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g6 „Ich merk’s. Getreue, einsichtige Herren haben aber schon früher brave Diener belohnt. Der
Lazarus Schwendi hat meinem Ohm in Burkheim zur Seßhaftigkeit verholfen. Die Meister
sind gleich geblieben, aber die Knechte, Marti, die sind nimmer wie einst. Anstatt: „dankschön“
sagen sie: „mehr!“
„Natürlich. Soviel als möglich wollen wir.“
Doegg nickte ordentlich gemütlich. „Das könnt Ihr; aber wenn Ihr’s tut, bringt Ihr Euch um
das Beste im Leben. Ihr schadet Euch mehr als dem Meister.“
„Wieso? Redet deutlich, daß ich’s verstehe.“
„Und mich kann der Herr Schiffer auch belehren,“ mischte sich der israelitische Händler ein.
„Warum soll man nicht immer mehr begehren und erst Dank sagen, wenn nichts mehr zu
kriegen ist?“
„Mit Dir, Jude, streit ich nicht, sagte Doegg matt Der starke, alte Rheinschiffer ließ plötzlich
die Arme sinken. Ihm schien, als habe seine Umgebung ein anderes Gesicht bekommen.
Die Sonne verdunkelt, der blaufunkelnde Fluß zitternd, in dumpfem Dröhnen dem fernen
Meere zueilend. Der viellebige Mann glaubte Wert und Unwert des Daseins zu kennen, hatte
er es doch genossen und verschmerzt und setzte, was er zu überwinden hatte, in die Arbeit des
Tages um. Das Seltsame, daß er schon einmal auf der Welt gewesen war, gab ihm eine
bisher unerschütterte Ruhe und die Zuversicht eines stark wirkenden Einflusses auf Andere.
Aber eben war eine blendende Erkenntnis über ihn gekommen, wie eine Lawine. Sie machte,
daß sich die Worte ihm in der Kehle festhakten, während er sonst Mühe hatte, das Gewimmel
der kleinen Fackelträger auf seinen Lippen zu bändigen: „Auch der Viellebige kann keinen
andern Menschen in’s neue Dasein heben. Die eigene Richtung darf man niemand aufhalsen
wollen. Den Jungen gar nicht. Man möchte es ja und nennt’s beschönigend: Erziehung. Worte
erziehen nicht. Beispiel gibt die wahre Lehre. Aber viele Menschen bleiben unerzogen, weil
sie Beispiele nie auf sich anwenden. So oft sie’s etwa probieren, schiebt sich etwas dazwischen,
wie eben beim Martin der Jude, der den Mammonsdienst in seinem Wesen predigt“
Doegg sah dem Burschen bei der Arbeit zu. Er senkte den Eimer ins schmutzige Leckwasser
des Bootes nicht mit Maschinenhast, sondern mit stiller, sauberer, selbstzufriedener Behaglichkeit.
Sein weiches, träumerisches Gesicht mit dem hart eingesetzten Zug der Unzufriedenheit und
des Trotzes brachte dem Alten die Tochter in Erinnerung, die diesen kindisch veranlagten
Menschen liebte. Würde er in der Ehe mit ihr wachsen? Wahrscheinlich. Denn ihre Liebe
war eine Verschwenderin. Sie gab, sie zählte nicht und wog nicht. Sie war aber auch
immer kurzsichtig, töricht, schwach.
„Horch!“
Martin wendete sich um: „Ich bin fertig. Der Weidling ist trocken!“
Doegg antwortete nicht darauf. Er schlug mit dem Gespräch den Haken, den seine Gedanken
gegangen: „Hast der Vren schon gesagt, daß Ihr mich an meinem Wort zwingen und halten
könnt, Euch heiraten zu lassen?“
 
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