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Verein für Badische Ortsbeschreibung [Hrsg.]
Badenia oder das badische Land und Volk: eine Zeitschr. zur Verbreitung d. histor., topograph. u. statist. Kenntniß d. Großherzogthums ; eine Zeitschrift des Vereines für Badische Ortsbeschreibung — 3.1844

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Erholungsreife durch einen Theil des Großherzogthums
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https://doi.org/10.11588/diglit.22585#0035
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Angenehmes. Wir setzten uns zu einer Maas schäumenden Gersten-
saftes und ergossen gegenseitig unsere Herzen. Mein Freund war der
geistlichen Bestimmung, welche ich verlassen hatte, treu geblieben, und
schien cs 'nicht zu bereuen. Ich wünschte ihm Glück zn seiner Wirk-
samkeit in einer Gegend, wo die Worte Frömmigkeit und Glaube
noch einen Sinn haben. „Ja", erwiederte er, „ich darf mir selbst hiezu
Glück wünschen, obwohl ich auch iu meiner jetzigen Gemeinde des
Stoffes zum Klagen genug finde; aber doch hundertmal besser steht es
hier umher, als unten im Lande, wo ich früher plazirt war. Dort
habe ich eine Erfahrung gemacht, welche keine Täuschungen mehr zu-
läßt, die traurige, daß die Religiosität täglich fühlbarer aus dem Volk
verschwindet. Bei den Meisten ist das Kirchengehen gar nichts Wei-
teres mehr, als eine Gewohnheit, oder die gezwungene Beobachtung
des Gebotes; Viele sind in kirchlichen Dingen höchst gleichgültig, und
nicht Wenige, leider gar nicht Wenige, glauben vollends weder an
die Tugend, noch au die Belohnung oder Strafe eines andern Lebens.
Die Herrschaft der zeitlichen Interessen, die Herrschaft der Leidenschaften
nimmt in einem schreckbaren Grade überhand, und die Jugend, diese
Hoffnung der Zukunft, ist mir in ihrer rohen Ausgelassenheit, die alle
Bescheidenheit, alle Zncht und Pietät mit Füßen tritt, oft als ein
wahres Scheusal vorgckommen."
Diese Schilderung führte uns auf die gesunkene Sittlichkeit und
Religiosität der neuern Zeit überhaupt. Ich mußte dem eifernden
Pastor zugestehen, der alte Glaube sey im Innersten erschüttert, und
eine große Heuchelei herrsche fast allenthalben in den religiösen Hand-
lungen, was zu einer allgemeinen Demoralisation führen müsse, wie
es iu den ersten Zeiten der Fall gewesen, als die Deutschen ihre alten
Götter abgeschworen, ohne noch den wahren Glauben an das Evan-
gelium erlangt zu haben. Es war eine der gährenden Uebergangs-
perioden in der Kulturgeschichte, welche die unreinen Stoffe allmählig
ansscheiden und die guten zur Klarheit führen. Ich behauptete nun,
daß wir gegenwärtig in einer ähnlichen Gährung leben, wo Indolenz
und Fanatismus, Unglaube und Bigotismuö, Frivolität und Schein-
heiligkeit, Religionsspötterei und Pietismus, in ihren Ectremen neben
einander, das Bild einer traurigen Auflösung darstellen; wo aber zu-
gleich auch die guten Kräfte sich läutern und stählen, um den Sieg
über jene verdorbenen zu gewinnen. Diese Hoffnung tröstete auch
meinen Freund wieder; wir ermunterten uns gegenseitig, ans den ge-
wählten Pfaden, Jeder nach bestem Vermögen sein Scherflein für die
 
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