem Auftrage, sie sollen
da hinein Vorschläge
modellieren über die
Gestaltung der Stuck-
ornamente, der Kanzel,
des Altars mit seinen
Seitenwänden — kurz
der ganzen inneren Ein-
richtung. Ich erhielt
auf meine Bitten um
Einblick in das Aus-
schreiben folgende offi-
zielle Antwort:

Mit Architekten jüngerer Rich-
tung will man nichts zu tun haben.
Ihnen hat man die Fähigkeit, den
Kirchenraum würdig zu gestalten,
definitiv
und ziem¬
lich von
oben her¬
ab abge¬
sprochen.
Also
klammert
man sich
an ein paar
Bildhauer¬
namen.
Ihnen ver-

S T MIC HAELIS KIB.G HE ,
EHEMALIGE 5
HAUPT GESIMSE-

es sich um eine schwebende An-
gelegenheit handelt, die Künstler noch mit ihren Entwürfen beschäftigt sind, und das Preis-
gericht erst im Oktober zusammentreten wird, von einer Bekanntgabe der Wettbewerbs-
bedingungen an weitere Kreise absehen zu müssen.«
Ich möchte auf eine Kritik dieser Gründe nicht eingehen, kann aber
mitteilen, und zwar im Gegensatz zu den Erklärungen meines Herrn Vor-
redners, wonach den Künstlern vollständig freie Hand gelassen wäre, daß
§ 1 des Wettbewerbausschreibens heißt:
»Der Bewerber hat in seinem Entwurf die Raumbildung und den Stil-
charakter der alten Kirche beizubehalten, wie sich solche aus den in der
Anlage bezeichneten Unterlagen für den Wettbewerb ergeben. Für Altar, Kanzel und Ab-
schlußwände ist auch der bisherige Standort beizubehalten, während hinsichtlich ihrer Form
und ihres Materials Abweichungen vom bisherigen insoweit gestattet sind, als dadurch der
frühere Gesamteindruck des Kirchenraumes nicht beeinflußt wird.«
und ferner, daß dieser geheimnisvolle Wettbewerb ausgeschrieben worden
ist gegen den Willen der vier Baumeister! Und das ehrt die
vier Baumeister. Denn wenn in dem Ausschreiben nicht das Zugeständ-
nis liegt: »Verirrt! Verlaufen!« oder wie es bei Humperdinck heißt:
»Gretel, ich weiß den Weg nicht mehr!«, dann fehlt mir für diese eigen-
tümliche Methode, einer monumentalen Architekturaufgabe beizukommen,
jede Erklärung!
Glauben Sie, bitte, nicht, daß ich als Architekt die Mitarbeit der freien
Künstler unterschätze. Ich weiß, daß eine Blüte der Baukunst nur dort
sein wird, wo alle Künste auf gleicher Höhe stehend Zusammenwirken.
Und insbesondere die Bedeutung des Bildhauers für die Baukunst habe
ich stets gewürdigt. Aber eben darum lehne '
gewählten Weg auf! Er ist meiner Meinung
nach beider Teile unwürdig, der Baumeister
und der Bildhauer!
Halt! sagt man mir, der geheimnisvolle
Wettbewerb ist nicht dazu da, Entwürfe für
den Ausbau des Innern zu bekommen, sondern
nur um denjenigen Bildhauer ausfindig zu
machen, dem die stilechte Arbeit am besten
liegt, mit dem die Baumeister am erfolgreich¬
sten ihre Aufgabe lösen werden. Meine Herren!
welch ein sonderbarer Weg! welche Verwir¬
rung der Begriffe! An Entwurfsskizzen zu einem
Innenraum im Maßstab 1:20 soll ich erkennen,
ob ein Bildhauer imstande ist, nach meinen
Zeichnungen unter objektivster Selbstentäuße¬
rung stilechte Stuckaturen und Holzschnitze¬
reien auszuführen ? Das ist doch nicht anders,
als ob ich einen braven Soldaten einen Schlacht¬
plan ausarbeiten ließe, um zu prüfen, ob er
gut schießen kann.
Aber ich will Ihnen etwas verraten: Trotz
aller gegenteiligen Erklärungen will man von
den sechs geheimnisvollen Bildhauern künst¬
lerische Anregungen für den Ausbau des Innern,
Gedanken, Entwürfe! Ich rühre nicht an die
Frage, ob die erwählten Baumeister nicht selbst
Manns genug wären, diese Gedanken zu liefern.
Aber man hat sie nun einmal nicht als frei
schaffende Künstler herbeigerufen, sondern als
gewissenhafte Nachempfinder und Techniker,
und man hat darüber hinaus kein Vertrauen
zu ihnen. Und künstlerische Aufgaben liegen
nun einmal vor, keine Vogelstraußpolitik hilft
darüber hinweg. Also braucht man Künstler.

traut man
den Raum
an, den
man der
gesamten
deutschen
Architek¬
tenschaft
vorenthält.
Und ob sie
Wenn es Künstler sind, die man eingeladen hat, dann nie und nimmer-
mehr! Denn wo ein wirklicher Künstler arbeitet, da muß mit Naturnot-
wendigkeit Neues sich gestalten. Und wenn sie keine Künstler sind,
dann abermals nicht, denn Möller-Sonnins Raum war ein Kunstwerk.
Seit dem ersten Denkmaltage in Dresden ist immer wieder die Frage
in unseren Verhandlungen aufgetaucht: »Welchen Anteil sollen Kunst und
Künstler an den Arbeiten der Denkmalpflege haben?« Ich glaube es aus-
sprechen zu dürfen, seit Tornow seinen Grundsatz XII formulierte: »Jed-
wedes, auch nur das leiseste Hervortreten der künstlerischen Individualität
des restaurierenden Architekten ist bei solchen Neuschöpfungen auf das
peinlichste zu vermeiden« — seither ist in uns allen eine große Wandlung
vorgegangen. Damals in Dresden trat Gurlitt als ein Vereinzelter für eine
freiere Auffassung ein. Als fünf Jahre später Hager mit prächtigen Worten
die Zulassung des freischaffenden Künstlers verlangte, war kaum mehr ein
ernstlicher Widerspruch zu vernehmen, und als im vorigen Jahre die Geister
über demselben Thema aufeinanderplatzten, da waren wir uns alle doch
wenigstens darin einig, daß die Kunst von der Denkmalpflege
nicht zu trennen sei. Und um unserem verehrten Meister Tornow
nicht unrecht zu tun, sei ihm nicht vergessen, daß schon er seine »Grund-
sätze« mit folgenden Worten eingeleitet hat:
»Es ist keineswegs der Ausfluß einer geistigen und künstlerischen Überlegenheit, die
uns so handeln läßt, wie wir es tun. Wir machen viel-
mehr aus der Not eine Tugend, denn wir haben
keinen eigenen Baustil.«
Hier steckt der Kern der Frage! In der
Theorie wissen wir, daß wir den Künstler
wieder in sein Recht »einsetzen« müssen, daß
wir ohne ihn keine Kunst machen können;
in praxi aber fehlt uns noch der Glaube an
unsre Künstler, der Mut, es mit ihnen zu
wagen. Noch immer hüllen wir unsre Klein-
mütigkeit in die Worte: »Wirhaben keinen
Stil«. Solange dieser Gedanke Jahr für Jahr
in unsern Verhandlungen hier wiederkehrt,
solange dürfen wir uns auch nicht beklagen,
wenn die Laienwelt denkt, wie jener Redner
in der Hamburger Bürgerschaft, der da sagte
(anläßlich der Beratungen über die Michaelis-
kirche) :
»Ja, meine Herren, alle Achtung vor den Leistun-
gen der Architekten der Gegenwart, aber auf dem Ge-
biete der Kirchenbaukunst da können sie doch den alten
Baumeistern des Mittelalters und der vorigen Jahr-
hunderte nicht das Wasser reichen. Die Opponenten
gegen den Wiederaufbau der Michaeliskirche sind meistens
Herren, die besser die Feder zu führen verstehen als die
Bleifeder, und die in Wirklichkeit oftmals ihre liebe
Last haben, ein tadelloses Schulhaus zu erbauen,«
und weiter mokiert sich derselbe Redner darüber,
»daß die Jetztzeit das Recht beanspruche, im Geiste der
Neuzeit zu bauen. Ja, meine Herren (sagt er), dieser
Geist ist nach dem Urteil von Sachverständigen aber gar
nicht vorhanden.« (Große Heiterkeit.)
Semper sagt einmal:
»Stil ist die Übereinstimmung einer Kunsterschei-
nung mit ihrer Entstehungsgeschichte, mit allen Vorbe-
dingungen und Umständen ihres Werdens.«-




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