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auch politisch" das Sollwerte an der Moldau ge-
halten.

Es war aller Welt offenbar, daß das deutsche
Gesicht Prags nicht nur in seinen Steinen, son-
dern vor allem im lebendigen schöpferischen
Sinn der beiden ältesten deutschen Hochschulen
lebte. Helen sie, ging an entscheidender Stelle
der deutsche Anspruch an Prag verloren. Und
dabei waren es auf deutschem Hochschulboden
außer einigen markanten, unvergeßlichen Per-
sönlichkeiten doch immer nur wenige innerhalb
der stark überfremdeten Lehrerschaft, die diese
Auffassung auch mit revolutionärem Schwung
und tatbereit vertraten, und so blieb neben
ihnen als wahrer Träger des deutschen Geistes
dieser Hochschulen wiederum die deutsch-
bewußte Prager Studentenschaft.

Sie war aber nicht nur deutsch im her-
kömmlichen Sinn, sie wurde mehr uhd mehr
eine nationalsozialistische Gemeinschaft, welche
schon früh als nationalsozialistischer Studenten-
bund und .später als Sudetendeutsche Hoch-
schülerschaft und Sudetendeutscher Studenten-
.bund sich die Mehrheit auf Hochschulboden
erkämpfte. In der NSDAP, und in der SdP. be-
währte sich diese Gliederung auch im tagespoli-
tischen Kampf der' Weltanschauung und setzte
sich durch. Der Einsatz dieser Mannschaft in
der Partei, bei der Jugend- und Volkstumsarbeit
im Landdienst und im Werkdienst an Schraub-
stock oder Pflug muß für die jungen Kameraden
von heute Maßstab sein, der für ihre Einsätze
hart und unbestechlich bestehen bleibt.

Der Student in Prag braucht heute nicht mehr
Sein Leben tagtäglich gegen chauvinistische und
parteipolitisch verseuchte Horden zu schützen,
dafür aber brauchen wir seine Mitarbeit bei der
Unterstützung der Partei auf dem Lande, beim
Aufbau neuer Existenzen mit Haus und Hof, bei
der Unterstützung der Ansiedler aus dem Osten,
aber auch bei der Erstellung wissenschaftlicher
Grundlagen, die Bestand ünd Wohlergehen un-
serer Volksgenossen sichern helfen. Ich freue
mich auch, feststellen zu können, daß während
der Studienzeit eine Reihe von Studenten neben
ihrer sonstigen Arbeit auch an verschiedenen
Stellen sich der Partei zu ehrenamtlicher Tätig-
keit zur Verfügung stellten.

Der Raum gibt jedem und besonders jedem
Sudetendeutschen, der naturgemäß mit den
Fragen und Problemen am engsten vertraut
ist, eine große Reihe schöner und fruchtbarer
Aufgaben. Der sudetendeutsche Student -ist
insbesondere Bürge dafür, daß zwischen Prag
und dem Sudetenland als seinem natürlichen
Kraft- und Zuschußquell eine ergebnisreiche
Wechselwirkung stattfindet. Für alle aber,
die aus den verschiedensten Teilen des Rei-
ches hierherkommen, und wir wünschen, daß
recht viele und gerade die Besten kommen,
sind einzigartige Möglichkeiten gegeben, die
Kräfte Großdeutschlands aus Vergangenheit
und Gegenwart zu erleben. In Gemeinschafts-
arbeit wird hier eine wahrhaft großdeutsche
Aufgabe erfüllt. Wir wissen gerade nach den
Ereignissen der letzten Wochen und Monate,
welche Probleme sich hier immer wieder er-
geben. Das Vermächtnis des gemordeten Stell-
vertretenden' Reichsprotektors, des unvergeß*
lj<-v=>r rrupr>",t"'' «'"Vjard Hev-

Nietzsches Hoffnungen um den Sieg von 1870/71

Es ist noch viel zu wenig bekannt, wie gerade
Deutschlands einsamster Denker des 19. Jahr-
hunderts, Friedrich Nietzsche, seine ganzen
Hoffnungen, seinen, mächtigen Zukunftsbau auf
die politischen und militärischen Erfolge des
Reiches im Deutsch-Französischen Kriege 1870/71
setzte, wie sehr seine Pläne der Erneuerung der
Philosophie, der Wissenschaft, der Kunst und
der Erziehung Hand in Hand gingen mit dem
Werk und der einmaligen Tat Bismarcks. Durch
die bürgerliche Verblendung und getäuscht durch
die bitteren Vorwürfe, die der spätere Einsame
aus Sils Maria gegen das Volk schleuderte, das
ihn so tief enttäuschte, kam jenes Bild des
bramarbasierenden Ästheten zustande, das
jeden Zugang zu dem jungen Nietzsche ver-
sperrte. Durcri die nationalsozialistische Revo-
lution erst wurde wieder die Plattform geschaf-
fen, um diesem großen. Programmatiker der
deutschen Zukunft näherzukommen. Beson-
deres Verständnis haben wir Gegenwärtigen,
die wir selbst inmitten einer großen kriege-
rischen Auseinandersetzung — mit natürlich
ganz anderen Dimensionen — stehen und so
große Aufgaben für die Zukunft aus uns fallen
sehen, für die Gedanken und Pläne, die Nietz-
sche mit dem Sieg von 1870/71 verband.

>

Es gibt noch Tapferkeit

Betrachten wir zunächst sein äußeres Ver-
halten, Er, der aus einem preußischen Pfarr-
hause s'tammt, sich schon 1866 als' „enragier-
ter Preuße" bekennt und von seinen „subjek-
tiv-natürlichen Sympathien für Preußen"
spricht, von dem „unmäßigen Vergnügen, das
ihm Bismarck bereitet", mit dessen Regierung
er sich ganz im Einklang fühlt, ist bei Aus-
bruch des Krieges als Professor in Basel. Von
seiner Behörde läßt er sich beurlauben, um an
den Kämpfen teilzunehmen, kann aber der
internationalen Bestimmungen wegen — denn
seit 1869 hat er die preußische Staats-
angehörigkeit verloren — nur als Kranken-
träger mitmachen. Für seinen Freund Dens-
s e n und die meisten seiner Biographen war
dies „eine mir bei einem solchen Manne ganz
unverständliche Anwandlung von Patriotis-
mus". Wir wissen, daß diese Krankenträger-
dienste nur von kurzer Dauer waren; infolge
einer Infektion lag er sehr bald schwer da-
nieder.

Hören wir, was er an seinen Freund Karl
v. Gersdorff schreibt: „Nun winken neue
Pflichten: und wenn eins auch im Frieden uns
bleiben mag aus jenem wilden Kriegsspiel, so
ist es der heldenmütige und zugleich beson-
nene Geist, den ich zu meiner Überraschung
gleichsam als eine schöne unerwartete Entdek-
kung in unserem Heere frisch und kräftig, in
alter germanischer Frische gefunden habe.

ßt-sich baue "vir dürfen wieder

Von Unteroffizier Wilhelm Kissel

Genius entgegen, „ein Geist mit fremden, noch
namenlosen Bedürfnissen, ein Gedächtnis,
strotzend von Fragen, Erfahrungen, Verborgen-
heiten", dem es aufgegeben ist, gegen die
„modische Pseudokultur der Jetztzeit" in küh-
nem Griff das Bild einer produktiven zukünf-
tigen, politischen Kultur zu setzen, dem deut-
schen „Geist" zum Siege zu verhelfen und der
in seiner Not und zugleich in seinem ersten
Angriff instinktsicher nach der verbündeten
Macht greift.

Das ist das Entscheidende an diesem Vor«
gang: hier in Nietzsche suchte der deutsche!
„Geist", der zu Beginn des Jahrhunderts völ-
lig apolitisch seinen gigantischen Weg be-
gann, die politische Verschwisterung. Aus
dem totalen Erlebnis der Polis heraus und der
„seltene Genuß, sich einmal ganz im Einklang
mit der zeitweiligen Regierung zu fühlen", an
deren Spitze Bismarck steht, dessen Reden
er liest, als ob er süßen Wein tränke, deren
Merkmal Mut, rücksichtslose Konsequenz und
Kühnheit ist und deren Handeln ein beileibe
nicht moralisches Schauspiel einer großen
Haupt- und Staatsaktion abgibt, dazu das
' eigene Erleben der Kriegstage mit dem An-
blick der kampffrohen Truppen, die der
Schlacht und dem Tod in einzigartiger Di-
sziplin und Geschlossenheit begegnen, um
ihrer „Rasse" zu Sieg, Herrschaft oder Unter-
gang zu verhelfen, das Erlebnis der Schopen-
hauerschen Weltanschauung und die Freund-
schaft mit Richard Wagner, alle diese Fak-
toren werden in ihm zu einer neuen Einheit
und zu einem neuen Welt- und Menschen-
bild. Es ist nicht der Jünger Wagners; es ist
ein eigenständiger Genius, der das soeben ge-
borene neue Kunstwerk des älteren Meisters
in seine größere Konzeption mit aufnimmt.

Für Nietzsche ist „die ältere griechische
Philosophie die Philosophie von lauter Staats-
männern", deren Grundlage' in der Einsicht be-
steht, „wie notwendig und eng die Kunst und
das Volk, Mythus und Sitte, Tragödie und
Staat in ihren Fundamenten verwachsen sind",-
während „jetzt, ja seit Plato der Philosoph im
Exil ist und gegen sein Vaterland konspiriert".
Er aber will, daß der Philosoph die Heimat
schützt und verteidigt, und die Philosophie
soll befreit werden von der „gelehrtenhaften
Kathederweisheit und Kathedervorsicht", und
soll zu einer duelle des Heroischen werden,
aus der der „große Feldherr und Staatsmann"
und „die Menschen, die berufen sind, Macht
zu suchen", schöpfen können. Nach dem
Kriege sollen wir „von unseren Nachbarn 1er-

KUNO EPPLE:

nen zum Leben, nicht zum gelehrtenhaften Er-
kennen, alles Erlernte als Stütze benutzen, auf
der man sich hoch und höher als der Nach-
bar schwingt"; denn wir Deutschen „wollen
etwas von uns, was man von uns noch nicht
wollte — wir wollen etwas mehr". „Die Grie-
chen haben wir uns,. im Hinblick auf die ein-,
zige Sonnenhöhe ihrer Kunst, schon a priori
als die politischen Menschen an sich zu kon-
struieren, und je stärker der politische Trieb'
ist, um so mehr ist die kontinuierliche Abfolge
von Genien garantiert". Dabei richtet sich der
griechische Künstler mit seinem Kunstwerk
„nicht an den einzelnen, sondern an den Staat;
und wiederum war die Erziehung des Staa-
tes nichts als die Erziehung aller zum Genuß
des Kunstwerks".

Der große Hoffende

„Diese schicksalhafte Begegnung von ,Geist"
und ,Staat' vollzog sich an . der Schwelle des
neuen Reiches, und sie gehört mit zu den gro-
ßen Ansätzen, an denen unsere Geschichte so
überreich ist. Es blieb beim Ansatz. Aus dem
eben noch so mutig Ausgreifenden wurde der
große Einsame in Sils Maria, der aber sich
selbst treu blieb. Für die Zeit um 1870/71 dür-
fen wir ihn so sehen, wie ihn Deussen in Basel
antraf: .Feurig, elastisch, selbstbewußt, wie-.ein
junger Löwe' und der selbst sagt, ,wann aber
wäre man je auf stolzeren Füßen gegangen
als jetzt'. Es ist der junge Genius, der seine
Vorstöße und Versuche nach allen Seiten
unternimmt, um sich selber und die Umwelt
ins Klare zu setzen, der von seiner Schau der
Dinge so überzeugt ist, daß es ihm selbstver-
ständlich erscheint, daß alle anderen ohne
Rücksicht auf Alter, Rang, Stand un,d Größe es
ebenso erkennen und anerkennen müssen. Aus
dem .totalen Erleben der Polis heraus' uber-
kam ihn der Rausch der Schöpfung, und wir
wissen heute, daß er damit .näher an den
Thron der Weisheit' reichte als all die Ver-
treter der .Klugheit des kleinen Tages". Hier
dürfen wir ihn sehen als den Jüngling, der in
seinem eigenen Ehrgeiz nur an das Wohl sei-
nes Vaterlandes denkt und an dessen Ruhm,
der den brennenden Wunsch hat, die Ausein-
andersetzung mit dem feindlichen Nachbarn
auch nach dem Kriege zum Heil der Heimat
zu wenden, ganz wie einst der griechische
Jüngling, wenn er zu Ehren seiner Stadt um
die Wette lief oder warf oder sang. Wir dür-
fen hier den großen Hoffenden sehen, der sich
selbst in die Bresche schlägt."

Verpflichtung zum Einsatz

Es sind große Aufgaben, die die Studenten,
die jetzt am Beginn eines neuen Einsatzes
stehen, gerade in den Gebieten Böhmens und
Mährens übernommen haben, überall dort, wo
das Deutschtum seine Grundlagen noch nicht
restlos gesichert hat. Die Kameraden aller
Gaue des Reiches, voran die Sudetendeutschen
und alle die, , die von den einst wunden Gren-
zen des deutschen Raumes stammen, sind be-
geistert am Werk.

Die akademische Jugend steht jetzt am Ab-
schluß eines Kriegssemesters. Gerade in die-
ser Zeit konnte sie erfahren, welche Pflichten
sie gegenüber der Nation und gegen sich selbst
hat. Pflichten, die auf Prager Boden doppelt
wiegen. Der spukhafte Prager weit- und volks-
fremde Student ist längst ausgestorben, das
lügnerische Zerrbild falscher Romantik mußte
längst dem kämpferischen Typ eines lebens-
frohen, aber verantwortungsbewußten jungen
Menschen weichen, der Buch und Schwert im
rechten Augenblick und am rechten Platz zu
gebrauchen weiß. Ich könnte mir einen Prager
Studenten der nationalsozialistischen Zeit auch
gar nicht anders denken. Und sollte es wirklich
noch andere geben, so gehören sie schon lange
nicht mehr hierher.

■ Der Reichsstudentenführer hat nun zum
Kriegseinsatz der deutschen Studentenschaft
aufgerufen. Der Ruf ergeht an alle Studenten.
Hoch- und Fachschüler des ganzen Reiches
werden in die Rüstungsbetriebe und an die
Werkbänke gehen, um für den Endsieg mit-
arbeiten zu helfen. Es unterstreicht die Wich-
tigkeit des Sudetenraumes als eines geschlos-
senen Kraftkerns des Reiches, daß der Reichs-
studentenführer Dr. Scheel allen denen, die
dieses Land am meisten lieben, es am besten
verstehen und ihm daher auch am ehesten hel-
fen können, den Befehl zum Protektoratsein-
satz gegeben hat, in dessen Erfüllung sie an
die Erweiterung und Erfüllung aller der Auf-
gaben gehen sollen, die ich früher in groben
Umrissen gekennzeichnet habe.

Schon seit zehn Tagen arbeiten in den tech-
nischen Betrieben des Landes die Gewerbe-
schulstudehten aus den Städten des Sudeten-
gaues, aus Asch, Eger, Komotau, Aussig, Tet-
schen, Reichenberg und Schönberg, aus Pilsen
und Mährisch-Ostrau. Fachschüler aus Tirol
und Wien helfen den Bauern bei ihrer Arbeit.
Techniker der Technischen Hochschulen, Bau-
schüler aus Pilsen, Bodenbach und Reichenberg
schaffen gemeinsam miteinander an konkreten
Vorhaben, Philosophen, Naturwissenschaftler,
Juristen, Volkswirte und schaffende Künstler
beginnen demnächst ihre praktischen und wis-
senschaftlichen Einsätze, Mediziner und Phar-
mazeuten gehen in die Lager der Kinderland-
verschickung und in die Lager der Kranken-
häuser und in die Apotheken, sie sind Helfer
einer wahrhaften Gesundheitsführung. Sie ver-
zichten auf ihre Ferien, weil sie in einer har-
ten, aber auch großen und stolzen Zeit hinter
niemand zurückstehen wollen.

Seite 2 / Die Bewegung / Folge 18

im.»., c ivi um-» französijch:jüdischer Ver-
flachung und .Eleganz' und unter dem gierigen
Treiben der .Jetztzeit' zugrunde gegangen. Es
gibt doch noch Tapferkeit, und zwar deutsche
Tapferkeit, die etwas innerlich anderes ist als
der Elan unserer bedauernswerten Nachbarn."
In dem geplanten Vorwort an Richard Wagner
, zur „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik", einem Werk, das entstand, „während
die Donner der Schlacht von Wörth über
Europa weggingen" und das letztgültig fertig-
gestellt wurde, nachdem „in jenem Monat tief-
ster Spannung, als man in Versailles über den
Frieden beriet" und der „Verfasser auch mit
sich zu Frieden kam", ruft er den Siegenden
folgendes zu: „Der Deutsche ist tapfer: sei er
es denn auch im Frieden. Verschmähe er es,
etwas zu scheinen, was er nicht ist. Die Natur
hat ihm das Gefällige versagt; dafür ist er
innig und erhaben."

Die Wirkungen des Sieges

Noch stärker spricht er seine Hoffnung über
die Wirkung des siegreichen Krieges im nach-
folgenden aus: „Die einzige produktive poli-
tische Macht in Deutschland, die wir nieman-
den näher zu bezeichnen brauchen, ist jetzt in
der ungeheuersten Weise zum Siege gekom-
men, und sie wird von nun ab das deutsche
Wesen bis in seine Atome hinein beherrschen.
Diese Tatsache ist von äußerstem Werte, weil
an jener Macht etwas zugrunde gehen wird,
das wir als den eigentlichen Gegner jeder tie-
feren Philosophie und Kunstbetrachtung has-
sen, ein Krankheitszustand, an dem vornehm-
lich seit der Französischen Revolution das deut-
sche Wesen zu leiden hat und der in immer-
kehrenden gichtischen Zuckungen auch die
bestgearteten deutschen Naturen heimsucht,
ganz zu schweigen von der großen Masse, bei
der man jenes Leiden, mit schnöder Ent-
weihung eines [wohlgemeinten Wortes, .Libera-
lismus' nennt. Jener ganze, auf eine erträumte
Würde des Menschen, des Gattungsbegriffes
Mensch, gebaute Liberalismus, wird, samt sei-
nen derberen Brüdern, an jener starren, vor-
hin angedeuteten Macht verbluten."

Jetzt erkennen wir, warum wir Nietzsche in
diesen Tagen, bildlich und sachlich gespro-
chen, im Feldlager finden, wo der „helden-
mütige und zugleich besonnene Geist", die
Tapferkeit und der „preußische Ernst" ihren
Einzug gehalten haben. Hier' sind seine Bun-
desgenossen, von denen nun einmal alles zu
erwarten ist, währefid er „gegen die oben-
auf schwimmende deutsche Kultur jetzt im
höchsten Grade bedenklich ist". Wir dürfen,
ja wir müssen in dem Baseler Professor etwas
anderes „als einen Gelehrten" sehen, der nur
aus patriotischer Begeisterung sich zum Feld-
zug meldet und der wohl zu unterscheiden
weiß zwischen, patriotischer Erregung und ;
tapferem Ernst einerseits und seiner eigenen
Welt der ästhetischen Schwelgerei und des
heiteren Spiels, in die er nach Kriegsende
geruhsam zurückkehrt. Es tritt uns hier ein

Whied **om tcifen Kameraden

nt. vstrou.*.. « Regen. —

Ich sehe den jjauen woiken nach, wie sie
das Tal hinuntertorkeln, sich übereinander-
schieben, gegenseitig stoßen und drängen in
dauernder Veränderung ihrer Form. Der Wind
trennt kleine Nebelfetzen ab, treibt sie vor
sich her die Felswände hinauf, als sollten sie
die freie Hochfläche gewinnen. Aber sie über-
stehen die wilde Fahrt nicht und zerflattern,
lösen sich auf. —

Wie lange sitze ich schon hier am Fenster
und folge diesem Spiel? Stünden sind es wohl
schon. Und es ist leicht in den Regen zu
schauen, wenn man ein Dach über dem Kopf
hat und sich in der Obhut eines Lazarettes
weiß, denke ich. Aber waren es denn die Wol-
ken, die mich stundenlang durch das Fenster
starren ließen und mich noch immer festhalten?
Nein, «in Zustand lähmender Erschlaffung aller
Glieder fesselt mich an diesen Platz. Meine
Augen brennen und sehen ins Leere. Nur für
kurze Augenblicke nehme ich das Bild des vor
Nässe triefenden Tales in mich auf,' als lüfte
sich für Sekunden ein dunkler Vorhang. Dann
verdichtet sich der Schleier wieder und vor
meinen Augen erstehen Bilder der jüngsten
Vergangenheit.
Endlose grausame Wüste. Erbarmungslos
.brennende Sonne am ewig blauen Himmel. —
Sandsturm — Regen, ja auch Regen und eis-
kalte Nächte. Aber dann: Tobruk, Sollum, Hal-
faya. Geschützfeuer, Angriffe, Panzerschlachten,
Bomben, Tiefflieger und immer wieder Sand,
endloser Sand und Fliegen und Salzwasser und
Sonne. Die Bilder jagen sich. Zusammenhang-
los gleiten sie vorbei, überstürzen sich im flim-
mernden Wechsel. Und überall begegnet mir
.sein Gesicht, ein starker, kluger braungebrann-
ter Kopf, steht er vor mir der ganze riesen-
starke Kerl. Seine Erscheinung ist Sicherheit
und Kraft. Aus jeder Bewegung spricht die
Ruhe des überlegenen. Ich suche seine Augen,
seine großen, hellen Augen, die ich so gut
kenne und aus denen ich zu lesen verstand,
aber sie weichen mir aus. Ein wilder hilfloser
Schmerz quält mich, das Würgen in der Kehle
kommt mich an und macht meine Augen bren-
nen. — Ja, auch du lieber Kamerad, auch du.
Die wenigen Zeilen von der Hand deiner Mut-
ter sägen es mir heute. — .

Ich weiß, es ist nicht in deinem Sinne, wenn
ich mich um deines Todes willen so erschüt-
tern lasse, denn du hast allzeit den Tod nur
verachtet. Ich tat es auch. Wir liebten beide
die Gefahr nicht, aber wir haßten sie, wie wir
den- Sand und die Fliegen haßten. Aus diesem
Haß wurde jene eiskalte Verachtung, welche
uns alles überwinden ließ. Aber zwischen jenen
letzten Tagen des vergangenen Jahres, als mich
nach langem Aushalten das Fieber umwarf und
du mich mit einem ermunternden Händedruck
auf den Weg zum Lazarett schicktest, und
heute, liegen viele ruhige Wochen für mich.
Wochen in weißen Betten. Ärzte, Schwestern,
Ruhe.

Ich fürchtete es, einmal mußte es ja so kom-

men. Dein Einsatz war immer"cji restloser.-Du
warst ein Besessener im Kampf, ein wilder
Draufgänger und ein wunderbarer Kamerad.
Und ich weiß nicht, was dich in meinen Augen
größer macht, dein Kampfgeist oder deine
immerwährende Sorge um den Kameraden.
Beides gehören wohl zusammen. Um deiner
großen Kameradschaft willen aber liebte' ich
dich wie einen Bruder. Wie oft, wie oft Kame-
rad, hattest du Glück! Angriff auf Tobruk.
Rasendes Artilleriefeuer, Bunkerkampf. Du
wolltest immer der Erste sein, warst es oft und
dein Vorgehen riß die andern mit. Es geschah
dir nichts. Sollum und Halfayapaß. Als Schat-
ten unseres Leutnants ranntest du weit vor-
aus, kamst in die tollsten Situationen. Der
Leutnant fiel, du aber warst wieder unverwun-
det. So blieb das die langen harten Monate
und erreichte seinen Höhepunkt bei den
Kämpfen im Winter, in jenen bitteren Wo-
chen, als wir der erdrückenden englischen
Ubermacht zuletzt weichen mußten. Damals
Kamerad sprachen wir nicht darüber. Jeder
Tag sah nach Himmelfahrt aus und konnte
das Ende bringen. Der Knochenmann war uns
nicht mehr unheimlich, denn er blieb unser
ständiger Begleiter. Wir hatten uns längst das
Wundern abgewöhnt und sahen das unerhörte
Glück mit den.gleich nüchternen Augen, wie
das Sterben.

Mein guter Kamerad. Ich nehme Abschied
von dir. Das Schicksal wollte nicht, daß wir
. uns wiedersehen sollten, daß ich dir hatte die
Hand drücken und danken können für deine
unvergleichliche Kameradschaft. Du glaubtest
an dein sprichwörtliches Glück und an deine
unverwüstliche Körperkraft. Ich hatte nur das
Glück auf meiner Seite. Aber du teiltest täg-
lich und stündlich in unveränderter Sorge um
mich deine Kraft mit mir. Sonst hätte ich nie-
mals so lange ausgehalten. Immer war ich
der Empfangende und konnte dir nie etwas ge-
ben. Tief blieb ich in deiner Schuld, nicht ein-
mal danken konnte ich dir, denn Reden war
unsere Sache nicht in jener Zeit. Nein, wir
sprachen wenig und wenn, so war es meistens
die Heimat mit ihren fernen Wundern, die uns
die Zunge löste, die Heimat, die du nun nicht
mehr wiedersehen solltest. Du mußtest den
bitteren Weg bis zum Ende gehen, den viele
vor dir gingen und auf dem andere nachfolgen.
Mir warst du ein treuer, unvergeßlich hilfs-
bereiter und aufopfernder Freund und ein gro-
ßes Vorbild. In meinem Herzen lebst du wei-
ter.

Kamerad, ich danke dir!

Hauptschrlftleiter: Dr. Heinz Wölfl. Anschrift der Haupt-
schriftleitung: München, Schellingstr. 39. Fernruf 20801. Für
den Anzeigenteil verantwortlich joh. Barteoschlager.
Verlag: Franz Eher Nachfolger G. m. b. H. — Druck: Buch-
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Redaktionsschluß für letzte Meldungen Montag abend.
 
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