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Baer, Franz; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde in der S. Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau — Freiburg im Breisgau, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.7769#0016
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Die Bilder des Mittelschiffs und der Chorwand.

jeder der beiden Hochmauern geordnet; unter ihnen läuft ein
horizontales gemaltes Band von etwa zwölf ctm. Höhe hin,
welches in weisser Schrift auf rothen Grund aufgemalte leider
zum grossen Theil zerstörte Inschriften — die Erklärung der
betr. Wunder — enthält. Nach oben ist die Bilderreihe ab-
geschlossen durch einen ähnlich, doch etwas einfacher be-
handelten und nur etwa halb so breiten Mäanderfries, welcher
bis dicht an die Unterkante der alten Fensterleibungen des
Mittelschiffs sich erstreckt, während ein dritter wiederum nur
halb so breiter Mäander über den Fenstern unter der alten
Decke hinläuft. Die einzelnen Bilder des grossen Cyclus sind
unter sich durch verticale Friese getrennt, welche wiederum
reich ornamentirt, meist aber verschieden behandelt sind.
Unsere Tafel XIII veranschaulicht, in Verbindung mit dem
Uebersichtsblatt die Disposition und den Charakter dieser orna-
mentirten Friese; das laufende Rankenornament (I), welches
an beiden Seiten die Cyclen einfasst; das Kreisornament (II),
welches die Scenen 1 und 2, 5 und 6 scheidet; den Vogel-
fries (III) zwischen den Bildern u2 und 3, 6 und 7; das
Rosettenornament (IV) zwischen 3 und 4 und 7 und 8.

Die Zwickel zwischen den Arcadenbögen sind mit Rund-
medaillons gefüllt, in denen sich Brustbilder von Pro-
pheten —■ tonsurirt mit Büchern, ohne Nimben1 — befinden,
ursprünglich wol sechs an jeder Seite, von denen je vier
erhalten sind (Taf.XIII). Diesen entsprechen je sechs Apostel-
bilder, welche auf beiden Seiten zwischen den Fenstern
geordnet waren, und von denen nur mehr vier Figuren an
der Nordwand einigermassen erkennbar sind (Tafel XII a b c d):
die Apostel sind in ganzer Gestalt gebildet, tragen Heiligen-
scheine, Attribute (so ist Andreas an seinem Kreuze erkennbar)
und Spruchbänder.

Die ursprüngliche Bemalung dieser Mittelschiffswände ist
durchaus nicht intact geblieben: im Gegentheil hat sie bereits
in früherer Zeit eine doppelte Uebermalung erlitten. In
gothischer Zeit fand eine erste Uebermalung statt, welche
den Prophetenbrustbildern neue Spruchbänder mit der Schrift
des 14.—15. Jahrhunderts gab, die Einrahmung der Haupt-
bilder mit gothischem Ornament erneuerte, diese aber auch,
wo sie erloschen schien, durch neue Bilder ersetzte (so auf
der Scene des Jünglings von Naim). Es ist möglich, dass diese
Uebermalung von jenem Steinmetz und Maler Heinrich Müller,
Bürger von Mengen, herrührt, welcher um 1376 laut einer
Urkunde des Decans von Reichenau, Werner von Piosenegg,
Maler- und Steinmetzarbeiten im Münster zu Reichenau aus-
führte.2 Eine zweite Uebermalung, viel jüngern Datums, frischte

1 Die Annahme, dass diese Brustbilder Propheten darstellen, legt sich
ja sehr nahe, ich halte sie aber nicht für bewiesen. Bekanntlich war es in der
italienischen Kunst vom 5. Jahrhundert Sitte, in solchen über den Arcaden
geordneten Medaillons die Brustbilder der Bischöfe einer betreffenden Kirche
anzubringen: S. Paolo fuori le rnura, S. Pietro in Grado bei Pisa, Bavenna
sind namhafte Beispiele; es wäre daher nicht unmöglich, dass wir auch an
Bischofs- oder Abtbildnisse zu denken hätten. Jedenfalls weist auch dies
Motiv auf Italien zurück.

2 So vermuthet Herr Pfarrer Boll, dessen Gefälligkeit wir die hier
abgedruckte Urkunde Werners v. Bosenegg aus dem Ueberlinger Stadtarchiv
verdanken:

Allen den die disen brief ansehent lesent oder hörend lesen kund
vnd vergib ich. Wernher von Bossnegg | Degan dez Gotzhus in der
Bichenow Sanct Benedicten ordens, daz für mich in minnen hof, dez tages
alz | diser brief geben ist; kam der erbar man Hainrich Mueller, der maier
burger ze mengen und verjah offenlich, | dass die erberen pfleger zu dem
münster in der Bichenow, in ussgeriht, vnd gentzlich bezalt, aller der
schuld | die er vmb si verdienot hat mit malen mit stain howen vnd schlechlich
alz so er ie vmb si verdienet, daz | si in dez gar gewert, vnd sunderlich
hettind si in gewert, der gült gar vnn gentzlich umb die er von innen |
einen brief inne hett, vnd also sait er die selbe pfleger vor mir ledig vnd
quit vnd loz für sich vnd | für sin erben, allez dez so si im ie schuldig
wurdent, von allem werch, so er inen getan hett vnd | dez allez ze warem
urkund, so henk ich min Insigel an disen brief von ernstlicher bitt wegen,
dez | vorgenannten Hainrich muelers Ich Hainrich Mueler, der vorgenannt
ze ainer offner stäten Wahrheit aller vorgeschribener ] ding, min aigen
Insigel han ich gehenkt für mich vnd für min erben ze mines gnädigen

die Hintergründe unserer alten Bilder mit grünlichen, bez.
violettbläulichen Tinten auf, was ihnen allerdings, wie Herr
Pecht sich ausdrückt, nicht allzugut bekam. Diese zweite
Restauration dürfte wol von dem Gesellen herrühren, der
zu Anfang des 18. Jahrhunderts (1708) die innere Westapsis
mit einem jüngsten Gericht bemalte, das in der allerhand-
werksmässigsten Manier hingeworfen, jetzt auch fast erloschen
ist.3 Ueber diese beiden Restaurationen ist dann wieder eine
mehrfache Tünche hinübergegangen, sodass das Ganze jetzt
ein oft nicht leicht zu entwirrendes Labyrinth von Contouren
und Farben darstellt. Die Abreibung der Tünche konnte trotz
aller Sorgfalt nicht geschehen, ohne dass Reste derselben
stehen blieben, welche die ursprüngliche Kraft und Reinheit
der Farben beeinträchtigen und den Bildern einen gewissen
milchichen Schimmer geben.

Dass ursprünglich auch der Chor bemalt war, unterliegt
keinem Zweifel. Als die Vorderwand des Mittelschiffes auf-
gedeckt wurde, wurde, in gleicher Höhe mit den Bildern
dieser, an der nördlichen (Evangelium-) Seite der Chorstirn-
wand eine in der Haltung einer Orans stehende weibliche
Figur blossgelegt, welche unter einer von zwei korinthischen
Säulen getragenen Arcade steht. Sie trägt den Heiligenschein,
lange auf die Füsse herabreichende Tunica, über derselben
ein langes Obergewand und einen etwas kürzern Mantel (vgl.
unsere Tafel XI). Am Chorbogen traten einige (zwei?) von
Ornamentstreifen eingerahmte Ptundmedaillons mit Brust-
bildern hervor (Tafel XI), von denen eines ein Christusbild
zu sein scheint. Die wenigen erhaltenen Buchstaben der bei-
gegebenen, wie es scheint, einst um den ganzen Chorbogen
herumlaufenden Schrift tragen den Charakter des 10. —11. Jahr-
hunderts. Vielleicht waren die Zwickel mit aufrechtstehendem
Perlmutterornament und oben rechts und links mit Engeln
decorirt.

Die Säulen des Schiffs waren gleichfalls polychromirt.
Auch hier lässt sich ein tiefrother Ton der ursprünglichen
Bemalung erkennen. Ebenso waren die Capitelle bemalt, und
wie es scheint, das Ornament zuvor eingeritzt (vgl. Tafel XIII).

IV.

Die Bilder an den Schiffswänden wie an der Chorstirnwand
sind, nach Bärs Untersuchungen, auf einem mit gelbem
Sand (feinem Kies) verputzten und glatt abgeriebenen Unter-
grund gemalt. Wahrscheinlich wurde der Verputz mit glatt
geschliffenen Wackersteinen, wie solche der See als Geschiebe
mit sich führt, abgerieben: diese obere glatte Fläche bot die
Möglichkeit eines sichern und säubern Contours, und zugleich
nehmen die vielen kleineren und grössern Vertiefungen die
Farbe gerne auf, geben den Bildern eine grosse Haltbarkeit
und zugleich eine gewisse Durchsichtigkeit der Farbe, sodass
die einzelnen aufgetragenen, meist sehr satten Farben durch-
aus nicht den Eindruck des Angestrichenen, des glatt Auf-
getragenen hervorbringen. Einen Beleg für die Bichtigkeit

Heren dez | obgenanten Her Wernhers von Bosnegg. Dis beschach vnd ist
diser brief geben ze ow do man zalt von Christi | geburt driizehnhundert jar
vnd Sechs vnn Sybentzig jar, an dem Sunnentag ze mitvasten, hie | bi
warend Her Johannes vnfrid, Her Johannes Harless, baid pfleger des
engenanten münsters, Peter Winz, Cuni Schaw, | Herman in Egenhof vnd
ander erbar lüt gniig, die dez allez sahent vnd hortend; besehenen alz vor |
geschriben statt an disen brief.

Das Original dieser Urkunde befindet sich in der Leopold -Sophienbibhothek

zu Ueb erringen; die beiden Siegel des Wernher von Rosenegg und des Heinrich

Müller sind abgefallen.

3 Man hat aus einer Inschrift desselben den Malernamen Melchior
herausgelesen; mit Unrecht. Die auf der Orgelbühne lesbare Inschrift gibt
die Worte: 'weichet von mir' u. s. f.

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