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Von Ferdinand Kern

'die Hände Stalins gelegt. Durch seinen Ver*
trag mit der Sowjetunion hat Churchill also
sein eigentliches Kriegsziel aufgegeben.

Es dämmert auch den Briten hier und da,
welche politische Unzulänglichkeit das System
Churchills auszeichnet. Nicht zuletzt aus die-
ser Erkenntnis entwickelt sich in England eina
moralische Unzulänglichkeit. Die Maßstäbe
Englands werden kleiner, je kleiner das bri-
tische Kriegsziel wird. Heute wäre England
froh, wenn es aus diesem Kriege überhaupt
noch einen maßgeblichen Bestand des Empires
retten könnte. „Schließlich ist auch eines unse-
rer Kriegsziele, am Leben zu bleiben", erklärte
/ einmal Churchill im Unterhaus. Wir glauben,
es ist inzwischen das einzige Kriegsziel Eng-
lands geworden, überhaupt noch am Leben zu
bleiben.

In Deutschland sind wir am 1. September
1939 mit einem sehr eindeutigen Kriegsziel er-
wacht. Wir wollten Deutschland sein Recht in
Europa verschaffen, wir wollten unsere Exi-
stenz verteidigen, wir wollten in diesem
Europa so menschenwürdig leben, wie es die-
ser Erdteil, richtig verwaltet und zweckent-
sprechend organisiert, allen auf ihm lebenden
Völkern erlaubt. Inzwischen hat der Krieg die
Räume und Verhältnisse ins Ungewöhnliche
erweitert. Alles ist auf unserer Seite ins Grö-
ßere gewandt und gewandelt. Die ewigen Werte
deutscher Kultur, die unsterblichen Kräfte des
deutschen Menschen sind, vom hellen Glanz
unserer Siege und Erfolge beleuchtet, in die
Mitte dieses Erdteils gerückt. Wir erleben in
dieser Gegenwart von Tag zu Tag mehr das
Schillerwort als ein untrügliches Gefühl:
„Denn nur der große Gegenstand vermag
den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen,
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,
es wächst der Mensch mit seinen größern

Werken."

In solcher Zeit muß jeder einzelne sich den}
nationalen Lebensstil anpassen. Aus Halbheiten
wird nichts Ganzes gemacht. Es war ein bri-
tischer Diplomat, der einmal seine Mißerfolge
folgendermaßen charakterisierte: Er sei nicht
dumm, aber nicht klug genug, nicht zweif-
lerisch, aber nicht zuversichtlich genug, nicht.
weich, aljier nicht hart genug. Das war. eine
sehr richtige Erkenntnis. Die Leute der golde-
nen Mitte nützen in Kriegszeiten dem Volke
nichts. Wie wir es uns abgewöhnt haben, den
Menschen nach den Marktverhältnissen einzu-
schätzen, wie wir das händlerische Motiv aus
unserem Denken entfernen konnten, so ist
heutzutage auch das oberflächenhafte Verharren
und Warten verderblich und verboten. Wir
sprechen in der Wirtschaft in dieser Zeit so
häufig von den „Engpässen" der Material-
beschaffung. Es gibt auch einen Engpaß der
Moral. Es gibt eine Bequemlichkeit, die Ver-
brechen ist, eine Geschwätzigkeit, die dem
eigenen Volk in den Rücken fällt. Alfred
Bäumler prägte unter diesem Eindruck kürz-
lich in einem Aufsatz über den totalen Krieg
das Wort: „Wer meckert, läuft moralisch zum
Feinde über."

Ich habe in diesen Jahren immer eine enge
Verbindung zur deutschen Studentenschaft ge-
habt und glaube, daß meine Beobachtungen
ziemlich eindringlich- waren.. Niemals habe ich.
'„'iter Studenten und-Studentinnen einen, aus-
gesprochenen Meckerer gefunden. Dem Hoch-
flug des, jungen Menschen scheint es von Natur
unpassend, über kriegsnotwendige Beschrän-
kungen ein Wort zu verlieren. Das ist eine
Begabung der Jugend, die der Opposition
gegen den spießbürgerlichen Rest in der Seele
entspringen mag, eine Opposition, die wir in
diesen Tagen in jedem Deutschen wünschen
müssen. Denn in ihr allein liegt der Vor-
sprung der Moral begründet, die wir vor
unserem Gegner besitzen, einer krisenfesten
Moral, wie der totale Krieg sie erfordert.

Einem Freunde unserer Jugend, dem Dichter
Ernst Jünger, verdanken wir das schöne Wort:
„Pflicht ist selbstverständlich, aber das richtige
Gewicht gibt erst das Herz, das freiwillig in
die Waagschale geworfen wird." In dieser
Freiwilligkeit des Herzens gipfelt
die Moral des total err* Krieges. Wir sehen sie
in Hunderttausenden und Millionen Menschen
verwirklicht, im Soldaten an der Front, im
Arbeiter des Rüstungsbetriebes, im Beamten,
in den Bauern, in den Studenten. Wir sind
durch unsere Erfolge verwöhnt, wir sind aber
durch sie zu neuen Maßstäben aufgerückt. Wir
haben den Sinn für die großen Verhältnisse
des Lebens und der Geschichte in uns erlebt.

„Handeln, handeln! das 'st es, wozu wii
da sind!" Nur das Bewußtsein der Tat gibt der
Moral den festen Rückhalt. Ja, die Tat selbst ist
schließlich der eigentliche Inhalt und das Wesen
der Moral. Wer aber zu lange im Schatten der
Tat verharrte, dem ist mit dem Uhrzeiger auch
ein Stück des Mutes davongelaufen.

Und wer braucht nun Moral?

Wer braucht Moral? — Unsere Feinde
meinen, das vom „Nazismus" geknechtete
deutsche Volk. Daß sie sich gegenseitig fle-
hentlich um Hilfe beschwören, beweist schon
die Brüchigkeit ihrer moralischen Arroganz.
Wir Deutschen kennen in "dieser Zeit ganz
genau und felsenfest den Punkt, auf dem wir
zu stehen haben. Insbesondere ist es unser
Stolz, daß die deutsche Jugend strebt und
handelt, wie es uns Clausewitz vorgezeichnet
hat, als er forderte: „Nichts im Leben ist so
wichtig, als genau den Standpunkt zu ermit-
teln, von dem aus die Dinge aufgefaßt und beur-
teilt werden müssen, um dann an ihm festzu-
halten". Das hat für uns in diesem Kriege
der Führer getan.

So überlassen wir gern unseren Gegnern
das Vertrauen auf die letzte Runde, das
Feiern von Rückzugsstrategen, das Verbot
an die Libyen-Armee, den Namen Rommel
auszusprechen, weil der deutsche General bei
unseren Feinden schon populärer geworden
war als die eigenen Heerführer. Unser größ-
tes Verdienst ist es am Ende, auch im Kampf
der Moral Sieger geblieben zu sein. Denn
die Aufgabe des Reiches wird im Frieden
nicht geringer als jetzt im Kriege. Das große
Ziel, die Weite des Blicks, die Intensität der
Arbeit müssen wir uns aus diesem Kriege
mitnehmen in unabsehbare Zeiten der deut-
schen Zukunft.

Seite 1 I Die Bewegung / Folge 15

Fünfzehn Jahre hatte Mustafa Kemal Ata-
türk an der Spitze seiner türkischen Republik
gestanden, als er im November 1938 aus dem
Leben schied und sich an jenem Tag die Blicke
der ganzen Welt mit heimlicher Spannung auf
den jungen Staat richteten. Die Fragen nach
seinem zukünftigen Weg, damals, kurz nach
der Lösung der Sudetenfrage in Mitteleuropa,
wurden allerorten gestellt, auch deswegen,
weil die Türkei auf der Bühne des Welt-
geschehens manchmal rätselhaft erschienen war.
Indes die zweifelnden Fragen nach dem Be-
stand des „Wunders der jungen Türkei" muß-
ten sich immer mehr in eine Anerkennung
einer neuen politischen Realität verkehren,
besonders, als dieser anfänglich verwaist er-
scheinende Staat sich dann , so selbstsicher in-
mitten des Krieges in seiner politischen Ge-
fahrenzone zu behaupten verstand, die ihm
vom Schicksal als Lebensraum zugewiesen war.

Die Erfahrungen der Staatsgründung

Im Oktober 1923 war dank dem harten Wil-
len eines einzigen unmöglich Erscheinendes
verwirklicht worden: Der Rest der Türkei —
zugleich der unzerstörte anatolische Kern des
Jahrhunderte alten Türkenreiches — wurde
Republik. Dies war mehr als nur die staats-
rechtliche Ausschaltung der Sultane und Ka-
lifen. Es war, auch hier in Kleinasien, mit dem
Weltkriegsende das Ende einer Geschichts-
epoche gekommen, die zusammenfiel mit dem
Verlassen des europäischen Kontinents und
dem Sichzurückziehen auf die geretteten Staats^
reste; es war zugleich ein Besinnen auf die
Substanz und der Beginn eines neuen Aufbaues
des Staates, der zwar in Asien lag, doch die
Bleigewichte des Mittelalters begrub, und die
moderne Technik elastisch an sich zog, um mit
den fremden Mitteln aus asiatischem Selbst-
bewußtsein Neues zu schaffen. All das war das
Werk einer jener Führerpersönlichkeiten, die der
Weltkrieg aus dem Schoß mancher Völker em-
porsteigen ließ, um mit ihren jungen Nationen
eine neue Zeit einzuleiten.

Diese Neugründung des türkischen: Staates
ist das Werk jenes meisterlichen politischen
Rechners Mustafa Kemal, dem seine
mathematische Begabung bereits in der Schule
Auszeichnungen eingetragen hatte, und von
dem der türkische Volksmund erzählt, er habe
sich in seiner Jugend zu Hause schon früh da-
durch nützlich gemacht, daß er dem väter-
lichen Feld die Krähen fernhielt — eine Anek-
dote, die man in der Türkei nicht ohne Bezug
auf die Politik verstanden wissen möchte.

Durch ihn, jedoch zunächst nur in ihm allein,
erhob sich nach den Friedensdiktaten von 1919
die Entschlossenheit der Türkei gegen die
beutegierigen Sieger, die hier zuerst den ver-
zweifelten Lebenswillen eines zwischen Ge-
stern und Morgen, scheinbar noch formlos
schweb :nden Staate") aus der Gruppe der ein-

Die entzauberte

Von Hugo

Es war einmal — so begann das Märchen
— eine Königstochter mit Namen Rhea Sil-
via, die unter die vestalischen Jungfrauen
aufgenommen wurde, damit das Geschlecht
des Königs Numitor aussterbe; sie wurde
aber dennoch Mutter und schenkte dem
Kriegsgott Mars die Zwillinge Romulus und
Remus, die in den Tiber geworfen werden
sollten, jedoch gerettet, von einer Wölfin ge-
säugt und von dem königlichen Hirten Fau-
stulus auferzogen wurden.

So etwa klang die Ammengeschichte vom
Ursprung Roms, Virgils bukolische Lehrge-
dichte und Tibulls lyrische Idyllen i haben
dann ein übriges getan, die Mär glaubhaft
zu machen. Kurz und gut: die durch Wall
und Graben geschützte quadratische Stadt auf
dem Palatin mit ihren Bauern und Hirten
hätte die gewerbstätigen Gaue von Latium,
Etrurien und Campanien bezwungen und ihre
eigene Herrschaft über weite Gebiete ausge-
dehnt. Wie all das und noch manch andere
schöne Dinge mit „blühenden Hirtenstäben"
und Heugabeln zustandegebracht werden
konnten, war allerdings ein Buch mit sieben
Siegeln.

Heute, da Professor Perikles Perali
den palatinischen Urwald der Mythen und
Märchen gelichtet hat, vermögen wir die Sage
vom Ursprung Roms ganz nüchtern auszu-
legen: Mars (der Hammer) hat die im Carcer
(dem Metallwarenlager) eingeschlossenen
Metallstücke (Rhea Silvia) bearbeitet und
Romulus und Remus, das heißt das Kupier,
aus ihnen hervorgezogen. Der „nährende
Feigenbaum", wo das Kästchen mit den aus-
gesetzten Zwillingen ans Land gespült wurde,
war der Schmelztiegel, das Kästchen der
Korb, darin die Metallstücke in den Tiber ge-
taucht wurden, um abgekühlt zu werden, und
die Wölfin der Fluß.

Diese durchaus nicht poesielose, doch
menschlichere und' würdigere Auslegung
stützt sich, wie das ganze Peralische Lehrge-
bäude, auf eine Fülle orts- und manenkund-
licher, archäologischer und' kulturgeschicht-
licher Beweise, auf sprachwissenschaftliche
Kritik und systematische Vergleiche, die nun
lückenlos geschlossen sind. Dreißig Jahre
hat Professor Perali alle Zweige des Wissens
um Rom durchforscht, und die Ergebnisse sei-
ner gründlichen Studien finden nunmehr, nach
langen harten Kämpfen, nicht nur die Zu-
stimmung der Gelehrtenwelt, sondern auch
die des faschistischen Staates, der, das Recht
auf Arbeit proklamierend und den sozialen
Ausgleich anstrebend, plötzlich gewahr wird,
daß er eigentlich auf den Bahnen seines Ur-
ahns wandelt.

stigen Mittelmächte kennenlernen. Doch errech-
nete sich Mustafa Kemal zuvor wohl die Chan-
cen seines Staates aus den Erfahrungen des
alten Reiches, aus dem er selbst kam, und aus
der tatsächlichen Kraft seines Volkes, dem er
einmal beschwörend zurief, daß diese die
stärkste der Welt sei.

Am 17. Mai 1919 fielen die Griechen in die
Türkei ein, und. die Welle tiefster nationaler
Empörung fing Kemal für sich auf, um mit
ihrer Hilfe seinen Staat von allen antiquierten
Belastungen und dann von der neuen Bedro-
hung zu erlösen. Er leitete den Widerstand sei-
nes Volkes mittels genialer Schachzüge, ähn-
lich vielleicht der preußischen Erhebung von
1813, die sich auch — scheinbar — mit Wissen
fremder Herren vollziehen mußte, und ange-
sichts der den türkischen Unterhändlern in
Frankreich zuteil gewordenen schmachvollen
Behandlung rief er mit den Beschlüssen von
Erzerum im Jahre 1919 sein Volk zum Wider-
stand gegen jede Teilung auf; in seiner Haupt-
stadt, der Stadt der Aufständischen, Ankara,
trat am 23. April 1920 ein Nationalkonvent zu-
sammen, der die neue Türkei repräsentierte.
Der Weltkriegsgeneral Ismet Inönü wurde
der Generalstabschef des folgenden Befreiungs-
kampfes gegen die (ja nur von den Alliierten
vorgeschickten) Griechen, er ist Gefährte Ke-
mals seit jenen Jahren, wie Resik Saydam,
der kurz Verstorbene.

Im Kampf gegen die Griechen verschafften
sich die Türken die Hilfe des russischen Nach-
barn, ohne sich schon damals an ihn mehr als
nötig zu binden; jene für die Türken siegrei-
chen Schlachten wurden dann geschlagen, die
man zu den bedeutungsvollsten des Zeitalters
rechnen will, weil mit ihnen dem generationen-
langen Zurückweichen der Türken vom Kon-
tinent endlich im Kernland, in Kleinasien,
Einhalt getan wurde. Die im Nationalpakt von
Sivas (September 1919), in Ausgestaltung der
Beschlüsse von Erzerum geforderten — heu-
tigen — Grenzen der Türkei wurden nach den
Friedensverhandlungen von Lausanne, die
Inönü für die Türkei führte, im Sommer 1924
endgültig bestätigt; in einer konsequenten
Folge diplomatischer und militärischer Hand-
lungen war flie moderne Türkei — angesichts
des noch tief erregten, gequälten Mittel-
europas — geschaffen worden.

Das, was Kemal dann im Innern durchsetzte:
Die Abschaffung des Harems, des Schleiers,
des Fezes, die Einführung der Einehe, des la-
teinischen Alphabets, noch mehr aber: die
Ausrottung des als „türkisch" bekannten Le-
bensstils, das mochte für die Türken mehr
sein als eine Revolution, weil es härter war
als eine Revolution. Sinnbild dieses — in
fremden Völkern vielleicht nicht so ernst ge-
nommenen — Umsturzes wurden die Denk-
mäler,' die Mustafa Kemal noch zu Lebzeiten
inmitten . einstiger ^ultanatsgärten gesetzt
wurden, und die .ihn, der die Türkei., auf den

römische Wölfin

Webinger

Das Wort Italien bedeutet so viel wie
Hochofenland. Septimontium war nicht der
Ausdruck für die sieben Hügel, sondern be-
deutet die Finanzgesellschaften mit beschränk-
ter Haftung, wie ja das Wort Möns (monte)
noch im mittelalterlichen Latein dieselbe Be-
deutung hatte und man heute noch immer von
einem Monte di Pietä (Versatzamt) u. dgl.
spricht. Rom war die Stadt des Romulus, das
heißt das Industriezentrum der Eisengießerei.
Ihr Verwaltungsrat nannte sich Senat, gebü-
rdet .aus den Arbeitgebern der Hüttenwerke
und der damit verbundenen Handelsunterneh-
mungen. Die übrigen Patrizier waren gezwun-
gen, sich ein Pferd zu halten und die Ceritu-
rien der Reiterschaften ramnes, tities und
luceres zu stellen. Die Plebs war die Masse
der für Taglohn Arbeitenden und der Klein-
gewerbler. Die beiden Mythen von Orpheus
und Bacchus erklärt uns Perali folgender-
maßen: Orpheus hieß das Rad, Orpheus' Kame-
rad und Schüler war Linos (Seil, Fadön, Ger
spinst, Leinwand und Wolle). Wir können so-
mit in Orpheus das Spinnrad erblicken, und
wenn Orpheus im Kampf mit Bacchus (dem
Hanfrohr) lag, so will das besagen, daß die
Wollspinnerei Streit mit den Hanfgewerblern
hatte. Das römische Jahr war eingeteilt in
304 Arbeitstage (dies fasti) und 51 Feiertage
(dies nefasti), doch waren die Industriearbeiter
verpflichtet, bei der Ernte und der Weinlese
den Landarbeitern Hilfe zu leisten. Pagani
(welches Wort wir gewöhnlich mit Heiden
übersetzen) waren die bezahlenden und be-
zahlt werdenden Bauern, die schon damals
auf Halbpacht arbeiteten und durch Verträge
und moralische Verpflichtungen (religio) ge-
bunden waren. Jede organisierte Arbeit hatte
bereits ihre Freileiteinrichtungen, die ungefähr
dem Dopolavoro von heute gleichkamen und
bei den verschiedenen Korporationen der Tex-
tilzweige in orphischen und bei den hanf-
verarbeitenden Korporationen in dionysischen
Mysterien, in diesem Falle in Bacchanalen,
gipfelten. Das Forum Romanum war der Platz
der großen Gießereien, also das metallurgische
Zentrum. Die Textilarbeiter wurden von den
Kupferindustriellen als Gäste betrachtet, konn-
ten ihre Tätigkeit bis auf das Forum Romanum
(Perali leitet das Wort. Romanus vom Kupfer
ab) erstrecken, doch nicht über das Comitium
hinaus. Mit diesem Angrenzen und Berühren
der beiden industriellen Unternehmungen er-
klärt uns Perali eine lange Reihe von Mythen
und Ausdrücken, die sich auf diese Zusammen-
arbeit beziehen. Perali ist es aber auch ge-
lungen, den im Jahre 1899 von Giacomo
Boni unter dem Lapis niger entdeckten Cippus
lückenlos zu entziffern. ""Das, was bisher als
Grab des Romulus ausgelegt wurde, ist, nach

asiatischen Kraftquell zurückführte, im euro*
päischen Frack darstellen, gerade als ob Jedem
Betrachter an seinem Vorbild die innere Spann-
weite der neuen türkischen Staatsidee klar-
werden sollte.

Um nicht in den nach innen gewandten fol-
genden Jahren der Staatsreform zwischen die
Mühlsteine der Großmächte und ihre, die Exi-
stenz der Türkei seit Jahrzehnten beeinflussen-
den Meerengeninteressen zu geraten, ver-
schaffte sich Mustafa Kemal die russische Rük-
kendeckung, während er gleichzeitig mit rigo-
rosen Verboten den Bolschewismus in seinem
Staate unmöglich machte.

Die einer Drehscheibe manchmal ähnliche
Lage zwischen den weltpolitischen Interessen-
strängen, die über die Landbrücke zwischen
Europa und Asien und über die Meerengen
zwischen Norden und Süden hinwegfließen,
hat der Türkei, dieser modernen realistischen,
zweckmäßigen Schöpfung aus der Härte der
Nachkriegsjahre und der manchmal unergründ-
lichen Tiefe - des Volkscharakters das Staats-
grundgesetz mitgegeben, sich zwischen diesen
Mächten nicht zu vergessen — ein Gesetz, das
auch die Erben Mustafa Kemals offenbar nicht
vergessen haben, wenn auch in den politi-
schen Epochen der letzten beiden Jahrzehnte'
die verschiedensten Konstellationen um die
Meerengen sich in Ankara Geltung zu ver-
schaffen verstanden hatten.

Um die Selbstbehauptung

Seit Lausanne waren es (mittels vieler An-
leihen) die englischen, ^ gegen Rußland im
Interesse des Nahostweges gerichteten Inter-
essen, die jedoch von der zwischen den Mäch-
ten geschickt sich stark machenden Türkei in
dem bekannten neuen Meerengenabkommen
von Montreux im Sommer 1936 angesichts der
im Mittelmeer sich wandelnden Machtgewichte
soweit neutralisiert werden konnten, daß der
.Dardanellenpreis von da ab von der Gunst
Ankaras, aber nicht mehr in erster Linie von
den internationalen Verträgen abhängig wurde.

Dieses Zunehmen der sorgsam genährten
eigenen Geltung innerhalb des Mächtespiels
dokumentierte sich zunächst im Konsulta-
tionspakt von Saadabad (von dessen
' vier Vertragspartnern heute zwei unter anglo-
bolschewistischer Herrschaft stehen) und dann
in dem von Zukunftssorgen schon nicht mehr
ganz ungetrübten Sieg der türkischen Politik
Über das Genfer Mandatssystem in dem Streit
um den Sandschak Alexandrette im Sommer
1939, ein diplomatischer Erfolg, der freilich
vielen später wie der Vorabschluß des im
Spätherbst 1939. unterzeichneten englisch-fran-
zösich-türkischen Paktes erscheinen wollte, der
jrn fernen Waffenglanz der, Syrienarmee der
Alliierten unterzeichnet wurde.

Doch von all dep. zwischenstaatlichen .Ver-
-elnbmrorgen^tler. Türkei in: den letzten Jahren,
die "das Land manchmal als eine „Drehscheibe
der Pakte" erscheinen ließen und es überdies
zu einer großmachtähnlichen Rolle im Mittel-
meer emporführten, hat nur die nicht von
tagespolitischen Interessen angeratene, am 18.
Juni 1941 erneuerte Verbindung mit dem Deut-
schen Reich überdauernden Bestand i gehabt —
ein kleines Symptom für die Kräftelage des
Krieges aus dem Blickwinkel der Türkei.

Die doppelte Brückenstellung in der Wind-
rose mit wechselseitig offenen Toren, die Eigen-
art des Landes, das aus der konzentrierten
Kraft seines eigenen Raumes zu leben lernte,
hat den Türken das Gesetz ihres außenpoliti-
schen Handelns — oder Nichthandeins — for-
muliert: In einer Zone stärkster politischer
Spannungen nicht zu sehr gezogen zu werden,
ein Prinzip, mit dem sie bei der ja noch gar
nicht so lange zurückliegenden Gründung ihres
Staatswesens offenbar gut fuhren, weshalb sie
nicht willens sind — und dies wohl nicht
allein aus Pietät gegenüber dieser Vergangen-
heit —, den eindringlichen Erfahrungen der
Gründungsjahre den Abschied zu geben.

Perali, nichts anderes als ein Hochofen fhit
doppeltem Blasebalg, und die archaische In-
schrift auf dem Cippus, die bisher allen Ge-
lehrten arges Kopfzerbrechen bereitet hat,
der Text eines zwischen Textil- und Hütten-
industie abgeschlossenen Vertrages, durch den
sich die Gäste, also die Textilindustriellen
verpflichteten, ihren Gastgebern eine be-
stimmte Menge ihrer Erzeugnisse abzutreten.

Die Industrieanlagen verzogen sich all-
mählich an die Peripherie der Stadt, aber ihr
rechtlicher und verwaltungsmäßiger Sitz blieb
in der Urbs selbst. Schließlich waren nur mehr
die Infamen erhalten, so daß sich die Bildung
der Sagen und Märchen erklärt.

Der mystische Sinn der ersten Römer soll
nicht geleugnet werden. Allein er war mora-
lisch gebunden an die tägliche Arbeit und das
soziale Empfinden. Der Urrömer erblickte in
„Cultus" und „Sacra" die Technik, und die
Verarbeitung, er blickte verehrungsvoll auf zu
den Tempeln, nämlich den durch Arbeit ge-
heiligten Werkstätten. Darin lag, sagt Perali,
die älteste politische Mystik des Abendlandes.
Die Erkenntnis und die Achtung einer höheren
Ordnung, wie sie Arbeit und Erzeugung mit
ihren eisernen Gesetzen darstellen, bleibt für
Professor Perali Führung und Licht jeglicher
Tätigkeit der ersten Römer. Und so erhält die
Gründung Roms wieder ihren poetischen
Schimmer. (

Hauptschriftleiter: Dr. Heinz Wölfl, Anschrift der Haupt-
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