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Baer, Franz; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde in der S. Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau — Freiburg im Breisgau, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.7769#0014
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Adlers Bericht über die Darstellung des jüngsten Gerichts.

zunehmen sei, die Kirche sei ursprünglich glatt geschlossen
gewesen und der Vorraum mit der Hallenarcatur habe als
Paradies gedient. Einen Anhaltspunkt für diese Hypothese
findet er in der Kirche zu Schännis bei St. Gallen, die etwas
kleiner als St. Georg ist, aber den gleichen Grundriss zeigt —
ein Zusammenhang beider legt sich bei den engen Beziehungen
zwischen den beiden grossen Abteien von selbst nahe. Für
die spätere Aufführung der Westapsis sprächen dann aller-
dings die bessere Ausführung der Mauerconstruction, ferner
die viel entwickelteren Formen des Portals und der Apsidal-
fenster, wie auch der wesentlich verschiedene Verputz, der,
in mehrmaligem Auftrag hergestellt, das Bild der Auferstehung
trägt. Eichenholzbalken, welche in der Mauer der Vorhalle
stumpf ohne jeden Mauerverband an die Apside anstehen,
sind die noch erhaltenen Constructionstheile eines Holz-
schutzdaches, welches ehedem das Bild vor der Unbill der
Witterung schützte. Herr Bär hält es für möglich, dass die
kleinen Arcadenfenster, deren ungeschickte architektonische
Placirung in die Augen fällt, ehemals an der Abschlussmauer
des 'Paradieses' angebracht waren. Wie dem immer gewesen
sei: die Annahme eines der Westfront vorgelegten viereckigen
oder oblongen Vorraums scheint mir viele Wahrscheinlichkeit
zu haben. In jedem Falle ist die nothwendigerweise spätere
Datirung der jetzigen Vorhalle unabhängig von der Frage, ob
wir den Bau der Westapsis gleichzeitig oder einige Jahrzehnte
später als den des Langhauses setzen.

II.

Wenn die betreffenden Angaben richtig sind, so wurde
das Gemälde an der Westapsis i. J. 1846 durch den
Glasmaler Stantz aus Constanz entdeckt. Wahrscheinlich
aber traten zur selben Zeit auch die ersten Spuren der Ge-
mälde im Schiff hervor, von denen einige Jahre später ge-
meldet wird, sie hätten, 'freilich durch Feuchtigkeit und Alter
verdorben, aus allen Wänden hervorgeschaut'1; sie wurden
damals indessen wieder übertüncht, glücklicher Weise, da sie
sonst wol einer in jener Zeit noch völlig unaufgeklärten
Bestaurationsmanie zum Opfer gefallen wären, und wieder
glücklicher Weise wurden sie nur mit einer einfachen weissen
Tünche überzogen, während leider der Chor, der ohne Zweifel
ebenfalls ganz ausgemalt war, in der unverständigsten Weise
mit dicken braunen Leimfarben bestrichen wurde.

Das Wandgemälde an der Aussenseite der Westapsis ist
bereits i. J. 1859 von dem jetzigen Geh. Oberbaurath Adler
gesehen und untersucht worden: ihm verdanken wir die erste
und bisher einzige Publication desselben in seiner Monographie
der Beichenauer Kirchen (s. o. S. 2, A. 8), wo eine Farben-
skizze des Denkmals gegeben ist. Fast ein Viertel Jahrhundert
ist seitdem verstrichen, und in dieser Zeit hat das Gemälde
wieder mannigfache Noth gelitten, sodass Adlers Mittheilungen
über den Zustand desselben vor 24 Jahren uns eine Urkunde
von besonderm Werthe darstellen. Da wir öfter auf dieselbe
zurückkommen müssen, theilen wir sie dem Leser aus-
führlich mit:

'Die Composition ist in altcrthümlicher Weise mit symmetrischer An-
ordnung in drei Horizontalstreifen reliefartig übereinander gegliedert. Davon
nehmen die Auferstehenden den untern, Christus nebst Maria und den
Aposteln den mittlem und fliegende Engel den obern Streifen ein.

In der Mitte, von einer doppelten Mandorla umgeben, thront Christus
feierlich als Weltenrichter. Sein bartloses Gesicht ist schwarz, wie die Brust,

1 So meldet der in den Freib. 'Christi. Kunstblättern' 18G5, Nr. 40
und bei Staigeh Die Insel Reichenau im Untersee. Constanz 1800, 39 wieder-
abgedruckte Bericht eines Kunstfreundes in der 'Augsb. Postzeitung'
Nr. 275, 5. Dez. 1857.

Hände und Füsse. Das Haupt umgieht der kreuzbelegte Nimbus, die Füsse
stehen auf der Weltkugel, die ausgebreiteten Hände zeigen die Wundenmale.
Das grüne Untergewand besitzt gelbe und rothe Umrisse: der Mantel ist
hellgelb und roth gerändert; den weissen Nimbus theilt ein schwarzes
sternenbesetztes Kreuz. Der Raum zwischen den beiden Mandorlen ist
ultramarin oder lasurfarben , der schmale innerste Grund wieder hellgrün.
Die weiten schwarzen Ränder der Mandorlen waren früher mit (wahr-
scheinlich vergoldeten) Sternen aus Bronze- oder Silberblech reich geschmückt.
Doch sind diese Sterne nicht mehr erhalten, sondern nur die Umrisslinien,
sowie die Löcher der herausgebrochenen Dübel im Putze sichtbar. Die
gleichen Spuren in der Zone zwischen den Apostelköpfen und neben dem
Crucifixus lassen auf denselben Schmuck auch an jenen Stellen schliessen.

Links von dem Weltenrichter steht Maria, zu ihm hinaufblickend, —
die linke Hand bittend erhoben, die Rechte zum Petrus hinabgesenkt, —
offenbar als Fürbitterin. Sie ist gekleidet wie ihr Sohn und steht auf
Wolken. In der Grösse übertrifft sie die Apostel, doch ist sie selbst be-
trächtlich kleiner als Christus. Neben beiden — dem Sohne und der
Mutter — durchfliegen den oberen Streifen, der aus zwei Zonen, einer
grünen und einer schwarzen besteht, vier Engel. Alle tragen weisse
Unterkleider und hellgelbe Obergewänder: ihre weissen Schwingen sind
schwarz gesäumt. Zwei der Engel blasen auf gekrümmten Hörnern, um
die Todten zu erwecken und die Erscheinung des Dichters zu verkünden.
Zwei andere schweben herbei, dem Herrn das Buch des Lebens und das
Buch der Schuld zu bringen. Der Fünfte, welcher in der Composition das
Gegengewicht zu Maria bildet, ist rechts vom Heiland herabgestiegen, um
neben dem Throne das Golgathakreuz aufzurichten.

Den zweiten Hauptstreifen, welchen die Farbenzonen bilden, eine
blaue, eine grüne und eine weisse, nehmen die Zwölf Apostel ein, sechs
zur Rechten, sechs zur Linken. Alle halten Bücher in den Händen, mit
Ausnahme von Petrus, welcher den Schlüssel führt. Sie sitzen in völlig
antiker Tracht auf einer durchgehenden, gelb gefärbten Bank. Ihre Haltung
ist feierlich, fast steif, doch lassen Geberden des Staunens und Schreckens
ihre innere Theilnahme erkennen. Ihre Füsse reichen zu einem gürtel-
artig ornamentirten Bandstreifen hinunter, welcher in charakteristischer
Sonderung die beiden oberen Streifen, den Himmel, von dem untersten,
der Erde, trennt.

In diesem sind wieder zwei Farbenzonen angeordnet, eine blaugrüne
und eine weisse. Auf jeder Seite sieht man sechs Auferstehende, in leb-
hafter Bewegung nach oben flehend, sich anrufend, emporzeigend2. Zwei
derselben, wahrscheinlich Priester, heben mit ihren von Gewändern ver-
hüllten Händen gemeinschaftlich einen Kelch empor. Andere erheben sich
aus den plattenförmig umstellten Gräbern.

Unter dem Weltrichter befindet sich die oben erwähnte, auf vorge-
kragten Consolsteinen ruhende, erkerartige Bogennische. In ihrem Grunde
ist die Kreuzigung dargestellt. In trauernder Geberde mit dem Evangelien-
buche steht rechts Johannes, links mit klagend erhobenen Händen Maria.
Beide sind gleichmässig gekleidet, ihre Gesichter, Hände und Füsse wieder
schwarz gefärbt. In diesem kleinen Bilde erscheint der hagere Körper des
Heilandes weiss mit rothen Umrissen, röthlichen Haaren und weissem
Lendenschurze bekleidet. Die Füsse sind mit zwei Nägeln befestigt, der
Nimbus ist blutroth. Das Kreuz ist goldgelb; neben demselben linden
sich die Spuren ausgebrochener Metallscheiben. Der Hintergrund dicht
neben dem Kreuze ist blau, der entferntere grün.

Die Gesammtcomposition ist klar und übersichtlich geordnet; die ein-
zelnen Motive sintl verständlich gefasst und leicht erkennbar. Doch ist
von einer tiefern Durchdringung oder Beherrschung des grossartigen Vor-
wurfs keine Rede. Die Zeichnung der einzelnen Gestalten ist incorreel und
zeugt besonders in den Händen und Füssen von geringem Naturstudiuni.
In der Verschiedenheit des Massstabes erkennt man den naiven Sinn, und
doch in der nicht mehr unsichern Linienführung eine gewisse praktische
Routine. Die Magerkeit der Gesichter, die lichte Farbenstimmung, sowie
die Vorliebe für farbige Hintergründe lassen eine byzantinisirencle Richtung
erkennen, welche im Hinblick auf die so viel freiere Behandlung in sicher
datirten Bildern des XII. Jahrhunderts nur noch dem XI. Jahrhundert an-
gehören kann. Die auffallende schwarze Färbung aller Fleischtheile (mit
Ausnahme des gekreuzigten Christus) ist nicht einer chemischen Farben-
veränderung oder späteren Vermalung zuzuschreiben, sondern ist, wie eine
mehrfache Prüfung gelehrt hat, von Anfang hergestellt worden. Der
Maler scheint damit in kindlich naiver Weise eine, dem Zwecke des
Bildes besonders entsprechende Wirkung beabsichtigt zu haben 3.

Oberhalb des ganzen Bildes zieht sich unter der Decke ein plastisch
gemalter Mäander, dessen Farben leider so sehr gelitten haben, dass die
ursprüngliche Gliederung nur unsicher zu erkennen ist. Doch unterscheidet
man in demselben rechts und links vom Weltrichter zwei Köpfe von Ringen
umschlossen und durch die Farhengebung bestimmt charakterisirt. Ueber

2 Von der rechten Hälfte sind nur Bruchstücke — Köpfe und Arme —
erhalten, doch genügend, um die Unterkörper in der Zeichnung annähernd
richtig zu ergänzen.

3 Diese eigenartige Farhengebung erinnert an die ältere griechische
Vasenmalerei mit schwarzen Figuren auf rothem Grunde.
 
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