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Baer, Franz; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde in der S. Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau — Freiburg im Breisgau, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.7769#0012
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Die Kirche zu Oberzell.

zu Ehren des Hauptes des hl. Georg, welches Hatto als Be-
gleiter Arnulfs auf dessen Römerzuge vom Papst Formosus
erlangt und seiner Stiftung in Oberzell als kostbarste Reliquie
überwiesen hatte1. Die bald darauf folgenden Einbrüche der
Ungarn in Süddeutschland-, deren anschauliches Gemälde eine
der populärsten Dichtungen der Neuzeit bietet, hätten auch
die Reichenau nahezu wie St. Gallen mit dem Untergang be-
troffen: indessen ging das Schwerste an der Insel vorüber
und unter der Regierung des sächsischen Kaiserhauses konnte
die Abtei sich rasch erholen. In der zweiten Hälfte des
10. Jahrhunderts regte sich auch
wieder die Baulust im Stift, und es
entstanden die Kirche des hl. Jo-
hannes des Täufers (958);!, viel-
leicht auch die Erasmuskapelle,
welche 973 als Ruhestätte des Her-
zogs Burkhard II von Alemannien,
des Gemahls der gelehrten Frau
Hadewig, erwähnt wird4. Vorzüg-
lich aber war es der 25. Abt,
Witigowo (985 — 997), welcher
sich in bedeutenden Bauunterneh-
mungen gefiel und dessen zwölf
Regierungsjahre nicht weniger als
neun Bauten aufzuweisen hatten.
Ein Gedicht des gleichzeitigen Mön-
chesPurchardus (Carmendegestis
Witigowonis abbatis)" schildert uns
die Thätigkeit dieses rührigen Bau-
herrn , welchem ausser mehreren
Kapellen der Umbau des Mün-
sters zu Mittelzell zugeschrieben
wird. Purchard hebt hervor, wie
aus dem frühern engen Gottes-
hause eine der geräumigsten Kir-
chen geworden ,sei, und er weiss
namentlich von den schönen Gips-
verzierungen der Arcaden und den
feingeschnittenen Säulen zu erzäh-
len. Unter demselben kunstsinnigen
Abte oder kurz vor seiner Regie-
rung dürfte ein für die Kunstge-
schichte des Klosters höchst be-
deutendes Monument entstanden
sein, der Codex Egberti, ein

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1 Herm. Gontr. ad a. 888, MG. V
110: Augiae Roudhobo abbati Hatto
succedens, praefuit annis 25. Qui
cell am et basilicam S. Georgii in
insula construxit. Oheim, p. 66 und
Abbatum Augiensium Gatologus, MG.
II, 38. Oheim, S. 53 hat zwar die Notiz,
dass unter Abt Rudhelm 838—42, Buntwit,
priester allhie, maister der schull, überkam
die hystori der alten und nüwen e, die er
uff der schul zu bliben begert, darnach
ward er uff haiszen der vätter in die zeig Hattonis, daz gen Oberzeig, ver-
ordnott, do machet er ein andre hystori, die begert daselbs zu bliben laussen'.
Es könnte danach scheinen, dass die Obere Zelle schon vor Hatto III Hatto's
Zelle hiess und der Name also auf Hatto I zurückgehe. Indessen ist wahr-
scheinlich, dass der spätmittelalterliche Ghronist die ihm geläufige Bezeichnung
der Localität auf eine frühere Zeit übertragen hat; obgleich nicht ausgeschlossen
ist, dass Hatto I die Zelle zuerst gegründet, Hatto III sie umgebaut und zu
einem Stift erweitert hat.

2 Herm. Gontr. z. J. 916 f. 920 und besonders 937, wo St. Gallen
verbrannt wurde.

3 Herm. Gontr. z. J. 958, MG. SS. V 115. Abb. Aug. Ca toi. ib. II 38.

4 Herm. Coxtr. z. J. 973. Oheim, S. 89.

ä MG. SS. IV 021-32. Mit Recht hebt Rahn a. a. O., S. 100. Anm. 5
die seltsame Thatsache hervor, dass sowol der Gatologus abbatum Aug. als
HermannüS GontragtüS, welcher 1020 auf die Insel kam, von Witigowo's
Bauthätigkeil gänzlich schweigen.

Evangelistarium, welches der Erzbischof Egbert von Trier
(977 — 993) sich von den Reichenauer Mönchen Geralt und
Heribert und deren vier Gehülfen schreiben liess und das jetzt
einen der Hauptschätze der Trierer Stadtbibliothek. bildet.
Wir werden noch Gelegenheit haben, ausführlicher auf diese
in der Kunstgeschichte berühmte Bilderhandschrift zurück-
zukommen.

Witigowo's Bauten mögen den üblen Stand der Reichen-
auer Finanzen verschuldet haben, in Folge deren er wol, 997.
die Regierung des Stifts niederlegen musste6. Erst unter Abt

Berno erholte sich die Abtei wieder
(1008 — 1048), sodass die Basilika
des hl. Marcus, d. h. der an
der Westseite dem Münster an-
gebaute Querbau mit dem West-
chor entstehen konnte — also eine
zwei te Erweiterung der Kirche
Hatto's7. Nach Adler8 ständen
von dem Baue Witigowo's nur die
Seitenschiffmauern und die Säule,
welche die Doppelarcade vor dem
südwestlichen Querschiffflügel trägl:
den Westchor und das Querschiff
sammt den äussern Vorhallen schrei-
ben er und Schnaase9 dem Berno'-
schen Umbau zu, während Adler
die Pfeilerarcaden des Mittelschiffs
einem 1173 begonnenen Neubau.
Schnaase sie noch dem 11. Jahr-
hundert zuweist. Anders Pojd. Rahn :
'was speciell den Westchor be-
trifft, so scheint allerdings die Iden-
tität desselben mit der 1048 ge-

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Grundriss der Kirche 7,u Oberzell.

weihten 'Marcuskirche' festzustehen,
wie denn bereits im 10. Jahrhundert
der Altar mit den Reliquien des
hl. Marcus unter einem Thurme
lag (Miracula S. Marci, MG. SS.
IV 951. Mone Quellensamml. I 64).
Indessen ist es doch fraglich, ob
der Witigowo'sche Thurm, falls er
wirklich an der Westseite der
Kirche stand, durch jene Unter-
nehmung Berno's beseitigt worden
sei, oder ob sich dieselbe nicht
vielmehr auf einen blossen Umbau
der westlichen Hälfte, etwa durch
Einschaltung des gegenwärtigen
Querschiffs, beschränkt habe. Schon
die Schilderung, welche Purchards
Gedicht von dem Witigowoschen
Thurmbau giebt, stimmt auffallend
mit der Anlage des Gegenwärtigen
überein, auch ist es kaum denkbar,
dass man ein so gepriesenes Werk, das zudem von ungewöhn-
licher Mauerstärke sein musste, nach kaum einem halben Jahr-
hundert abgetragen und durch einen Neubau ersetzt habe'1".
Da uns Hermannus Contractus ohne jede weitere Mittheilung
über die 'Basilika des hl. Marcus' lässt (deren Einweihung am
24. April 1048 in Gegenwart des Kaisers er uns nur meldet11),

6 Herm. Gontr. z. j. 997.

7 Oheim, S. 107.

8 Adler Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland. 1. Die Kloster-
und Stiftskirchen auf der Insel Reichenau. Berlin 1870.

9 Schnaase, IV, 2, S. 406.

10 Raiin a. a. 0., S. 102.

11 MG. SS. V 128.
 
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