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WIR SEHEN JAP

Von Forstmeister Dr. Hans Uffenorde, gefallen im Kampf gegen den Bolschewismus

Kamerad Dr. Ufenorde, dessen Bild wir
vor kurzem veröffentlichten, fiel bei den
Kämpfen im Osten. Er nahm an der Japan-
abördnung des Reichsstudentenlührers teil
und schildert uns hier seine Reiseeindrücke.

Mampuli ist nach schier endlos erscheinen-
der Fahrt, quer durch den Winter der gewalti-
gen russisch-sibirischen Ländermasse, erreicht,
und mit seiner großen menschenerfüllten Zoll-
halle öffnet sich uns ein neuer Weltteil. Aus
dem Lärmen der bewegten Menge dringen
Laute mandschurischer, chinesischer und mon-
golischer Zungen zu uns heran. Und erhofft
man, um dieses so neuartige Bild der Farben,
Trachten, Gesichter und Gestalten in seinem
Hin- und Herfluten festzuhalten, so verspürt
man in dieser bunten Bewegtheit die ruhige,
schlichte Kraft der Lenkung, die von wenigen
wachsamen und prüfend blickenden Männern
ausgeht. Hier beginnt jetzt also der Ordnungs-
bereich des Volkes, das diese Soldaten und
Beamten an der kontinentalen Außengrenze
seiner Macht, fern von der Heimat, vertreten.
Es ist Japan, in dessen Gesicht "wir zum ersten
Male schauen. Vier Monate werden wir nun
in diesem Antlitz Japans forschen und suchen,
hinter seinen so fremdartig erscheinenden
Zügen die Eigenart seines Willens und die
Regung seines Herzens zu verstehen. Als Vor-
aussetzung für eine Zusammenarbeit, die unser
Zeitalter der großen und zugleich durch seine
Technik so nahe zusammenrückenden Räume
des neu zu ordnenden Erdballes gebieterisch
fordert.

Tagelang eilt der Expreß mit uns durch die
winterlichen Weiten Mandschukuos. In leuch-
tender Weiße deckt der Schnee die Unendlich-
keit der leicht gewellten mongolischen Steppe
gleich wie die unbegrenzten mandschurischen
Flächen fruchtbarsten, jungfräulichen Bodens
mit ihren reichen Schätzen, die der Erschlie-
ßung harren. Nur ahnen können wir zunächst
die Größe dieses Zukunftslandes Mandschu-
kuo, wie jene Soldaten und Siedler von diesem
endlosen Schienenstrang aus, den sie als die
einzige Straße der ordnenden Macht sichern
und in dessen unmittelbarer Nähe sie in kärg-
sten Lehmhütten als Pioniere angesetzt werden,
um ihrem wachsenden Volk und ihrer neuen
Heimat bessere Lebensbedingungen zu schaffen.

Geistiges Zentrum Hsinking

Doch dieses Gefühl wifd zur Bewußtheit der
so umfassend gestellten Aufgabe angesichts
der Großzügigkeit, mit welcher der Bau der
neuen Hauptstadt des Landes, Hsinking, durch
die japanische Führung angelegt und begonnen
worden ist. Wie ihr die Linien der Eisenbahn
als Nervensystem und Blutader und damit als
erstrangig zu sichernde Voraussetzung der
Erschließung und Durchdringung der räumlichen
Weite des Landes im großen dienen, so schuf
sie hier als kleines Spiegelbild ihres Willens
zuerst das Hauptstraßennetz der zukünftigen
Großstadt. Mitten in die Leere ziehen.sich die
breiten asphaltierten Straßen mit ihren hell-'
gefügten Bordsteinen, bilden an ihren Kreu-
zungen die Linien weiter Plätze, um dem Ver-
kehr dieser Hauptstadt der Zukunft und ihrem
vorausgeschauten Wachstum die ungehemmte
Bahn zu weisen und den umfassendsten Rahmen
jetzt schon zu garantieren.

Unser Ziel ist erreicht: Die Aufbauuniversität
von Hsinking. In einem schlichten Raum sind
Professoren und Dozenten, weißhaarige, ehr-
würdige japanische Gelehrte und junge Akti-
visten von den Hochschulen Nippons zur Be-
grüßung versammelt. Diese Männer haben die
große Aufgabe übernommen, einem neuen
Staate die künftige, geistige Führerschicht nach
dem ihn tragenden Ordnungsprinzip der Ge-
meinschaftsarbeit unter den fünf Volksstämmen
Mandschukuos an dieser Stätte zu erziehen.
Junge Japaner arbeiten .hier zusammen mit
chinesischen, mongolischen, koreanischen und
russischen Studenten. Mannschaftsweise woh-
nen sie in den kleinen aneinandergereihten
Hütten, erfahren auf dem von ihnen im Halb-
rund umschlossenen Platze ihre militärische
Grundausbildung und messen in japanischem
Ringkämpf ihre Kräfte. Vor dem täglichen gei-
stigen Studium z-iehen sie für mehrere Stunden
mit Hacke und Spaten hinaus auf die Felder
des nahegelegenen Universitätsgutes, um sich
stets der Einheit von Kopf- und Handarbeit
bewußt zu sein und waches Verständnis für die
Aufgaben der Scholle zu haben. So erwächst
aus den Gesetzen der strengen Zucht solda-
tischer Lebenshaltung und dem großen Einsatz,
dem, wie Japans Soldaten und Siedler, diese
Professoren und Studierenden für die Erschlie-
ßung neuen Lebensraumes wie für die Idee der
Neuordung in dem gemeinsamen Staate voll-
bringen, eine neuartige, typenprägende Hoch-
schulform. Jetzt verstehen wir, daß die Uni-
versität Mandschukuos nirgendwo anders als
an diesem Ort erwachsen konnte, dort, wo sich
der Bereich des gestaltenden Planens und Auf-
bauens der Hauptstadt des neuen Staates und
die endlose Weite des fruchtbaren Landes un-
mittelbar berühren.

Noch weht ein eisiger Wind von den mon-
golischen Steppen her und treibt uns zur eili-
gen Weiterfahrt nach Süden, dem Lande der
aufgehenden Sonne, dem Inselreich Nippon zu.
Welch gewaltiger Wechsel! Eine gebirgige,
zerklüftete Inselwelt tut sich uns auf. Wo wir
dort unsere Augen über die gestreckten, flach-

gewellten Hügel weit bis zu dem im Endlosen
verschwindenden Horizont schweifen ließen,
begrenzen hier oft steil ansteigende, mannig-
fach in ihren Konturen aufgerissene Berge den
Blick vom Schienenstrang, der uns dafür bis-
weilen die Weite des Meeres erschließt. Dich-
tes Bambusgestrüpp, immergrüner Buschwald,
von Kiefern überragt, oder dunkle Krypto-
merienbestände bedecken die Gänge und Hö-
hen. Ja, jede grotesk sich mitten in den engen
Talgründen erhebende kleine Kuppe trägt wie
die winzigen vorgelagerten Inseln den köst-
lichen Schmuck malerischer Baumgruppen und
Horste, während auf jenen Flächen die Mono-
tonie der Landschaft von einzelnen Bäumen
geradezu ihre Bestätigung empfing. Und ergriff
uns in jener Weite Mandschukuos das Be-
wußtsein der Unerschlossenheit und Jungfräu-
lichkeit der Scholle, so glauben wir hier einen
seit je bis in den kleinsten Winkel aufs sorg-
fältigste gepflegten und umhegten Garten zu
betreten. Wo die schmalen Küstenstreifen, die
Täler der kurzen, vom gebirgigen Innern dem
Meere zustürzenden Flüsse und die wenigen
Ebenen es zulassen, siedeln die Menschen zu-
meist in der Dichte, des Gewimmels eines
Ameisenhaufens. Und mit dem unerschöpf-
lichen Fleiß' der Ameise schaffen sie unermüd-
lich, um ihr Dasein hier auf der - Enge des
heimatlichen Eilandes behaupten zu können.
Jedes jetzt noch brache Reisfeld, jegliche dun-
kelgrüne Teefläche oder zur - Seidenraupen-
zucht angepflanzte Maulbeerbaumkultur mit
ihren hell leuchtenden Stämmchen und Rei-
sern bilden ein kleines, mühevoll gepflegtes

Beet in dem Garten, der dem 80-Millionen-
Volk die wichtigste Lebensnahrung, die Brot
und Kartoffel zugleich bedeutet, den Reis, den
täglichen Trank des giünen Tees und das wich-
tigste landwirtschaftliche Ausfuhrprodukt, die
Seide, schenken muß. Werden ihm auch zu-
meist jährlich zwei Ernten auf gleicher Scholle
dank seiner Fruchtbarkeit und der Güte des
Klimas abgewonnen, welch ungeheure Arbeit
muß der japanische Bauer dafür in den Boden
hineinstecken, der nur auf den vierten Teil
der Landesfläche übeihaupt landwirtschaftlich
nutzbar ist, und 186 Menschen auf dem Qua-
dratkilometer ernähren soll! Und was der in-
tensivst genutzte Boden nicht mehr trägt, das
muß das Millionenheer der Fischer aus den
Seen und dem Pazifischen Ozean bis weit nach
Sachalin hinaus herausfischen. Dieses Gefühl
der Enge, der Atem- und Raumnot, überfällt
uns besonders stark angesichts der großen
Städte, die sich um die Haupthäfen und Indu-
striezentren wie in Osaka - Kobe und Tokio-
Jokohama am Rande der wenigen, doch frucht-
barsten Ebenen der Hauptinsel zusammenbal-
len und die Siedlungsfläche auf fast 1000 Men-
schen je Quadratkilometer steigern. Und wir
erkennen, wenn überhaupt neben dem deut-
schen und italienischen Volke das .Wort, das
die Wurzel des Weltkrieges wie des großen
Ringens der Gegenwart am ursprünglichsten
deutet, einem dritten Volke zugesprochen wer-
den darf, so allein diesem Volke Nippons in
seinem Kampf um die Erschließung der Ord-
nung des Fernen Ostens: das Wort vom „Volk
ohne Raum".

Gemeinschaft als oherstes Gebot

Als nach dem Anbruch der großen Restaura-
tion des Reiches unter dem Schöpfer des mo-
dernen Japan, Kaiser Meiji, in der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts die Abgeschlossenheit der
mittelalterlich feudal-ständischen Landesord-
nung durch Formen politischer wie zugleich
auch wirtschaftlicher Vorbilder des Westens,
mit der Produktivität seiner Maschine und sei-
ner Freiheit des Handelns, ersetzt wurde, da-
mals ist auch zugleich die Kette gesprengt wor-
den, die die vitalen völkischen Kräfte künst-
lich, den engen Grenzen des Eilandes entspre-
chend, im Zaune hielt; Was der Druck fremder,
insbesondere der angelsächsischen Mächte, die
den Zugang zu dem Rohstoffreichtum der be-
nachbarten Gebiete versperrten, dem gewaltig
anwachsenden Volke vorenthielt, das bisher zu
überwinden, haben zunächst allein der nie er-
müdende Fleiß, die ungeheure Genügsamkeit
und starke seelische Gemeinschaftskräfte des
japanischen Menschen möglich gemacht, und
damit den Massen bis zur Stunde des Schwertes
im Mandschukuokonflikt und dem Beginn der
Durchdringung des ostasiatischen Kontinents
überhaupt die Existenz gesichert. Mit der
sprichwörtlichen Hand voll Reis als tägliche
Nahrung hat der Japaner sein Leben verteidigt
und damit die Voraussetzungen für den Kampf
der Gegenwart um neuen Lebensraum geschaf-
fen.

Gewiß, eine schwere soziale Frage harrt noch
in Japan ihrer Lösung, wie sie im Reich durch
den Nationalsozialismus und in Italien dank
dem' Faschismus ihre endgültige Klärung und
Beantwortung erfuhr. So hat sich bei Besu-
chen in Fabriken und Spinnereien, wenn wir
die Ziffern der Verdienstspannen all der dort
tätigen, fleißigen Hände der noch Kinder zu
nennenden Jungarbeiterinnen bis zu dem erfah-
renen Vorarbeiter hinauf vernahmen, wie auch
bei den Gängen durch die Häusermeere der In-
dustrie- und Handelsstädte, in Betrachtung der

so bescheidenen Lebenshaltung der Massen uns
immer wieder diese Frage aufgedrängt. Man
wird jedoch gerade in der Tatsache, daß das
japanische Volk eine derartige soziale Lage,
der man gewiß nur nach eigenvölkischen Maß-
stäben gerecht werden kann, ohne umwälzende.
Veränderung seither durchgestanden hat, wert-
volle Erkenntnisse über die feste Gemein-
schaftsbindung des japanischen Menschen und
die ihn tragenden seelischen Werte finden
dürfen.

Der Glaube an diese starken Gemeinschafts-
kräfte der Seele Nippons und an die ungeheure
Vitalität des japanischen Volkskörpers haben
nun die führenden Männer, insbesondere des
Heeres und der Siedlung, angesichts der wür-
genden Raumnot zu dem Schritt befähigt, des-
sen Tragweite für die zukünftige Entwicklung
des japanischen Volkes unabsehbar ist. Der
Schritt' auf das Festland bedeutet die Über-
nahme schwerster kontinentaler Ordnungs-
und Gestaltungsaufgaben durch ein Volk, das in
seiner über 21/2tausendjährigen Geschichte ein
insulares Schicksal getragen hat und dieses
Schicksal im überwiegenden Teil seines Blu-
tes als Erbe verankert findet. Wir durften
unseren nachhaltigsten Eindruck auf japani-
schem Boden durch die Persönlichkeit eines .
Mannes empfangen, der kraft der Idee des
japanischen Schintoglaubens und seines über-
ragenden Bewußtseins des von Japan übernom-
menen Auftrags zur Neuordnung Ostasiens tau-
send und aber tausend junge Japaner zum Ein-
satz auf dem Festland erzieht. Wie sich bei uns
der Student zum Einsatz in den Ostgebieten, zu
Landdienst, Erntehilfe und der großen gegenwär-
tigen Umsiedlungsaktion meldet, so beginnt dort,
allerdings erst vereinzelt, von den Besten an den
Hochschulen verwirklicht, der Gedanke des
Arbeitsdiensteinsatzes der japanischen Studen-
ten selbst fern von der Heimatinsel in den

mandschurischen Weiten Fuß zu fassen. Un-
vergessen wird uns der Eindruck sein, den
wir in einer mehrtausendköpfigen chinesischen
Dorfgemeinde, südlich von Peking, nahe der
berühmten Marco-Polo-Brücke, von der Auf-
bauarbeit zweier japanischer Jungakademiker
gewannen, die aus ihr in zweijähriger Tätig-
keit ein Musterdorf mit einem straffen Er-
ziehungswesen in Schule, soldatischer Selbst-
schutzorganisation und im Arbeitsdienst der
jungen Männer und Mädchen, mit Einrichtun-
gen für Sozialhygiene, DorfgemeinschatrS-
abenden und Feierabendgestaltung schufen.

Die Brücke zur Verständigung

Wir durften mit diesen Männern der konti-
nentalen Erschließung und Ordnung, mit ja-
panischen Generalen, mit führenden geistigen
Erziehern an den Universitäten in Keijo (Korea),
Peking, besonders Hsingking sowie in der gro-
ßen kulturpolitischen Organisation Japans auf
dem Kontinent, der Karin, mit dem Präsidenten
der mandschurischen Eisenbahn, Regierungs-
beamten und den Leitern der Siedlungsbewe-
gung sprechen. All diesen Gesprächen ist es
eigen gewesen, daß die Brücke gegenseitigen
Verstehens sehr schnell geschlagen war. Ein
Landsmann dort unten sagte uns, der japa-
nische Mensch auf dem Kontinent blicke anders
aus den Augen, freier und offener, als auf der
Insel.. Mag sein, daß die Arbeit auf dem Fest-
land allmählich den Inselmenschen aus der
Sicherheit des Eilandes und seiner stärkeren
Unberührtheit von unmittelbar und ständig ein-
wirkenden Einflößen, denen jedes Kontinental-
volk mit offenen Grenzen, wie besonders das
deutsche, dauernd ausgesetzt ist, herausführt
und ihn damit vom Unbewußtsein zum klaren
Selbstbewußtsein seiner Art, zugleich aber auch
zum Erkennen seiner eigenen Grenzen und der
Lebensnotwendigkeiten anderer Völker erzieht.

Wer in einer Gemeinschaft von Menschen, wer
gar an der Spitze eines Volkes führen und ge-
staltend wirken will, muß in sich als Voraus-
setzung das höchste Maß dieser Selbsterkennt-
nis der Art der zu führenden Lebensgemein-
schaft tragen. Ist es nicht auch hier wieder die
Bestätigung des Gesetzes, daß sich gerade an
seiner Grenze in stetem Selbstbehauptungs-
kampf dieses starke Bewußtsein eigener Prä-
gung und Lebensgesetze am klarsten heraus-
bildet?

Wie Preußen als Wahrer der Grenzen des zer-
fallenden ersten Reiches durch steten Kampf
zum Gestalter des zweiten Reiches wurde, so
sind aus den Reihen der Frontsoldaten des
Weltkrieges zur Führung der Bewegung und zur
Formung des dritten Großdeutschen Reiches vor
allem diejenigen Männer erstanden, deren Vor-
fahren stetig im Grenzlandkampf standen und
denen dort das Erleben ihrer Jugend tiefste
geistige Prägung ihres politischen Bewußtseins
gab. Es ist deshalb auch für Japan und seine
Führung ein Beweis dieses geschichtlichen Ge-
setzes, wenn seine lenkenden Persönlichkeiten,
Staatsmänner, Generale und Admirale ganz be-
sonders aus dem „Preußen" Japans, aus der
• südlichen Insel Kyuschu stammen. Hier, wo die
Geschichte des japanischen Inselreiches seinen
Ursprung nahm, wo die Erfahrung des Mongo-
lensturmes und seine Abwehr, die Verbindung
zum koreanischen und chinesischen Staat und
seinen alten Kulturkräften am unmittelbarsten
und die Pflege des Überseehandels mit dem zu-
gelassenen europäischen Partner selbst durch
die Jahrhunderte restloser Abgeschlossenheit
bestand, hier steht die Wiege auch so manches
heute führenden Japaners, ganz besonders aber
vieler leitender Pioniere auf dem Kontinent.
Sie sind es, die, seit langen Generationen heran-
gewachsen im Selbstbehauptungskampf an den
Grenzen und nun zum klaren Bewußtsein des
eigenen Wesens durch die übernommene konti-
nentale Ordnungsaufgabe gereift, wieder die
Führung der Nation übernommen haben, und
die vitalen Lebensenergien des japanischen
Volkes zur Uberwindung der geistigen Fremd-
körper und zur Neugestaltung im „Nippon Sei-
schin", im japanischen Geiste aufrufen, der die
Einheit Japans von Land, Familie, Volk, Reich,
Oberhaupt und Gott lehrt.

«Japanische Haiku-Dichtung

/ Von Hilde Bergfeld

STAEDTLERJ

Noch wird die von dem Hahn erzählende
Anekdote, die ein so bezeichnendes Licht auf
japanisches Kunstempfinden wirft, In Erinne-
rung sein. An sie möchte ich anknüpfen, wenn
ich mich heute auf ein anderes Gebiet der
Kunst, die japanische Dichtung, begebe. Aus
ihr will ich die eigenartige und besonders
charakteristische Haiku-Dichtung auswählen.
Sie erscheint mir in seltenem Maße beispiel-
haft für japanisches Fühlen zu sein.

Im Laufe unserer künstlerischen Entwicklung
hat die Beziehung Mensch/Natur immer neue
Wandlungen erfahren. Wir brauchen nur an
zwei Extreme: Aufklärung und Romantik, zu
denken, um uns die polaren Gegensätze in Er-
, innerung zu rufen, zwischen denen Stufungen
feinster Art verbindend ihren Platz haben.
Kämpfe wirkten oft reinigend, befruchtend und
erneuernd.

Wir blicken nach Japan und sehen eine an-
ders geartete Entwicklung. Ja, im eigentlichen
Sinn keine Entwicklung, sondern einen, wie
das Alter der Haiku - Dichtung beweist, seit
dem 15. Jahrhundert bestehenden Zustand.' —
Natur und Mensch, Mensch und Natur bilden
eine umfassende Ganzheit. Nicht der Mensch
reicht der Natur die Hand, wollen beide ge-
meinsam einen Weg gehen; nein, eines hätte
ohne das andere keine Möglichkeit des Be-
stehens. Nur als gewachsene Einheit vermögen
sie ein Bild zu zeichnen. Menschliches Erleben
und Empfinden erscheint uns gleichsam einge-
taucht in Natur. Natur wieder durchwebt alles
irdische Geschehen. Naturerscheinungen sind
Symbol für alles Menschliche. Mit Meisterhand
weiß der Japaner immer um das feinste und

klarste Bild, ein jedes Geschehen im Menschen-
leben, eine jede Regung zu verdeutlichen. Da?
gleiche gilt auch umgekehrt: ein natürliches
Ereignis erhält seine letzte, volle Ausdeutung,
indem es auf eine Handlung bezogen wird. Aus
diesem umfassenden, immer schauenden und
sinnenden Weltgefühl erstehen dichterische
Blüten, deren besinnliche Zartheit und leuch-
tende Tiefe des Empfindens uns erstaunen läßt
und nachdenklich macht. Nichts ist zu gering,
zu einfach und nichts zu erhaben, zu schwer-
wiegend, um nicht hier im Lichte weitester
Menschlichkeit Bild zu werden.

Die Kürze aber, die die Tiefe des Gedankens
und die Weite des Schauens umschließt, ist
kennzeichnend für die Haiku-Dichtung. Auch
bei ihr herrscht die Skizze. Der Haiku-Dichter
ist nicht seßhaft; er zieht, einem Wandermönch
vergleichbar, durch das Land mit offenem Auge
und wachem Geist. Lange bewegt ihn das Er-
eignis — seine Gedanken sind gleich den
Studienblättern des Malers —, bis die kurze
Form entsteht, in der jedes Wort seinen be-
dachten Sinn hat, weit über den Rahmen der
Wortbedeutung hinaus. Die Diszipliniertheit
des Künstlers schafft eine konzentrierte Form,
deren Gesetz unantastbar ist. Wohl besteht die
Gefahr der Schablone, der auch die Haiku-Dich-
tung ausgesetzt war, als ein Großer sie mit
neuem Leben, neuer Menschenliebe und Welt-
weisheit erfüllte:

Erinnerung.

Wieviel Vergessenes

Kommt vor die Seele wieder,

Wenn die Kirschbäume blühen!

Bashö.

Welche Kraft der dienenden Form inne-
wohnt, soll dies Beispiel beleuchten:

Mohnblumen.

Unsagbar leicht

Schweben zu Boden

Die Blüten des Mohns. Etsujin.

Höhen werden erreicht, wenn sich diese Dich-
tung zu einem Abglanz der japanischen Ethik
erhebt. Kraft zur Überwindung und glühendes
Bekenntnis zum Leben allein können die ein-
fachen Worte formen:

Blumenfest.

Zum Feste der Blumen -

Geht an der Hand der Mutter

Ein blindes Kind. Kikaku.

Lebensabend.

Der Traum meines Lebens verblaßt,
Doch die Schwertlilien bleiben
Bunt und frisch wie je ... ■ •

Shushiki.

Leise Trauer und Schwermut liegen über dem
„Lebensabend", ein allmähliches Zurückziehen
der eigenen Person aus dem großen, bleibenden
Naturgeschehen, das allein wichtig ist. Noch
stärker aber blickt uns Japan an in dem „Neu-
jahrsspruch" Matsuo Bashös, der von 1644—94
lebte:

Neujahr ist's heut'l

Gebt mir das Schwert, .

Das Erbstück unseres Stammes!

So war Japan, so ist es noch heute. Wer sich
einmal mit dieser Dichtung, ihrem ganzen
Reichtum, beschäftigt hat, der tat einen guten
Schritt auf dem Wege der Verständigung.

Folge 3 / Die Bewegung / Seite 7
 
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