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EINZELPREIS 15 PFENNIG / MÜNCHEN, 21. MW RZ 19 42/10. JAHRGANG / FOLGE 6

Wissenschaft im Kampf

Die deutsche
Englandwissensehaft

Von Prof. Dr. Paul Meißner

Um den Einsatz der deutschen Englandwis-
senschaft richtig würdigen zu können, muß
man sich der entscheidenden Wandlungen be-
wußt werden, die das Fach zwischen den bei-
den englischen Kriegen erfahren hat. Die Angli-
stik ist in weitem Ausmaße eine politische
Wissenschaft geworden. Der leider viel zu früh
verstorbene Berliner Anglist Wilhelm D i b e -
1 i u s (t 1931) hat in unermüdlicher Pionier-
arbeit die Grundlagen für die neue Ausrich-
tung seiner Disziplin gelegt; denn er hatte un-
ter dem entscheidenden Eindruck des Weltkrie-
ges erkannt, daß die Anglistik der deutschen
Hochschulen in erster Linie dazu berufen sei,
der kommenden Lehrergeneration eine gründ-
liche wissenschaftspolitische
Kenntnis vom Wesen des Inselvolkes zu
vermitteln, und daß aus der Erforschung der
Vergangenheit die Probleme der Gegenwart ge-
meistert werden müßten. Englandwissenschaft,
so verstanden, ist daher nicht bloße Realien-
kunde etwa im Sinne eines enzyklopädischen
Erfassens des englischen Zivilisationsapparates,

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wurde, sondern die historisch-kritische Durch-
leuchtung der gesamten fremdvölkischen Kul-
tur (Sprache, Literatur, Geistesleben, politische
Einrichtungen usw.) und die Herausstellung
ihrer Sonderentwicklung. Diese Aufgabe konnte
allerdings mit systematischer Planung erst in
Angriff genommen werden, nachdem der Na-
tionalsozialismus der Wissenschaftsarbeit auf
den Universitäten eine neue Ausrichtung ge-
geben hatte, die in der Forderung der Er-
ziehung zum deutschen Menschen gipfelte.

Weg und Ziel

Die Englandwissenschaft hat sich mit verant-
wortungsvoller Bereitschaft dem ihr gegebenen
Auftrag gewidmet. Des Führers großes Ziel, auf
friedlichem Wege ein neues Europa zu schaf-
fen, und seine unermüdlichen Versuche, auch
mit England zu einer aufbauenden Verständi-
gung zu kommen, gaben ihr in den Jahren vor
dem Kriege ein fruchtbares Feld der Betätigung.
Dafür legen sowohl zahlreiche wissenschaft-
liche Publikationen Zeugnis ab, als auch die
Pflege der persönlichen Beziehungen zwischen
Professoren und Studenten hüben und drüben
die in Gastvorlesungen und studentischem Aus-
tausch dankenswerte Möglichkeiten gegenseiti-
gen Kennenlernens boten.

Um so schmerzlicher berührte es daher den
verantwortungsbewußten Englandwissenschaft-
ler, daß die englische Politik in immer stei-
gendem Maße eine deutschfeindliche Rich-
tung einschlug und auch in der Öffentlich-
keit drüben kaum eine Bereitwilligkeit zu einem
gegenseitigen Verstehen bestand. In einer
Reihe von studentischen Arbeitsgemeinschaften
an verschiedenen Hochschulen bemühte man
sich, den Ursachen zu diesem Auseinander-
leben zweier Völker nachzugehen, die her-
kunftsmäßig viel Gemeinsames haben. Auch
in den Seminaren und den kulturpolitischen
Vorlesungen wurden diese Probleme immer
wieder erörtert. So traf der Ausbruch des von
England gewollten Krieges die Anglistik nicht
so unvorbereitet wie die Katastrophe von 1914
die damalige Generation. In ihrer politischen
Haltung klar ausgerichtet und in ihren wissen-
schaftlichen Erkenntnissen erheblich gefördert,
konnte sie in dem uns aufgezwungenen Ent-
scheidungskampf gleich mit an die Front des
Einsatzes der Geisteswissenschaften treten.

Der Aufruf des Beauftragten des Erziehungs-
ministers, Professor Ritterbuschs, an die
Geisteswissenschaften richtete sich zuerst an
die Anglistik, die ihn bereitwilligst auf-
nahm, zumal da ihre Kriegsarbeit schon
auf den verschiedensten Gebieten eingesetzt
hatte.

» Der Plan, den es zu verwirklichen galt, sah
eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit
dem englischen Wesen vor. Diese Idee konnte
jedoch nur durch eine großangelegte Gemein-
schaftsarbeit verwirklicht werden, an der sich
nicht nur die engeren Fachkreise beteiligten,
sondern zu der alle diejenigen aufgerufen wur-
den, die zu dem Thema auf Grund ihrer For-
schung etwas beizutragen vermochten. Damit

Der wehrhafte soldatische Geist prägt das Antlitz unserer Zeit. Er formt das Gesicht des
deutschen Menschen und schärft seine Widerstandskraft bis zum unentrinnbaren Sieg.

■ i Aufnahme: Lange. ,

ergab sich ganz von selbst ein Zusammenschluß
der Englandwissenschaftler, der vom Geist
einer beglückenden Kameradschaftlichkeit ge-
tragen war und viel für die Zukunftsarbeit er-
hoffen läßt. Zum ersten Male ist es so in einem
umfassenden Rahmen gelungen, die Fachwis-
senschaft einer gemeinsamen Aufgabe zu unter-
stellen, bei deren Lösung selbstverständlich
jeder einzelne Forscher völlige Freiheit behält,
hinter der aber als Bindung das Ethos gemein-
samer nationaler Verantwortung steht. Dadurch
daß die Frontkameraden an diesem Werke mit-
beteiligt werden, wenn , ihre aktive Mitarbeit
natürlich auch erst nach dem Kriege einsetzen
kann, ist das enge Band zwischen Front und
Heimat auch hier geschlungen, das die Gewähr
des Sieges gibt.

Das Werk selber gliedert sich unter dem Ge-
samttitel „England ;und Europa" in zwei Abtei-
lungen, eine kulturpolitische und eine
geisteswissenschaftliche. Von jener
ist der erste Band unter der Uberschrift „Die
englische Kulturideologie" (hrsg. von i C. A.
Weber) vor wenigen Wochen im Verläge W.
Kohlhammer in schöner Ausstattung herausge-
bracht worden. Es mußte zweifellos als eine
dringende Notwendigkeit angesehen werden,
zunächst einmal die Begriffe der englischen

Kulturideologie wissenschaftlich zu klären und
sie sowohl, auf ihre Voraussetzungen als auch
auf ihre praktische Anwendbarkeit hin zu prü-
fen. Der gegenwärtige Krieg wird ja auch als
ein Kampf des Geistes geführt, und der Aufruf
zum Kreuzzug gegen Deutschland, der wie frü-
her so auch heute nur in verstärktem Maße
von England herüberschallt, fordert gebiete-
risch zur Gegenwehr auf.

So darf das Englandwerk als wichtiger Bei-
trag zum Kriegseinsatz der deutschen Geistes-
wissenschaften angesehen werden. Vergessen
aber soll nie werden, daß den größten Einsatz
unsere Kameraden an der Front leisten, die mit
der Waffe in der Hand kämpfen. Ihnen gilt Dank
und Treue' der in der Heimat verbliebenen
Englandwissenschaftler in besonderem Maße.
Wir gedenken in stolzer Trauer des Berliner
Dozenten Dr. Wolfgahg Mann, der am 26.
September 1941 in Rußland an der Spitze seines
Zuges den Heldentod fand. Mit ihm ist ein be-
geisterter Junger Gelehrter dahingegangen, des-
sen Arbeiten zu den besten Hoffnungen be-
rechtigten.

So kämpft die Englandwissenschaft für den
Sieg über den Gegner, dessen Stärke und
Schwächen zu erkennen und richtig zu beurtei-
len eine ihrer entscheidendsten Aufgaben ist.

Kriegseinsatz der
deutschen Romanistik

Von Prof. Dr. Fritz Neubert, Breslau

Um die außerordentliche Bedeutung des wis-
senschaftlichen Kriegseinsatzes der deutschen
Romanistik vollauf zu würdigen, muß man sich
die Entwicklung vergegenwärtigen, welche
diese Disziplin bis zur Gegenwart seit ihren
Anfängen zurückgelegt hat. Die Romanistik ist
ein Kind der deutschen Romantik, die mit ihrer

- Begeisterung für das Vergessene und Ver-
kannte sich zumal in die verklungene Epoche
des Mittelalters vertiefte und sowohl deutsche
wie romanische Dichtungen zu neuem Leben
nach einem langen Dornröschenschlaf zu er-

' wecken sich bemühte. Während in Frankreich
gleiche Freude für die nationale Dichtung und
Sprache der Vergangenheit vereinzelt in der
Vorromantik erblühte und hierbei Fr. Ray-
nouard das besonders gepflegte Interesse für
die provenzalische (südfranzösische) Sprach-

. kultur vertiefte, schufen zu gleicher Zeit in
Deutschland die Gebrüder S c h 1 e g e l die
Grundlagen für die eigentliche wissenschaft-
liche Beschäftigung mit dem romanischen

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volle Unterstützung, die die Brüder Grimm
dieser angedeihen ließen. Ihrer unermüdlichen
Tätigkeit dankt nicht allein die Germanistik
ihr Entstehen und ihre zielbewußte Förderung,
sondern auch zu einem Gutteil die Romani-
stik; denn ihr eigentlicher Begründer, Fried-
rich Diez, wandelte in seiner großen „Gram-
matik der romanischen Sprachen" (1836 ff.) in
Grimms Spuren.. Von nun an ist mit dem rei-
chen, gründlichen Wirken dieses Bonner Ge-
lehrten der Grundbau der Romanistik gelegt
und der weitere Weg vorgezeichnet.

Dank der unleugbaren dominierenden Bedeu-
tung, die Frankreich im Gefüge der euro-
päischen Kultur und Politik seit Jahrhunderten
einnahm, war die intensivste Forschung auf die
französische Sprache und Literatur gerichtet,
ohne daß deshalb die anderen romanischen
Kulturen irgendwie vernachlässigt wurden.
Aher Frankreich, mit dem Deutschland nun ein-
mal seit Jahrhunderten durch lange gemein-
same Grenzen in einem daraus resultierenden
unaufhörlich reichen geistigen Austausch wie
mit keinem anderen Lande verbunden war, und
dies trotz der vielen und schweren politischen
Auseinandersetzungen und Gegnerschaften,
hatte in langer, besonders seit Ende des 18. Jahr-
hunderts gepflegter Tradition sich in hohem
Maße für die deutsche Kultur interessiert, wo-
von auch die nicht zu unterschätzende Zahl der
Lehrstühle für Germanistik Zeugnis ablegt. Und
doch, wenn man schon einmal einen Vergleich
anstellt zwischen französischer und deutscher
Wissenschaft: mit dem gewaltigen Gebäude der
deutschen Romanistik und' ihren unvergleich-
lichen Leistungen seit einem Jahrhundert kann
sich die französische Germanistik bei aller An-
erkennung einzelner Werte überhaupt nicht
messen. Kein schöneres Denkmal für die Auf-
geschlossenheit des deutschen Geistes gegen-
über dem Ausland, speziell also den Ländern
romanischer Zunge, läßt sich anführen als die
unendlich reichhaltige, immer von neuem wich-
tige Probleme sich selbst stellende deutsche
romanistische wissenschaftliche Forschung, die
an jeder Universität ihre Pflegestätte durch
einen oder gar zwei Lehrstühle besitzt und
sich schon jetzt ein monumentum aere" peren-
nius errichtet hatl

Die französische Wesensart

Der Weltkrieg brachte auch der deutschen
Romanistik eine schwere Erschütterung. Es
schien, als ob eine ganze liebevoll gehegte und
gepflegte Welt zusammenbräche; die schänd-
liche Behandlung Deutschlands nach 1918 konnte
diesen schmerzhaften Eindruck nur noch ver-
stärken. Die Folgerungen aber, die die wissen-
schaftliche Forschung daraus zog, spitzten sich
zu auf die Forderung, mehr als man bisher ge-
wohnt war, zu überprüfen, inwieweit die ge-
wonnenen Erkenntnisse eine Deutung der
französischen Wesensart zuließen, wie in Wahr-
heit das Verhältnis der Romania, besonders
(Fortsetzung auf Seite 2)
 
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