1910
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 3
Tafel 21. Wettbewerb-
entwurf für das Rathaus in
Barmen. 3.Preis. Architekt:Jos.
Reuters in Berlin-Wilmersdorf.
Tafel 22. Kirche in Ober-
kassel. Architekt: Geh. Baurat
Otto March in Charlottenburg.
Die evangelische Gemeinde
Oberkassel ist eine der ältesten am
Rhein, schon in der Reformationszeit
entstanden, und hat sich durch alle
Zeiten behauptet. Da die alte bau-
fällige Kirche für die stark angewach-
sene Gemeinde nicht mehr ausreichte,
wurden 1905 drei Architekten zur Ent-
wurfsbearbeitung für einen Neubau
aufgefordert und der Entwurf von
Geh. Baurat March zur Ausführung
angenommen, der sich der ländlichen
Umgebung am besten anpaßte. Der
Kostenanschlag erforderte 105150 Mk.
für den Bau und 26 850 Mk. für die
innere Einrichtung. [Die Grundstein-
legung erfolgte am 28. Juli 1907, die
Weihe am 5. November 1908.
Die Kirche ist ein einfacher
Putzbau mit Architekturteilen aus
Pfälzer Sandstein, mit Schieferdach
und kupfernem Turmhelm. Sie ist
34,9 m lang, 14,8 m breit; das Schiff
ist im Lichten 20 m lang, 13 m breit
und 11,50 m hoch, der Turm 46 m
hoch. Im Schiff sind 324, auf der
Turmempore 116 und auf der Orgel-
bühne 36 Sitzplätze. Der Turmsaal
faßt etwa 40 Personen.
Die Aufgabe, für die evange-
lische Kirche einen übersichtlichen,
möglichst stützenlosen Raum zu schaf-
fen, ist durch die neuen Konstruk-
tionsweisen dünnwandiger Gewölbe
wesentlich erleichtert. Sie werden die
ersichtliche Abkehr von der Anwen-
dung des gotischen Stils für den evan-
gelischen Kirchenbau beschleunigen.
Bei der gewählten flachen Wölbung
ist durch die Anwendung eines grob-
körnigen Rauhputzes mit eingeschnit-
tenem flächigen Ornament für gute
Schallwirkung gesorgt. Bei der
Nikolauspflege für blinde Kinder in Stuttgart. Architekten: Eisenlohr & Weigle,
Eingang. Oberbauräte in Stuttgart.
Schlichtheit der Wand- und Decken-
flächen mußte zur Erzielung festlicher
Würde und Traulichkeit in besonde-
rer Weise die Farbe herangezogen
werden. Das Deckengewölbe und die
Wände sind in der graugelben Natur-
farbe des Mörtels belassen. Kanzel
und Orgelempore sind in tiefem Blau
gehalten und mit breitem Ornament
in Grau und Gelb bedeckt. Der Fuß-
boden ist mit stumpfroten Fliesen be-
legt und das Gestühl in gelbbraunem
Naturton stehen gelassen. Altar und
Taufstein sind aus dunkelgrauem und
rotem Nassauer Marmor hergestellt.
Die Orgel ist hinter und ober-
halb der Kanzel aufgestellt, so daß
der Chorraum durch sie einen präch-
tigen, stimmungsvollen Abschluß er-
hält, wobei der Fußpunkt der Orgel
nur 2,5 m über dem Fußboden der
Kirche liegt — nach dem Urteil der
Sachverständigen für die Akustik die
beste Höhenlage. Die auf dem Chor
befindlichen Sänger sind durch die
Brüstung genügend verdeckt, deren
Durchbrechungen den Sitzenden
freien Durchblick gestatten, während
der Stimmklang der stehenden Sänger
über die Brüstung hinweg unbeein-
trächtigt bleibt. Das ist nach Ansicht
des Erbauers ein für kleine Verhält-
nisse möglicher Ausweg, aber keine
Lösung der immer wiederkehrenden
Frage, wie der Sängerchor angesichts
der Gemeinde aufzustellen sei, um
jede Andachtsstörung zu vermeiden.
In größeren Verhältnissen wird eine
solche Anordnung auch bei zierlich-
ster Ausführung des Gitters stets den
für evangelische Gemeindeübungen
unzulässigen Eindruck des Aus-
schließens eines Teils der Gemeinde-
glieder hervorrufen. Die Anordnung
der Sängerreihen in Segmentform um
Kanzel und Altar herum wird am
besten geeignet sein, die Ubelstände
des Gegenübersitzens zu mildern.
Wenn hierzu die zweckmäßig in
konzentrischen Kreisen gereihten Ge-
meindesitze treten, so gelangt man
damit von selbst wieder zu einer
Vorschule.
71-
Werkstattgebaude.
Erdgeschoß:
24 u. 25 Portier.
26. 28 Tagräume für
Knaben.
36. 38 Tagräume für
Mädchen.
29.31.33 Klassen.
32 Speisesaal.
34 Wartezimmer.
35 Druckerei.
39 —4 t Aufseher.
27. 30. 37 Lehrer.
I. Obergeschoß:
46. 51 Klassen.
49 Lehrmittel.
Hauptgebäude.
48 Bibliothek.
52 Festsaal.
43 — 45 Aufseher etc.
54 Dienstzimmer.
55-63 Wohnung d. Inspektors.
II. Obergeschoß:
69.70 Schlafsäle für
Knaben.
76. 78. 79 Schlafsäle für
Mädchen.
77. 80. 81 Lehrerzimmer.
72—74 Krankenzimmer.
67- 68. 82. 83 Garderobe-
Räume.
65 u. 66 Aufseher.
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Nikolauspflege für blinde Kinder in Stuttgart.
31
Architekten: Eisenlohr & Weigle, Oberbauräte in Stuttgart.
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 3
Tafel 21. Wettbewerb-
entwurf für das Rathaus in
Barmen. 3.Preis. Architekt:Jos.
Reuters in Berlin-Wilmersdorf.
Tafel 22. Kirche in Ober-
kassel. Architekt: Geh. Baurat
Otto March in Charlottenburg.
Die evangelische Gemeinde
Oberkassel ist eine der ältesten am
Rhein, schon in der Reformationszeit
entstanden, und hat sich durch alle
Zeiten behauptet. Da die alte bau-
fällige Kirche für die stark angewach-
sene Gemeinde nicht mehr ausreichte,
wurden 1905 drei Architekten zur Ent-
wurfsbearbeitung für einen Neubau
aufgefordert und der Entwurf von
Geh. Baurat March zur Ausführung
angenommen, der sich der ländlichen
Umgebung am besten anpaßte. Der
Kostenanschlag erforderte 105150 Mk.
für den Bau und 26 850 Mk. für die
innere Einrichtung. [Die Grundstein-
legung erfolgte am 28. Juli 1907, die
Weihe am 5. November 1908.
Die Kirche ist ein einfacher
Putzbau mit Architekturteilen aus
Pfälzer Sandstein, mit Schieferdach
und kupfernem Turmhelm. Sie ist
34,9 m lang, 14,8 m breit; das Schiff
ist im Lichten 20 m lang, 13 m breit
und 11,50 m hoch, der Turm 46 m
hoch. Im Schiff sind 324, auf der
Turmempore 116 und auf der Orgel-
bühne 36 Sitzplätze. Der Turmsaal
faßt etwa 40 Personen.
Die Aufgabe, für die evange-
lische Kirche einen übersichtlichen,
möglichst stützenlosen Raum zu schaf-
fen, ist durch die neuen Konstruk-
tionsweisen dünnwandiger Gewölbe
wesentlich erleichtert. Sie werden die
ersichtliche Abkehr von der Anwen-
dung des gotischen Stils für den evan-
gelischen Kirchenbau beschleunigen.
Bei der gewählten flachen Wölbung
ist durch die Anwendung eines grob-
körnigen Rauhputzes mit eingeschnit-
tenem flächigen Ornament für gute
Schallwirkung gesorgt. Bei der
Nikolauspflege für blinde Kinder in Stuttgart. Architekten: Eisenlohr & Weigle,
Eingang. Oberbauräte in Stuttgart.
Schlichtheit der Wand- und Decken-
flächen mußte zur Erzielung festlicher
Würde und Traulichkeit in besonde-
rer Weise die Farbe herangezogen
werden. Das Deckengewölbe und die
Wände sind in der graugelben Natur-
farbe des Mörtels belassen. Kanzel
und Orgelempore sind in tiefem Blau
gehalten und mit breitem Ornament
in Grau und Gelb bedeckt. Der Fuß-
boden ist mit stumpfroten Fliesen be-
legt und das Gestühl in gelbbraunem
Naturton stehen gelassen. Altar und
Taufstein sind aus dunkelgrauem und
rotem Nassauer Marmor hergestellt.
Die Orgel ist hinter und ober-
halb der Kanzel aufgestellt, so daß
der Chorraum durch sie einen präch-
tigen, stimmungsvollen Abschluß er-
hält, wobei der Fußpunkt der Orgel
nur 2,5 m über dem Fußboden der
Kirche liegt — nach dem Urteil der
Sachverständigen für die Akustik die
beste Höhenlage. Die auf dem Chor
befindlichen Sänger sind durch die
Brüstung genügend verdeckt, deren
Durchbrechungen den Sitzenden
freien Durchblick gestatten, während
der Stimmklang der stehenden Sänger
über die Brüstung hinweg unbeein-
trächtigt bleibt. Das ist nach Ansicht
des Erbauers ein für kleine Verhält-
nisse möglicher Ausweg, aber keine
Lösung der immer wiederkehrenden
Frage, wie der Sängerchor angesichts
der Gemeinde aufzustellen sei, um
jede Andachtsstörung zu vermeiden.
In größeren Verhältnissen wird eine
solche Anordnung auch bei zierlich-
ster Ausführung des Gitters stets den
für evangelische Gemeindeübungen
unzulässigen Eindruck des Aus-
schließens eines Teils der Gemeinde-
glieder hervorrufen. Die Anordnung
der Sängerreihen in Segmentform um
Kanzel und Altar herum wird am
besten geeignet sein, die Ubelstände
des Gegenübersitzens zu mildern.
Wenn hierzu die zweckmäßig in
konzentrischen Kreisen gereihten Ge-
meindesitze treten, so gelangt man
damit von selbst wieder zu einer
Vorschule.
71-
Werkstattgebaude.
Erdgeschoß:
24 u. 25 Portier.
26. 28 Tagräume für
Knaben.
36. 38 Tagräume für
Mädchen.
29.31.33 Klassen.
32 Speisesaal.
34 Wartezimmer.
35 Druckerei.
39 —4 t Aufseher.
27. 30. 37 Lehrer.
I. Obergeschoß:
46. 51 Klassen.
49 Lehrmittel.
Hauptgebäude.
48 Bibliothek.
52 Festsaal.
43 — 45 Aufseher etc.
54 Dienstzimmer.
55-63 Wohnung d. Inspektors.
II. Obergeschoß:
69.70 Schlafsäle für
Knaben.
76. 78. 79 Schlafsäle für
Mädchen.
77. 80. 81 Lehrerzimmer.
72—74 Krankenzimmer.
67- 68. 82. 83 Garderobe-
Räume.
65 u. 66 Aufseher.
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Nikolauspflege für blinde Kinder in Stuttgart.
31
Architekten: Eisenlohr & Weigle, Oberbauräte in Stuttgart.