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Baer, Franz; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde in der S. Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau — Freiburg im Breisgau, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.7769#0025
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Das Weltgericht.

Wand- und Miniaturmalerei und Relief ganz getrennte Wege
gehen und ihre Typen und Behandlungsweisen ohne Einfluss
aufeinander bleiben lässt.

Endlich spricht auch die Paläographie der Inschriften
auf unseren Bildern gegen einen spätem Ursprung derselben.
Diese Inschriften sind durchaus in der der altrömischen nach-
gebildeten Capitale gemalt, wie sie im 10. Jahrhundert bei uns
am Rheine üblich war. Da ist noch keine Spur von der
arrondirenden Tendenz der Schrift des 12. Jahrhunderts mit
ihren zahlreichen Ineinanderschiebungen der Buchstaben und
ihren häufigen Ligaturen.

Auch die Gemälde an der Aussenseite der Westapsis kann
ich nicht namhaft später als das Jahr 1000 setzen. Wenn
ihre Behandlung etwas verschieden ist, so erklärt sich das
aus dem um so viel kleinern Maassstabe, welcher selbst-
verständlich eine sorgfältigere Ausführung verlangte. Von
dem jüngsten Gericht wird sofort ausführlich zu sprechen
sein. Das Bild der Kreuzigung enthält nichts, was zu einer
spätem Datirung nöthigt: der Christus ist mit einem zwar
schon kurzen Schurz bekleidet (im Egbert-Codex trägt er noch
eine lange Tunica) aber ohne Krone, die Füsse nebeneinander
gebildet. Maria steht mit emporgehaltenen Armen neben dem
Kreuz, auf der andern Seite der Lieblingsjünger, mit dem
Gestus der Trauer, die Rechte an den Kopf legend. Sonne
und Mond blicken über dem Kreuz herein. Abgesehen von
den beiden Gestirnen, welche dort personificirt als Brustbilder
erscheinen, bietet die Kreuzigung des Antipendium von Salerno
auch hier die frappanteste Uebereinstimmung, namentlich auch
in dem Gestus des Johannes, der übrigens in dieser Weise
geradezu typisch wird und uns so auf zahlreichen Denkmälern
des Mittelalters begegnet.

Die Thätigkeit der beiden letzten Jahrhunderte des ersten
Jahrtausends auf dem Gebiete der Wandmalerei war durch-
aus nicht so eingeschränkt, wie vielfach geglaubt wurde1:
trotzdem ist uns in Deutschland, wenn man von den spär-
lichen Resten fränkischen Stucco's im Trierer Dom absieht,
kein Denkmal ausser den Bildern von Oberzell überkommen,
welches noch vor das Jahr 1000 zu setzen wäre. Um so
grösser muss der Werth dieser Bilder erscheinen, deren sorg-
fältige Erhaltung wesentlich von der Conservirung der in
mancher Beziehung restaurationsbedürftigen Kirche des hl.
Georg abhängt. — —

VII.

Die Lehre von dem Weltgericht war in der alten Kirche ein
stehender Artikel der Predigt: vor allem des Kerygmas
der Apostel, in deren Zeit man sich die Wiederkunft Christi
zum Gerichte als sehr nahe bevorstehende dachte: vielleicht
bezieht sich ein vielbesprochenes Graffito von Pompeji auf
diese Erwartung und Verkündigung des nahenden Weltunter-
gangs. Obgleich nun aber die Apokalypse2 des hl. Johannes
im Wesentlichen alle Elemente enthält, aus welchen sich die
mittelalterliche Vorstellung dieses Ereignisses zusammensetzt,

1 Vgl. die Belege bei Fiorillo Gesch. d. z. Künste i. Dtschl. I u. II.
David, Em., Hist. de la peinture au moyen-äge, S. 69 f. 80 f. Kugler Hdb.
d. Gesch. d. Mal. 3. I 159-161. Schnaase IV 644.

2 Apok. 20, 11 f. 'et vidi thronum magnum candidum et sedentem
super eum ... et vidi mortuos magnos et pusillos stantes in conspectu throni,
et libri aperti sunt, et alius liber apertus est qui est vitae ... et dedit mare
mortuos qui in eo erant, et mors et infemus dederunt mortuos suos etc.' Wo-
mit die Schilderung zusammengehalten ist, welche Christus selbst gibt,
namentlich die Scheidung der Guten und Bösen, wie der Schafe und Böcke
und die Anrede des Richters an die beiden Parteien, vgl. Matth. 16, 27. 25,
31. 24, 31 (wo auch die Tuba); Marc. 8, 38. 13, 27. Luc. 9, 26. 12, 8.
I Thessal. 4, 15. I Cor. 15, 52. Apokal. 3, 5.

treffen wir doch bei den Kirchvätern keine Schilderung des-
selben, wie bei den mittelalterlichen Schriftstellern. Bei Ori-
genes vollzieht sich das Weltgericht in einem Augenblicke, es
ist ein rein geistiger Vorgang3; weiter führen uns auch Hip-
polytus4 und Commodianüs5 nicht, welch' letzterer, wahrschein-
lich zur Zeit der diocletianischen Verfolgung in seinen Ge-
dichten De Antichristi tempore, De saeculi istius fine,
De resurrertione prima, De die iudicii, ausser der
stark betonten Erwartung des Gerichtes nach Ablauf von
Tausend Jahren nur den Weltbrand und die Posaune auf-
genommen hat. Eingehender ist das auf alexandrinischen
Ursprung zurückgreifende, von Augustinus uns in lateinischer
Uebersetzung, von Eusebius im Original erhaltene Akrostichon,
dessen Zeileninitialen den Namen IHCOYC XPEICTOC &EOY
YIOC CßTHP ergeben6; ein Gedicht, das freilich gleich
den verwandten sibyllinischen Versen, die uns Lactantius
bewahrt hat7, mehr den Untergang dieser Welt als den Act
des Gerichtes schildert. Das Nämliche gilt von der Aeusse-
rung des Sulpicius Severus, welcher den jüngsten Tag wieder
als nahe bevorstehend erachtets. Hat auch Augustin das all-
gemeine Gericht vom theologischen Standpunkt aus in ein-
gehender, für die spätem Zeiten vielfach maassgebender Weise
behandelt9, so muss man im Allgemeinen doch festhalten: die
Kirche des Alterthums beschäftigte sich und die Phantasie der
Ihrigen offenbar viel weniger mit der Vorstellung und Aus-
malung der letzten und furchtbarsten Begebenheit in der Ge-
schichte der Menschheit; vielmehr suchte sie den Muth und
die Ergebenheit der Gläubigen durch jene tröstenden und er-
munternden Gedanken zu stärken, welche uns mit syste-
matischem Ausschluss aller beängstigenden und niederschla-
genden Scenen in den Wand- und Deckenbildern der Katakomben
entgegentreten. Es erklärt sich daraus, dass die altchristliche
Kunst eine Darstellung des jüngsten Gerichts in der Weise
und Auffassung des Mittelalters und der Renaissance nicht
kennt. Gleichwol ist ihr die Vorstellung eines Gerichtes nicht
ganz fremd. Die Acten der Märtyrer stellen uns den Kampf
des Christen gegen die Verfolgung häufig unter dem Bilde
des Fechters in der Arena10 dar, wo dann Christus als Kampf-
richter, als Agonotheta, erscheint, wie er nach der Homilie
des hl. Basilius d. Gr. auf den h. Barlaam gemalt wird, wie
er, Christus in menschlicher Gestalt, in der Kirche des hl.
Theodoras nach der ausführlichen Beschreibung des hl. Gregor
von Nyssa vorgestellt war11. Die Acten der hl. Perpetua, wo der
Kampfrichter (lanista) ausdrücklich beschrieben wird, lassen
vermuthen, dass eine solche Darstellung derjenigen ähnelte,

3 Orig. Tom. in Matth. XII 887. Vgl. Redepenning Origenes, Bonn 1846.

II 449.

4 Hippolyt. Demonstratio de Christo et Antichristo.

5 Commodian. Instruct. Lib. II 1 : De saeculi istius fine, wo es am
Schlüsse übrigens schon heisst: 'in annis mille, ut ferunt operta Joannis.
Nam inde post annos mille gehennae traduntur, et fabrica cuius erant cum
ipso cremantur.' Aehnlich am Schlüsse von 2: De resurrectione prima, und
3: De die iudicii.

6 Euseb. Constantini Oratio ad Sanctor. Coetum c. 18, ed. Heinichen
p. 383. August. De civit. Dei XVIII 23, vgl. dazu Optat. De schism. Donat.

III 2. Nach Martene De antiq. eccl. ritib. IV 12 f. war es in der französischen
Kirche Sitte, diese Verse auf Weihnachten zu singen.

1 Lactant. Instit. libr. VII c. 17—22.

s Sulp. Sev. Dial. I (al. II) 14, ed. Halm p. 197.

9 Augustin. De civ. Dei libr. XX.

10 Act. Martyr. ed.Ruinart, Par. 1689. Act. S. Saturnini, Dativietc.
p. 40!); c. 2: certaminis campum; bes. c. 3 die Schilderung des agmen do-
minicum. Passio S. Theodoti, p. 354f. c. 12: Stadium ad salulem Christi-
anis aperitur. Basil. M. Homil. de S. Barlaaino martyr., p. 565 f. c. 2:
athleta Christi; c. A: agonotheta Christus. Bes. auch die Vision der
hl. Perpetua, eb. p. 86 f., bes. c. 10, p. 91 : wo die Erscheinung des Kampf-
richters ausgiebig beschrieben ist: vir quidam mirae magnitudinis, ut etiam
excederet fastigium amphitheatri, discinetam habens lunicam et purpuram inter
duos clavos per medium pectus, habens et calliculas multiformes ex auro et
argento factos et ferens virgulam quasi lanistam et ramum viridem
in quo erant mala aurea.

11 Greg. Nyss. Orat. de S. Theodora, Opp. III 579.
 
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